Deutsche Musikfestivals locken jährlich hunderttausende Besucher:innen an. Trotzdem sind sie weiterhin geprägt von ungleicher Geschlechterverteilung in den Line-Ups. Zwei Studentinnen und eine Festival-Organisatorin berichten, welchen Effekt das hat.
Der Festivalsommer steht vor der Tür und Maren und Lena sind bereit, endlich wieder ganze Wochenenden mit Musik, anderen Menschen und feiern zu verbringen. Bald heißt es also wieder: Auto vollladen und los – und zwar meistens mit mehr FLINTA*-Personen (Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre, trans und agender Personen) in der Gruppe. Doch dies spiegelt sich häufig nicht in den Lineups der besuchten Festivals wider. Obwohl die Aufmerksamkeit schon seit Jahren darauf liegt, mehr FLINTA*s Raum auf der Bühne zu geben, wirkt es häufig, als sei dies einfach nicht möglich. Manche Besucher:innen scheinen schon genervt von dieser andauernden Diskussion und wollen auf Festivals endlich einmal nur Spaß, abseits von gesellschaftlichen Diskursen haben. Deshalb stellt sich die Frage: Ist es langsam Zeit, die Forderung nach Genderausgeglichenheit in den Lineups aufzugeben oder lohnt es sich, weiterhin an der Idee einer gerechteren Festivalkultur festzuhalten?
Die andauernde Ungleichheit in Zahlen
Eine aktuelle Studie zeigt, dass bei zehn untersuchten großen Festivals in Deutschland im Schnitt zwei von drei Acts männlich sind. Auch Festivals in der Nähe von Bremen werden hier aufgeführt. So haben beim „MS Dockville“ in Hamburg immerhin 47% der Acts mindestens eine weibliche Person dabei. Das „Deichbrand“ mit 65% und vor allem das „Hurricane“ mit 69% rein männlichen Acts schneiden aber erschreckend schlecht ab. Dies ist auch im Lineup für 2024 sichtbar. So wirbt das Hurricane auf der eigenen Website für den Freitag zuerst mit Ed Sheeran und dann mit Ayliva. Dann kommen ganze elf Acts, die rein männlich sind, um dann mit Noga Erez mal wieder eine Frau ins Lineup zu nehmen. Unter den noch folgenden zehn Acts für den Tag sind dann nochmal drei Frauen zu finden. So wird auf den ersten Blick deutlich, wie wenig sich seit der Studie letzten Jahres verändert hat und dass Frauen noch immer weniger Platz auf der Bühne gegeben wird.
Männliche Acts = Männliche Vorherrschaft?
Spiegelt es sich jedoch tatsächlich in der Stimmung der Festivalbesucher:innen wider, wie ausgeglichen das Lineup ist und wer gerade auf der Bühne steht? Für Maren und Lena, die 2023 auf dem Hurricane waren, macht es einen großen Unterschied erzeugen, wer gerade auftritt. “Ich fühle mich bei bei einem männlichen Act nicht aktiv unwohler. Jedoch kann im Nachhinein schon einen Unterschied zu FLINTA*-Acts feststellen. Das liegt wohl auch daran, dass hier dann doch häufiger darauf hingewiesen wird, rücksichtsvoll miteinander umzugehen.”, sagt Maren. Aber auch zwischen den männlichen Acts gebe starke Unterschiede je nach Fanbase, so die Studentin.
Für ihre Freundin Lena gibt es deutliche Unterschiede zwischen den Acts. “Bei männlichen Act habe ich mich extra von den Moshpits ferngehalten. Ich wurde aber dann doch immer wieder von Männern zur Seite gedrängt und an andere Menschen geschubst.” Die Bremer Studentin vermutet, dass sich so eine Dynamik unter männlichen Fans doch eher bei männlichen Acts bildet.
Die Festivals haben das krasse Ungleichgewicht erkannt
Pau Hoff ist eine der Organisatorinnen des Line-Ups auf dem Fusion-Festival. Die Kennerin der Szene bestätigt die Eindrücke von Maren und Lena. „Wenn du siehst, dass eine weibliche Person auflegt, DJ ist, dann führt es vielleicht zu einem Gefühl, ‚ah ja, ich kann das auch machen als weibliche Person‘. Oder der ganze Dancefloor fühlt sich safer an, das kann ich auf jeden Fall bestätigen“. Trotz der bisher deutlichen Überrepräsantion von männlichen Acts auf deutschen Festivals, blickt Pau Hoff optimistisch in die Zukunft . “Es ist eine Entwicklung innerhalb des Musik- und Showbusiness‘ und der Festivalszene generell in den letzten fünf Jahren. Der Fokus wird viel stärker auf Repräsentation gelegt und es gibt immer mehr ein Bewusstsein für Geschlechterungerechtigkeiten gibt“. Damit scheint es, dass die Festivals sich langsam aber sicher intensiver mit ihren Line-Ups beschäftigen.
Die Frage nach Genderausgeglichenheit in Festivallineups mag zunächst vielleicht trivial erscheinen. Sind Festivals nicht da, um dem Alltag zu entfliehen und die so oft diskutierten Streitpunkte endlich einmal außen vor zu lassen? Genau! Doch um dies zu ermöglichen und einen sicheren Raum zu schaffen, ist es wichtig, diesen Raum möglichst gerecht zu gestalten, sodass sich alle Menschen wohlfühlen und repräsentiert werden. So können selbst Festivals zu einer gerechteren und stereotypbefreiten Gesellschaft beitragen und hoffentlich nach und nach zu einem safe space zum unbeschwerten Feiern für alle werden. Und mit dieser Aussicht freuen sich Maren und Lena auf ihren bevorstehenden Sommer und viele neue schöne Festivalerfahrungen.
von Paula Holz