Ein Interview mit Julia Schäfle
Julia Schäfle ist 27 Jahre alt, wohnt in Hannover und ist Schauspielerin. Nach dem Abitur und zahlreichen Produktionen des Kinder- und Jugendtheater im Landestheater Tubingen absolvierte sie 2009 die offene Ausbildung bei dem einjährigen Tournee-Theaterprojekt „TheaterTotal“ und übernahm in der Abschlussproduktion die Rolle der Elisabeth von Valois in Friedrich Schillers „Don Carlos“. 2010 begann sie mit dem Schauspiel-Studium an der Folkwang Universitat der Künste in Essen, brach dieses aber nach nur einem Jahr wieder ab. Nach zwei Jahren in Berlin, in denen sie diverse Rollen in Kino- und TV-Produktionen übernahm und die Hauptrolle der Liv Sonntag in der Kinderserie „Hotel 13“ verkörperte, nahm sie das Schauspielstudium an der HMTM Hannover wieder auf.
Krosse: Gab es bei dir ein einschneidendes Erlebnis, das die Liebe zur Schauspielerei entfacht hat, oder hat sich das bei dir einfach so entwickelt?
Julia Schäfle: Nein, ein einschneidendes Erlebnis eigentlich nicht. Es verlief bei mir ganz klassisch über die Theater AG in der Schule. Ich hab in der 5. Klasse damit angefangen und festgestellt, dass ich darin richtig aufging. Ich liebte das Improvisieren, das Spielen und vor allem war es die einzige Sache, bei der ich auch geblieben bin. Zuvor habe ich mal mit Tennis angefangen und auch mit Keyboard, habe aber immer alles abgebrochen. Beim Schauspiel war das anders, ich hab mich dort einfach richtig gefühlt und war so erfüllt. Außerdem komme ich gebürtig aus Reutlingen und dort gab es für mich kaum Zugänge zur Kulturszene. Die Theater AG war gewissermaßen meine erste Begegnung mit der Kunst im weitesten Sinne.
Was hast du dir denn damals unter dem Beruf der Schauspielerin vorgestellt?
Um ehrlich zu sein hatte ich in der Schule gar keine Ahnung, dass das auch ein richtiger Beruf sein kann, und hatte eigentlich auch ganz grundsatzlich keine Vorstellung davon, was Schauspiel überhaupt ist. Ich hatte noch nie ein Theaterstuck gelesen und nur irgendwo am Rande erfahren, dass es in der Nahe meiner Heimatstadt eine Schauspielschule geben soll. Während des Abiturs drängten sich dann die Zukunftsfragen in den Vordergrund, als mir meine Theater AG- Leiterin den Flyer von „TheaterTotal“ in die Hand drückte. Ich habe mich sofort beworben und wurde glücklicherweise auch angenommen. Rückblickend war das das erste Mal, dass ich mit der Welt des Theaters in Verbindung kam und mir Stück für Stück bewusst wurde, was das eigentlich heißt. Ich erinnere mich noch, dass ich dem WDR ein Interview gab und sie mich fragten, ob es für mich eine Alternative zur Schauspielerei geben wurde und ich stolz in die Kamera lachte und sagte: „Nein, es gibt keinen Plan B, es gibt nur Schauspiel“.
Du hast bei „TheaterTotal“ die Hauptrolle gespielt und für deine Darstellung viel Lob bekommen. Wie ging es schauspielerisch danach fur dich weiter?
Ich bin dann an diversen Schauspielschulen vorsprechen gegangen. Die erste war damals die renommierte Ernst Busch Schauspielschule in Berlin, die wollten mich aber nicht und so habe ich weiter vorgesprochen. Man lernt beim Vorsprechen immens viel dazu, man sieht die anderen und kann sich vergleichen, sich selbst aber auch immer mehr einfügen und mehr herausfinden, um was es den Schauspielschulen eigentlich geht und auf was sie achten. 2010 hat es dann an der Folkwang Universitat der Künste geklappt. Ich weiß noch, wie ich in mein Tagebuch schrieb, ich sei der glücklichste Mensch der Welt, zumal mein damaliger Freund an der selben Schule angenommen wurde. Ich hatte das Gefühl, dass alles so sein sollte und ich empfand eine unglaubliche Euphorie daruber, dass ich nun diesen Beruf lernen durfte.
