Seit Jahren werden an der Universität Bremen kontrovers diskutierte Tierversuche für Forschung und Lehre durchgeführt. Eine Vielzahl von Tieren – von Mäusen, Fischen, Fröschen bis hinzu Affen – werden für diese Experimente verwendet. Der Bremer Neurobiologe Detlef Wegener erklärt im Interview, wieso die umstrittenen Tierversuche für die Forschung unverzichtbar sind.
Bei den Tierversuchen an der Universität Bremen wird grundsätzlich zwischen Forschung und Lehre differenziert. Welche Bedeutung haben die Tierversuche im jeweiligen Bereich?
An der Universität Bremen gibt es verschiedene Forschungsgruppen, die sich mit einer Vielzahl von Themen befassen, darunter Diabetesforschung, neuropsychiatrischen Erkrankungen wie Depression und grundlegende wissenschaftliche Fragestellungen wie zur Funktionsweise des Gehirns. Dabei wird überwiegend mit Mäusen gearbeitet, während andere Tierarten nur in sehr geringem Maße verwendet werden. Mein Kollege Andreas Kreiter und ich konzentrieren uns speziell auf die Forschung mit einer kleinen Anzahl von Affen. Auch in der Lehre kommen Tiere zum Einsatz. Beispielsweise werden im Biologie-Studium jedes Jahr etwa 25 Frösche für den Physiologie-Kurs, etwa 50 Fische für anatomische Kurse und eine gewisse Anzahl von Mäusen für Verhaltensuntersuchungen verwendet.
Gegner:innen von Tierversuchen kritisieren die Verwendung von Tieren im Studium. Ist es wirklich notwendig Tiere für die Lehre und Ausbildung der Student:innen zu opfern?
Das Tierschutzgesetz fordert von Wissenschaftler:innen, die mit Tieren arbeiten den Nachweis der erforderlichen Sachkunde. Konkret ist damit eine fundierte Ausbildung in Bezug auf die Verhaltensbiologie, Anatomie, Physiologie und viele andere Faktoren gemeint. Diese Kenntnisse müssen irgendwo erlernt werden. Eine Universität, die Biolog:innen ausbildet, ist dazu verpflichtet sicherzustellen, dass die Student:innen das erforderliche Maß an Qualifikation erwerben können.
Das Gehirn ist das Organ, von dem wir mit Abstand am wenigsten wissen.
Detlfef Wegener, Neurobiologe an der Universität Bremen
Seit 1998 führen Sie gemeinsam mit Andreas Kreiter umstrittene Experimente an Affen durch. Obwohl der Bremer Senat ein Ende dieser Experimente fordert, bestehen Sie auf ihre Notwendigkeit. Aus welchen Gründen halten Sie es für erforderlich an Affen zu forschen?
Der Grund für die Wahl des Affen ist, dass neurobiologische und neurophysiologische Fragen zur Klärung kognitiver Leistungen des Gehirns nur an Tiermodellen untersucht werden können, bei denen diese höheren kognitiven Leistungen und Ähnlichkeiten in der Anatomie vorliegen. Wäre dieser Grund nicht gegeben, dann würden wir die Erlaubnis auch gar nicht bekommen können an diesen Tieren zu arbeiten. Es ist immer der Nachweis anzutreten, dass man die Fragestellung, die man untersuchen möchte immer mit dem Tiermodell untersucht, dass unter den Versuchsbedingungen am wenigsten leiden kann. Da Affen kognitiv sehr komplexe Tiere sind, würde man von der Arbeit mit Affen immer absehen, wenn es eine Alternative gibt. Das Gehirn ist das Organ, von dem wir mit Abstand am wenigsten wissen und ein sehr schwieriges Themengebiet darstellt, bei dem der Fortschritt noch relativ langsam ist.
Tierschützer:innen argumentieren, dass die Ergebnisse aus Hirnversuchen an Affen nicht zuverlässig auf den Menschen übertragbar sind. Grund dafür seien die signifikanten Unterschiede in den Gehirnstrukturen und -funktionen zwischen Affen und Menschen. Wie entgegnen Sie dem?
Natürlich ist das Gehirn eines Menschen und das einer Maus nicht identisch. Selbstverständlich gibt es Unterschiede, aber das Gehirn einer Maus und das eines Menschen besteht aus Zellen, die als solche sehr ähnlich sind. Würde ich mir nur eine einzelne Zelle angucken aus dem Menschen- oder Tiergehirn, könnte ich nicht sagen, welche in welches Gehirn gehört. Die haben den gleichen Grundbauplan und die Prinzipien mit denen sich diese Zellen verschalten und Netzwerke bilden sind sehr ähnliche. Das heißt, ich kann im Mäusegehirn Dinge lernen, die so vermutlich im menschlichen Gehirn auch ablaufen. Es geht also darum sich den Funktionsprinzipien des menschlichen Gehirns mithilfe eines Tiermodells anzunähern. Eine Vorgehensweise, mit der im Übrigen fast alle medizinischen Ansätze entwickelt worden sind.
Wie muss man sich die Durchführung der Experimente vorstellen?
