Graffiti wird von vielen mit Männern assoziiert, die nachts illegal mit Spraydosen Wände oder Züge bemalen. Doch die Graffiti-Szene ist sehr viel diverser. Das Kollektiv „Sisterhood“ kämpft seit vielen Jahren für mehr Sichtbarkeit und Solidarität von und mit Flinta* in der Szene. Krosse hat mit dem Kollektiv über Macht, Männlichkeit und die Botschaft von Graffities gesprochen.
Die Graffiti-Szene ist ein Raum von vielen Räumen, die Männer gerne für sich beanspruchen. Patriarchale Strukturen sind überall in der Gesellschaft wiederzufinden. Zur Realität gehört aber auch: Flinta* machen schon lange Graffiti und sie machen sich in den letzten Jahren immer sichtbarer. Von Lady Pink, die schon 1979 ihre Karriere begonnen hat, zu Sany, einer tschechischen Sprayerin, die 2016 den Dokumentarfilm „Girl Power“ rausgebracht hat, an dem sie durch viele Hindernissen sieben Jahre lang gearbeitet hat. Darin präsentiert sie die Perspektiven von Sprüherinnen aus 15 Städten weltweit – unter anderem von Lady Pink. Weil es eben mehr solcher Projekte braucht, um gegen Sexismus in der Szene vorzugehen und sichere Zugänge für Flinta* zum kreativen Austausch zu erkämpfen, hat sich das Kollektiv „Sisterhood“ gegründet.
Was fasziniert euch an Graffiti?
Uns faszinieren viele unterschiedliche Aspekte an Graffiti. Sei es die Faszination für Formen, Buchstaben und Farben, weil es cool ist und die Herausforderung. Ebenfalls, weil es eine spannende Subkultur ist und man sich den öffentlichen Raum, in dem man als Frau nachts häufig eher nichts zu suchen hat, gewissermaßen aneignet. Aber wir sind bei dem Ausstellungsprojekt dokumentarisch und nicht aktiv selbst involviert.
Wir wollen nicht nur Frauen, sondern Flinta* im Graffiti sichtbar machen.
Kollektiv “Sisterhood”
Wann und warum habt ihr euch als Kollektiv organisiert?
Wir haben uns Ende 2019 zusammengeschlossen, nachdem wir alle Lust hatten, eine Ausstellung zu Frauen im Graffiti zu machen. Damals gab’s noch nicht so viele Zusammenschlüsse und Sichtbarkeit. Inzwischen hat sich das aber geändert und wir wollen nicht nur Frauen, sondern Flinta* im Graffiti sichtbar machen. Bei der Idee zur Umsetzung hat uns das Ausstellungsprojekt „Fan.Tastic Females“ inspiriert. (Fan.Tastic Females ist ein multimediales Ausstellungsprojekt von Flinta*, das unterschiedliche Portraits von weiblichen Fußballfans in Europa darstellt und Sichtbarkeit von Flinta* in der Fußballszene aufzeigt, Anmerkung der Redaktion.)
Hat sich durch das Projekt für euch etwas an eurer Beziehung zu Graffiti verändert?
Es fließt sehr viel Arbeit in die Ausstellung und Auseinandersetzung mit Graffiti – es ist also nicht mehr nur ein praktischer Zugang, sondern ein theoretischer. Durch das Projekt hat sich auf jeden Fall verändert, dass wir als Einzelpersonen aktiv etwas dafür tun wollen, dass Flinta* sichtbar sowie Geschlechterklischees gebrochen werden und Sexismus als gesellschaftliches Problem aufgezeigt wird. Sexismus, den es auch im Graffiti als hauptsächlich männlich dominierte Subkultur gibt.
Lange Zeit wurde die Graffiti-Szene als männlich dominiert wahrgenommen. Wie stark hat sich das in den letzten Jahren verändert?
Es hat schon immer Flinta* im Graffiti gegeben, nur waren sie teilweise nicht so sichtbar. Wir haben das Gefühl, dass es inzwischen auch mehr solidarische oder supportende Männer gibt, aber trotzdem weiterhin eine kleine Parallelwelt mit Sexismus und Mackerscheiß.
Habt ihr das Gefühl, mit eurer Arbeit mehr Flinta*-Personen zum Sprayen zu bewegen?
