Seit dem 1. Oktober blieben die Türen der Kunsthalle Bremen verschlossen. Hereingelassen wurden nur die Fahrer*innen der Transporter, die neue Kunstwerke mitbrachten. Neue Kunstwerke für die Sonderausstellung „Ikonen. Was wir Menschen anbeten“, die vom 19. Oktober 2019 bis zum 1. März 2020 in der Kunsthalle zu sehen ist.
Die Kunsthalle Bremen hat sich nackig gemacht: Alle 60 Räume des Bauwerks zwischen Weser und Wallanlagen wurden leergeräumt, kein Gemälde an der Wand gelassen. Grund für die Komplettsanierung ist die neue Sonderausstellung „Ikonen. Was wir Menschen anbeten“, die am 19. Oktober ihre Eröffnung feierte. Damit wagt sich das Team der Kunsthalle Bremen an eine Ausstellung, die in ihrer Konzeption und Präsentation bisher einmalig ist: Die Räume wurden nicht nur entstaubt, sondern sollen nun auch alle in die neue Ausstellung eingebunden werden. Trotz einer Vielzahl von Sälen verfolgen die Kurator*innen Eva Fischer-Hausdorf und Christoph Grunenberg eine minimalistische Idee: In jedem Raum zeigen sie ein Werk, isoliert von den anderen und eingebettet in eine individuelle Atmosphäre. So wird Vincent van Goghs Selbstbildnis mit grauem Filzhut beispielsweise in einem gelb gestrichenen Raum präsentiert. „Es geht um die singuläre Begegnung mit den Kunstwerken; sei es ästhetisch, emotional, intellektuell oder spirituell“, berichtet Grunenberg, Kurator und Direktor der Kunsthalle Bremen.
Weltuntergangsstimmung bei John Martin (John Martin, The Great of His Wrath, 1851-1853)
Zusammengestellt haben die Kurator*innen eine Komposition von Leihgaben aus der ganzen Welt. Kunstwerke vom 13. Jahrhundert bis heute finden in der neuen Ausstellung zusammen und sollen den Besucher*innen den Begriff der Ikone vermitteln; aufzeigen, wie er sich von seinem religiösen Ursprung zu einem alltäglichen Phänomen entwickelte und welche Bedeutung er in der Gegenwart spielt.
Ikonen heute: Berühmt für 15 Minuten
Mit der Ausstellung fühlt das Team der Kunsthalle dem Geist der Zeit auf den Zahn: „Heute ist alles ikonisch. Jeder kleine Star wird nach drei Wochen in den Medien zur Ikone erhoben“, erklärt Grunenberg. In vier verschiedenen Themenräumen, die den Gang durch die Geschichte der Ikone unterbrechen, zeigen die Kurator*innen, wie soziale Medien den Begriff verändern, ihn schnelllebiger machen und „jeder mal für 15 Minuten berühmt sein kann“, so Grunenberg. Doch nicht nur Influencer*innen sind ikonisch; auch der hohe Stellenwert von Markenprodukten ist unangefochten. Allein durch einen Werbespruch oder eine Titelmelodie werden Erinnerungen an und Erfahrungen mit den entsprechenden Marken im Kopf hervorgerufen. Wer das nicht glaubt, kann sich bei einem Markenquiz selbst davon überzeugen und womöglich hat der eine Schokoriegel und die bestimmte Baumarktmelodie doch mehr Einfluss als erwartet.
Die „Ikonisierung des Ichs“ zwischen Selfies mit der Mona Lisa und Yoga Tutorials auf Youtube
Doch nicht nur die thematisch geprägten Räume geben der Ikone ein zeitgenössisches Gesicht. Beim Gang durch die Ausstellung wechseln die Eindrücke immer wieder von den religiösen Ursprüngen des Mandylion, einem göttlich gemachten Abbild Christi, zu aktuellen Interpretationen des Schnitzaltars, wie dem von Kehinde Wiley. Von ikonischen Persönlichkeiten, wie Vincent van Gogh, geht es zu ikonisierten Gegenständen, wie dem Pissoir von Marcel Duchamp oder einem übergroßen Ballon-Hund aus rotem Metall von Jeff Koons. Trotz seiner imposanten Größe werden die Betrachtenden nicht überfordert. Die Zusammenstellung und Aufteilung der Exponate bietet genug Platz, um sich während der Tour vom Vorhergesehenen erholen und gleichzeitig in einzelnen Werken verlieren zu können.
Ikonische Kunst geht aber weiter als es die bildliche Darstellung vermag: Mithilfe von 40 elliptisch angeordneten Lautsprechern wird jede einzelne Stimme der Mitglieder eines Chores abgespielt. Das musikalische Werk aus der Renaissance, das dafür als Vorbild dient, wurde für die Ausstellung neu einstudiert und soll zum Ausdruck bringen, dass das Ikonische über das bildlich Dargestellte hinausgeht. Damit greifen die Aussteller*innen das historische Bilderverbot und – noch grundsätzlicher – die Frage auf, ob es von allem Bilder braucht.
Zwischen Mauerfall und Klimastreik
Mit einem Ikonen-Gang , einem länglichen dunklen Raum mit installierten Bildschirmen an den Wänden, will die Ausstellung einen sozialen Anspruch erfüllen: Gezeigt werden einprägsame Momente und berühmte Persönlichkeiten, die die meisten Besucher*innen direkt erkennen und mit eigenen Erinnerungen verbinden sollten. Mit dabei sind unter anderen Greta Thunberg, Mutter Teresa und Martin Luther King, aber auch Momente, wie der Mauerfall 1989 und die Anschläge des 11. September 2001 in New York. Durch die Verbindung von aktuellen Momentaufnahmen und historischen Ausstellungsstücken schlagen die Kurator*innen die Brücke zwischen alt und neu, gehen alten Fragen nach, werfen neue auf und zeigen, wie verankert das Ikonische im eigenen Leben ist.
Bis zum 1. März 2020 ist die Ausstellung für Besucher*innen geöffnet. Neben dem klassischen Kunstprogramm finden zahlreiche Veranstaltungen – Tanzperformances, Filmvorstellungen in der Bremer Schauburg und Gesprächsrunden – statt. In einer Podiumsdiskussionam 14. Januar 2020 soll es zudem um Influencer*innen gehen, um ein Berufsfeld zwischen unterstellter Talentlosigkeit und tatsächlichem Einfluss auf aktuelle Trends. Und vielleicht schafft es auch die Kunsthalle Bremen mit ihrem neuen Konzept einen Trend für die Kunstwelt zu setzen.
von Monika Dzialas
Bildquelle: Caspar David Friedrich artist QS:P170,Q104884, Caspar David Friedrich 020, Zugeschnitten von KROSSE, CC0 1.0