Allerdings ist ein Teil der Grundlagen, die man zu Beginn des Studiums erlernt, darauf ausgerichtet, sich zu öffnen und seine individuellen Lebenserfahrungen, also sein eigenes Material zur Verfügung zu stellen. Das heißt, dass man direkt zu Beginn in eine sehr intensive Auseinandersetzung mit sich selbst geht und das in einem Alter, in dem man noch so jung und emotional ist: Alles war damals so groß und so bedeutsam fur mich. Dieses Gefühl hat mich damals total übermannt. Außerdem ging meine Beziehung kaputt und meine Mutter starb. Ich habe das alles nicht mehr gepackt und glaube auch, dass man gerade für den Anfang eines Schauspielstudiums eine gewisse Stabilität braucht, um das wirklich durchziehen zu konnen – die hatte ich an dem Punkt nicht mehr.
Das heißt, du hast dein Schauspielstudium erst einmal abgebrochen?
Ja, genau. Das war zu der Zeit einfach zu viel. Ich zog nach Berlin, um erst einmal Abstand zu gewinnen, habe hin und wieder gedreht, nebenher gejobbt und dann kam ziemlich überraschend das Angebot fur die Kinderserie „Hotel 13“. Ich sollte dort eine der Hauptrollen übernehmen und zog dafür nach Antwerpen. Erst nachdem ich ein Jahr die Liv Sonntag gespielt habe und immer deutlicher spürte, dass ich das, was ich dort mache, überhaupt nicht machen will und damit in keinem Fall berühmt werden will, bin ich wieder vorsprechen gegangen und wurde dann 2012 in Hannover an der Hochschule fur Musik, Theater und Medien angenommen. Ja, und da bin ich immer noch.
Wie sieht denn so ein typischer Tag an einer Schauspielschule aus?
So gegen 8 Uhr morgens verlasse ich das Haus, da die Schule um 9 Uhr anfängt. Morgens haben wir zwei Stunden Bewegung: Yoga, Fitness, jeden Tag ein anderes Bewegungsprogramm. Danach geht es weiter mit Sprechunterricht, Gesang und Fechten, nach der Pause findet dann meist die Szenenarbeit statt. So gegen 21 Uhr ist der Tag zu Ende und ich fahre nach Hause, bereite mir mein Essen für den nächsten Tag zu und gehe schlafen. Am nächsten Morgen stehe ich dann wieder früh auf und verlasse um 8 Uhr das Haus. So zieht es sich eigentlich seit Beginn des Studiums durch – man lebt nur noch für den Ort und die Menschen dort.
Wie viel Zeit bleibt denn da noch für andere Dinge?
Keine, und das sage ich ganz bewusst so. Die Schauspielausbildung funktioniert nach dem Alles-oder-Nichts-Prinzip und Schauspiel ist definitiv kein Beruf, den man zum Feierabend abgibt. Schauspiel ist immer da – rund um die Uhr. Deswegen ist es mir auch so wichtig, Grenzen abzustecken. Zum Beispiel nach der Probe duschen zu gehen, um die Rolle abzustreifen oder sich das Ritual aufzuerlegen, zu Hause nie Text zu lernen, sondern dafür immer in die Hochschule zu fahren. Ich glaube, dass solche Rituale sehr wichtig sind, weil die Dinge sonst noch mehr miteinander verschwimmen und so viel Zeit und Raum einnehmen.
Sind die Rollen, die du in den vergangenen Jahren gespielt hast, ein Teil von dir geblieben oder ist das nur ein Job?