Wir haben schon das Gefühl, dass seitdem wir daran arbeiten, immer mehr Projekte und Kollektive zum Thema Flinta* in der Graffitiszene entstanden sind. Mittlerweile haben viele angefangen, Graffiti zu malen und sich Raum zu nehmen. Es gibt mittlerweile auch zum 8. März viele Flinta*-Jams in fast allen großen Städten. Insgesamt hat also bestimmt auch die Ausstellung oder unsere Workshops ein bisschen mehr Empowerment, Sichtbarkeit und dadurch Motivation geschaffen, sich zusammenschließen und Graffiti auszuprobieren.
Bei Graffitis spielt das Geschlecht keine Rolle.
Kollektiv “Sisterhood”
Was findet ihr besonders am Sprayerinnen-Dasein? Gibt es einen fun fact, der die Szene einzigartig macht?
Das Spannende und Witzige ist im Grunde, dass das Geschlecht ja eigentlich keine Rolle spielt, weil es um Anonymität geht und man theoretisch nicht erkennt, ob ein Bild von einer Frau, einem Mann oder einer non-binären Person ist. Klar gibt es Sprüherinnen, die mit so klassisch weiblich assoziierten Farben, Formen und Namen spielen, aber theoretisch kann auch alles ganz anders sein, als es scheint. Graffiti hat also viel Potenzial, sich von Geschlechterrollen freizumachen.
In der „Girl Power“ Doku (2016) von Sprayerin Sany wird sie immer wieder mit ihrem Doppelleben konfrontiert. Am Ende gibt sie ihren Job auf, ihren Eltern erzählt sie nichts von ihrem Hobby. Wie offen könnt ihr über das Sprayen in eurem Umfeld sprechen?
Das können wir schon. Gerade, weil wir dokumentieren und nicht primär selbst aktiv sind. Wir haben aber auch ein Umfeld, was subkulturell affin ist und Graffiti positiv oder spannend gegenübersteht. Mit unseren Opas müssten wir jetzt vielleicht nicht drüber diskutieren, aber da sind wir wahrscheinlich keine Ausnahme.
Als Flinta* kann es gefährlich sein, nachts unterwegs zu sein. Wie geht ihr damit um, wie schützt ihr euch (gegenseitig)?
Wir und auch viele Interviewte haben auch negative Erfahrungen gemacht. Vor allem nachts unterwegs zu sein, was ja im Graffiti häufiger vorkommt, ist oft eher mit negativen Erfahrungen verbunden. Einige der interviewten Sprayerinnen haben auch geäußert, dass sie nachts von Belästigungen betroffen sind. Sei es, dass ein Auto neben ihnen anhält und sie gefragt werden, ob sie nicht einsteigen möchtest oder sie einfach von fremden Typen vollgelabert werden. Da hilft es natürlich, nicht allein unterwegs zu sein und sich mit anderen zusammenzuschließen. Für uns ist es auch wichtig, aktiv etwas dagegen zu machen, sei es mit der Ausstellung Sichtbarkeit für Flinta* zu schaffen oder aber auch negative Erfahrungen zu thematisieren.
Welche Rolle spielt es für euch, Botschaften mit euren Pieces zu vermitteln?
Wir feiern es, wenn Botschaften hinter Bildern stecken. Und auch wir wollen mit dem Projekt eine Botschaft nach außen vermitteln: Wir sind da! Und: Sexismus entgegentreten!
Im Graffiti wird der öffentliche Raum mitgestaltet.
Kollektiv “Sisterhood”
Die Kriminologin Friederike Häuser forscht zur politischen Seite von Graffiti. Laut ihr ist Graffiti immer politisch, weil jedes Mal der Wert von Eigentum angezweifelt wird – Eigentum, über das einige Wenige bestimmen. Wie gehen für euch Politik und Graffiti zusammen?
Für uns als Projekt hat Graffiti natürlich auch eine politische Ebene… Alleine, dass einige Flinta* oft andere Erfahrungen als Typen machen müssen, und sich durchkämpfen müssen, beleidigt oder belächelt werden. Das passiert Typen vielleicht auch, aber auf einem anderen Level, weil es nicht primär um ihr Geschlecht geht oder dieses Angriffsfläche ist. Und wir stimmen Friederike zu. Ob nun mit politischer Agenda oder nicht, im Graffiti wird sich der öffentliche Raum genommen und dieser mitgestaltet.
Für August 2024 wird die Eröffnung der Wanderausstellung in Bremen geplant. Danach wird sie in vielen anderen Großstädten zu besuchen sein. Auf Instagram geben die Girls unter „sisterhood.graffiti“ Updates über ihre Projektarbeit.
von Martje Menzel