Um von den Tieren überhaupt Daten aufnehmen zu können, müssen sie verschiedene Trainingsprogramme durchlaufen, innerhalb derer sie bestimmte Paradigmen erlernen. Zum Beispiel lernen die Tiere, dass sie ihre Haltungsräume verlassen und in das „Affentaxi“ steigen, sobald wir dieses vor ihren Bereich stellen. Während der eigentlichen Ableitung muss der Kopf des Tieres fixiert werden, weil sonst das technische Equipment davon fliegt. Schließlich lernen die Affen Aufgaben zu lösen, die höhere kognitive Leistungen erfordern. Die reine Messung der Aktivität von einzelnen Nervenzellen und Nervenzellgruppen erfolgt dabei auf eine Weise, die von den Tieren nicht wahrgenommen wird und schmerzfrei ist. Die Arbeit mit den Affen ist etwas, was im Zuge eines langsamen, täglichen, proaktiven Trainings sehr gut trainierbar ist.
Neben der Fixierung des Kopfes gehört regelmäßiger Wasserentzug zum Trainingsprogramm. Kritiker:innen der Versuche sind sich einig, dass es sich hierbei nicht um ein harmloses Training handelt, sondern um Qual und Leiden für das Tier. Stimmt es, dass die Affen die Aufgaben nur absolvieren um dem Verdursten zu entkommen?
Wenn wir uns darauf verlassen würden, dann würden wir ganz schlechte Arbeit machen. Die Affen kommen, weil wir diese Prozeduren einüben und weil die Aufgaben im Labor Abwechslung und Spannung sind und die das gerne machen. Würden wir es darauf anlegen, dass sie diese Aufgabe nur machen, weil sie durstig sind, dann würden sie die Aufgaben dauerhaft unter Stress durchführen und auch nur in dem Maße indem es sein muss. Die Tiere kommen aus biologischen Habitaten, in denen Wasser über weite Strecken des Jahres Mangelware ist, weshalb sie sich sich extrem gut an Wasserarmut anpassen können. Wenn die Affen an der Uni Bremen sich an Wasserarmut anpassen würden, dann würden sie die Trainings- und Experimentalprogramme aussitzen und nur das absolut nötigste zu sich nehmen. Die Flüssigkeit als Belohnung dient dazu ein Zeichen und Feedback zu geben, welche Verhaltensweise sich lohnt oder nicht lohnt, z.B. im Zuge einer Gedächtnis- oder Aufmerksamkeitsaufgabe. Je mehr sie wollen und je mehr Interesse sie haben, desto mehr können wir mit ihnen einüben. Das heißt unser Interesse besteht nur darin, dass unsere Tiere an viel Flüssigkeit gewöhnt sind, weil wir dann viel mit ihnen arbeiten können. Wir würden also immer versuchen die Situation zu verhindern, in der sie sich an Durst gewöhnen.
Es besteht ein wissenschaftliches Interesse darin, sicherzustellen, dass das Wohlergehen der Tiere gewährleistet ist.
Detlef Wegener, Neurobiologe an der Universität Bremen
Wie wird sichergestellt, dass das Wohlergehen der Tiere gewährleistet ist und sie keinen Stress erleiden?
Von gestressten Tieren erhält man andere Ergebnisse als von nicht gestressten Tieren. Ein gestresstes Tier kann sich weniger auf die jeweiligen Aufgabenstellungen konzentrieren, was unvorteilhaft für die Messung des Gehirnes ist. Also geht es bei der Durchführung solcher Experimente letztendlich darum, Prozeduren zu entwickeln, in denen die Tieren sich komfortabel fühlen, die ein intaktes Mensch-Tier-Verhältnis haben und die stress- und in jedem Fall schmerzfrei sind. Wenn dies gelingt, sind die eigentlichen Messungen, die wir führen einfach und harmlos. Es besteht also ein wissenschaftliches Interesse darin, sicherzustellen, dass das Wohlergehen der Tiere gewährleistet ist. Dies wird unter anderem durch eine großzügige Tierhaltung und die Bereitstellung qualifizierten Personals sichergestellt.
Verstärkt fordern Gegner:innen der Versuche alternative Methoden, die keine Tiere einbeziehen und ethisch vertretbarer sind. Diese seien nicht nur kostengünstiger, sondern liefern auch zuverlässigere Ergebnisse. Die Universität Bremen wendet alternative Verfahren an, sofern diese zur Verfügung stehen und für die jeweilige Forschungsfrage geeignet sind. Wieso verzichtet die Universität Bremen nicht vollkommen auf Tierversuche?
Man erweckt den Eindruck zu einem Tierversuch gäbe es eine Alternative. Tatsächlich muss in jedem Beantragungsverfahren zunächst mal nachgewiesen werden, dass es keine gleichwertige Alternative gibt. Beispielsweise werden für bestimmte Fragestellungen Computertechniken zur Simulation genutzt. In-Vitro-Verfahren sind ebenfalls Alternativen, jedoch nicht für die Untersuchung kognitiver Prozesse. Diese Methode ist übrigens, wie viele andere Methoden, zunächst als rein wissenschaftliche Methode im Zuge der methodischen Weiterentwicklung der Molekularbiologie entwickelt worden. Aber auch als Alternative hat sie ein Potenzial zu einer bestimmten Klasse von Tierversuchen und da wo dieses Potenzial vorhanden ist, wird es genutzt. Das ist immer billiger, einfacher und schneller als ein Tierversuch. Viele dieser alternativen Methoden werfen auch andere ethische Fragen auf, beispielsweise die Frage der Verwendung von Stammzellen. Am Ende geht es darum, dass wissenschaftlicher Fortschritt bedeutet, dass man Methoden gegeneinander abwägt und am Ende versucht, einen möglichst nachhaltigen, reflektierten und Erkenntnis-gewinnenden Zugang zu finden.
von Saphira Manske