Rollen sind immer ein Teil von einem selbst, man erschafft sie ja und schenkt ihnen das Leben. Meine letzte Rolle ist da ein gutes Beispiel: Wir haben sechs Monate an Dostojewskis „Verbrechen und Strafe“ geprobt. Ich spielte einen pädophilen Adligen, der seine Frau umgebracht hat und seine sexuelle Lust offensiv auslebt. Während dieser Zeit stieß ich auch auf mein inneres männliches Geschlecht, trug betont männliche Kleidung, fand plotzlich Frauen attraktiv und habe den adligen Swidrigailow wirklich verstehen gelernt. Irgendwann schlug das ganze dann wieder komplett um und ich entwickelte ein starkes Bedürfnis danach, meine Weiblichkeit wieder sichtbar zu machen. Ich schminkte mich viel mehr als gewöhnlich, kleidete mich wie ein Vamp und holte mir quasi die vergangenen Wochen wieder zuruck. Das war eine sehr intensive Erfahrung.
Ich habe ein Zitat von der deutschen Schauspielerin Jessica Schwarz mitgebracht: „Wer immer auf der Suche nach Anerkennung und Liebe ist, der ist schon ein Stück weit tragisch.“ Wie stehst du zu dieser Aussage“?
Ich würde sagen, dass wir grundsätzlich alle nach Liebe und Anerkennung streben. Ich bin da ein wenig im Zwiespalt. Ich weiß natürlich darum, dass für viele SchauspielerInnen die Anerkennung der Antrieb ist und sich aus dieser Sucht danach auch eine gewisse Abhangigkeit entwickeln kann, aber bei mir verhält sich das derzeit ganz anders. Bei mir hat sich das vielmehr zu einer Angst umgekehrt. Ich habe mittlerweile einfach Angst davor, auf die Bühne zu gehen und für meine Leistung eben nicht wertgeschätzt zu werden, sodass ich es gerade einfach versuche, ganz zu vermeiden, auf der Bühne zu stehen.
Womit hat diese Angst zu tun und woher kommt sie, weißt du das?
Das ist eigentlich erst seit dem Studium so und wurde immer schlimmer. Besonders extrem war es in der letzten Produktion. Ich habe ein halbes Jahr an meiner Rolle gearbeitet und sie täglich geprobt und dann bei jeder Aufführung so unglaublich gelitten. Ich habe in dieser Zeit einfach gemerkt, dass ich jeglichen Instinkt fürs Spielen verloren habe, und hatte das Gefühl, keinerlei Berechtigung mehr zu haben, überhaupt hier zu sein. Ich musste immer an Nina aus Tschechows „Die Möwe“ denken , als sie sagt: „Ich wusste nicht wohin mit meinen Händen und verstand nicht mehr die Sprache zu benutzen. Sie begreifen diesen Zustand nicht, wenn du fühlst, du spielst schrecklich“. An der Schule lernt man so viel technisches Handwerk und ich kann definitiv sagen, dass ich ausgebildet bin, aber die eigene Kreativitat ist dabei gänzlich verkümmert. Ich hatte früher so viele Ideen, sprudelte vor eigener Kreativitat und empfand so viel Spielfreude, und jetzt ist nur noch ein Klumpen Angst zurückgeblieben. Mich dann noch den Beurteilungen und Blicken vom Publikum auszusetzen, fand ich einfach schrecklich.
Du hast vorhin gesagt, dass es früher für dich keinen Plan B gab. Gibt es denn jetzt?
Ich habe mich mittlerweile tatsächlich mit Alternativen zur Schauspielerei beschäftigt, also etwas gesucht, das ich abseits des „Auf-der-Bühne-Stehens“ mit der Ausbildung noch machen könnte, zum Beispiel selber zu unterrichten. Aber sicher bin ich mir da noch nicht. Wo ich mir aber sicher bin ist, dass der Beruf der Schauspielerin für mich ein ungesunder ist. Ich will das nicht verallgemeinern, aber es ist doch absurd, dass wir auf der Bühne das Leben darstellen sollen und selber überhaupt keine Anteilnahme haben. Die Situation an Theatern und auch beim Film ist so prekär, bietet keinerlei künstlerische Freiheit, keine Zeit fur andere Sachen, dass ich mich langsam anfange zu fragen, wie man das aushalten soll.
Du sagtest eben, dass dir das „Auf-der-Bühne-Stehen“ Angst macht. Aber es gab eine Zeit in deinem Leben, in dem du viel im Rampenlicht standest. Als Liv Sonntag konnte man sogar Bettwäsche von dir kaufen. Was hat das damals in dir ausgelöst?
Das war schon absurd, überall in Berlin die riesigen Plakate mit mir zu sehen, aber ausgefüllt hat mich das nicht. Auch der Rote Teppich ist doch an sich nichts weiter als ein riesiger Fake. Irgendwie wünscht man sich zwar, dass solche Erlebnisse einem etwas geben, stellt dann aber fest, dass das illusorisch ist. Solche Veranstaltungen, auf denen die Stars schöne Kleider tragen und in die Kamera lächeln, sind pure Inszenierungen, bei denen eine Art Vereinbarung getroffen wird: Heute ist man Heldin, ist gut drauf und einfach perfekt. Aber nach der Veranstaltung geht dieses Licht wieder aus. Man wird zwar gesehen, aber nie wirklich verstanden. Als ich in Antwerpen lebte, war eigentlich auch alles perfekt. Ich hatte ein geregeltes Einkommen, lebte in einer wunderschönen Stadt in einer wunderschönen Wohnung. An den Wochenenden gaben wir manchmal Autogrammstunden und ständig schrieben mich Fans an, um mir zu sagen, wie toll sie mich finden.
Und trotzdem war ich immer allein und fühlte mich nicht gesehen und als Julia nicht verstanden. Außerdem war ich so unzufrieden mit der Produktionsfirma, die mit all dem Merchandising so viel Kohle machte und für die ich immer wieder mein Gesicht in die Kamera hielt. Ich erinnere mich noch an ein Fotoshooting aus dieser Zeit. Der Fotograf war so ein richtiger lüsterner Lustmolch und einfach unausstehlich. Und während ich das dachte, warf ich ihm dennoch Küsschen Richtung Kamera zu. Ich habe mich verkauft.
Warum hast du dich denn damals dazu entschieden, das Angebot anzunehmen?
Ich lebte zu der Zeit in Berlin und konnte mich mit einem Mini-Job in einem Waffel- und Crepes-Laden gerade so uber Wasser halten. Die Aussicht auf ein festes Gehalt, die Sicherheit und der Fakt, dass ich gerade eh nichts anderes hatte, führten dazu, dass ich das Angebot annahm. Es ist eben nicht mehr möglich, sich die Angebote selber auszusuchen. Charakter kostet dich Geld, und Idealismus ist in der Branche einfach fehl am Platz.
Du beendest im Oktober dein Studium. Was kommt dann?
Um ehrlich zu sein beschäftigen mich vor allem die 50 000 Euro Schulden, die ich durch das Studium habe. Das macht mir Angst und ich weiß nicht wirklich, was ich machen soll. Auf der einen Seite hab ich das Bedürfnis, Leben zu erfahren. Ich will reisen, fühlen, einfach leben. Ich habe so einen Drang, die Sinnlichkeit des Lebens zu erfahren. Vielleicht gehe ich aber auch an den Theatern vorsprechen, um zu gucken, wohin es mich verschlagen würde. Oder aber ich gehe nach Berlin, jobbe erst einmal, drehe hier und da, um die Schulden abzubezahlen und mich irgendwie finanziell über Wasser halten zu konnen. Ich weiß es alles noch nicht. Ich weiß gerade gar nichts. Im Studium bin ich die ganze Zeit auf einem ziemlich hohen Energielevel und muss schlichtweg funktionieren, da ist kein Platz fur Zukunftsgedanken.
Hast du Angst davor, dass nach dem Studium die ganz große Emotionalität kommt?
Ja, ich glaube schon, dass ich Angst habe. Immer, wenn ich kurze Momente der Entschleunigung habe, merke ich das. Ich weiß nicht, was dann genau aus mir herausbrechen wird, aber ich merke, dass da was kommen wird. Ich wünsche mir derzeit einfach nichts mehr, als wieder ins richtige Leben zu finden, zu mir zu finden und einfach Ruhe zu finden. Ich will endlich Zeit haben für schöne Sachen und verspüre eine unsagbar große Sehnsucht nach Stille.
Meine letzte Frage, Julia: Willst du Schauspielerin werden?
…Ich wollte es mal.