Keine Meinungsfreiheit, kontrollierte Massenmedien und ein zukünftiger Impfzwang. Mit diesen Parolen demonstrieren viele Menschen gegen die Corona-Maßnahmen. KROSSE besuchte eine “Demo für Grundrechte” in Bremen, um herauszufinden, was die Leute dort motiviert auf die Straße zu gehen.
Kommentar vorab: Der folgende Bericht zeigt ein Meinungsbild über Teilnehmende der „Demo für Grundrechte“ in Bremen auf der Bürgerweide. Die dort getätigten Aussagen entsprechen nicht unseren Ansichten. Wir distanzieren uns ausdrücklich von denen auf der Demonstration teilweise gefallenen, antisemitischen und menschenfeindlichen Aussagen. Allerdings wollen wir auch nicht jeden Demonstrierenden als Verschwörungstheoretiker, Nazi oder Antisemiten bezeichnen. Oft wird keine bewusste antisemitische oder nationalistische Ideologie verbreitet, da aus einigen Teilnehmenden nur die Angst vor der eigenen Zukunft spricht. Trotzdem sollten sich die Personen, die sich nicht als solche identifizieren, überlegen mit wem sie zusammen demonstrieren. Sie sind einer demagogischen Rhetorik und Angstmacherei von den Naidoos, Hildmanns etc. ausgesetzt, die der von Adolf Hitler gleicht und eine schon fragmentierte Gesellschaft noch weiter spalten soll.
Mina* und Moritz
Unter diesem Wakelet-Link findet ihr ergänzendes Storytelling zu dem Thema dieses Artikels. KROSSE wird zukünftig öfter mit den Funktionen von Wakelet arbeiten. Probiert es doch selbst einmal aus!
Mindestabstand einhalten, Mundschutz tragen und soziale Kontakte beschränken. Die Corona-Krise hat unser öffentliches Leben gravierend verändert. Für einige sind die Maßnahmen zu streng, sodass sie Angst vor der Zukunft und der Ausübung ihrer Grundrechte haben. Auf Demonstrationen, den sogenannten „Hygiene-Demos“ oder „Demos für die Grundrechte“ protestieren die Corona-Skeptiker lautstark gegen die Corona-Maßnahmen. Um konkret herauszufinden, wie und in welcher Form sich die Menschen dort in ihren Grundrechten beschränkt fühlen und was sie von Corona und den damit verbundenen Einschränkungen halten, besuchten wir am 16. Mai eine „Demo für Grundrechte“ in Bremen.
Skepsis gegen die Presse
Etwa 175 Personen versammelten sich an diesem trüben Samstagnachmittag, um gegen die Corona-Politik zu demonstrieren. Obwohl die meisten Demonstrierenden den Beschränkungen skeptisch gegenüberstehen, wurde während des Protests penibel auf die Einhaltung des Sicherheitsabstandes geachtet, wofür aufmerksame Ordner sorgten. Auch die Presse stand an dem Tag unter besonderer Aufsicht. Neben dem mehrmaligen Zeigen des Presseausweises sollten wir nach Aufforderung einer Ordnerin unsere persönlichen Daten in eine Liste eintragen. Wir verwiesen auf das Recht, frei als Journalisten von der Veranstaltung berichten zu dürfen. Bei der Nachfrage, wofür man die persönlichen Informationen bräuchte, begründete man dies mit angeblich schlechter und subjektiver Berichterstattung über die „Anti-Corona-Demos“ seitens der Medien. Nach einigen Diskussionen mussten wir unsere Daten den Veranstaltern aber schlussendlich nicht überlassen. Also setzten wir unsere Berichterstattung fort.
Die Meinungen zu Covid-19 gehen auseinander
An dem Tag der Demo zeigte sich ein breitgefächertes Meinungsbild über die Gefährlichkeit des Corona-Virus unter den Demonstrierenden. Wie zum Beispiel bei Eli (* alle Namen wurden von der Redaktion geändert), der an dem Protest mit seinen zwei Söhnen teilnahm. Der alleinerziehende Vater stuft Corona schon von Anfang an als ernstzunehmende Krankheit ein, findet die Maßnahmen allerdings überspitzt. Eine bessere Variante mit der Pandemie umzugehen, habe das EU-Land Schweden gefunden. Seiner Meinung nach seien die Beschränkungen dort besser an die Gefährlichkeit des Virus angepasst. Eli hat auch mit den Folgen des Lockdowns zu kämpfen. Kurzarbeit und Homeschooling überfordern ihn als Vater. Für Ex-Polizist Ernst Günther bewegen sich die Corona-Viren im Rahmen von gefährlichen Influenzaviren. Trotzdem verstoßen die aktuellen Maßnahmen gegen das Grundgesetz, erzählt er uns, ohne dabei einen Mundschutz zu tragen. Denn dieser sei nachweislich gesundheitsgefährdend.
Neue Weltordnung und die Simpsons
Grundgesetzwidrig. Ein Zustand wie ihn auch Eva beschreiben würde. Die ältere Dame protestiert laut klatschend mit ihrer Tochter gegen die aktuelle Situation. Für die Mutter ist Corona nicht gefährlich. Auf einem Klappstuhl sitzend stellt sie lautstark die Anzahl der Corona-Toten infrage. Für sie seien diese Statistiken gefälscht. Noch überspitzter formuliert es Peter. Covid-19 sei im Labor gezüchtet worden und Teil einer neuen Weltordnung. Angeführt von den Bilderbergern, einer Versammlung wichtiger Personen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, wollen sie in Zusammenarbeit mit Bill Gates die Weltherrschaft übernehmen. Diese antisemitische Behauptung wurde durch die Angst vor der Kontrolle durch eine Machtelite, dominiert von dem Feindbild „Bill Gates“ und die Angst vor einem Impfzwang, komplettiert. Auf die Nachfrage, woher er diese Informationen habe, nannte er als eine konkrete Quelle die Simpsons. Für ihn seien diese durchaus eine ernstzunehmende Quelle, da einige Geschehnisse in ihren Folgen nachher in Realität so stattgefunden haben. Auch Jurik berief sich angesichts der Corona-Krise auf eine Weltuntergangsprophezeiung. Jüdische Machteliten als Marionetten einer finsteren Macht wollen laut ihm die Herrschaft an sich reißen.
„Linienkonforme Massenmedien“
Im Gespräch mit den Teilnehmenden der Hygienedemo war erkennbar, dass viele die Medienlandschaft als einen Block “linienkonformer Massenmedien” wahrnehmen. Kritische, differenzierte Berichterstattungen wurden total ausgeblendet. Es gab kaum Differenzierung zwischen Öffentlich-Rechtlichen und anderen Medieninstitutionen, wie dem Spiegel, da einige Personen davon ausgehen, dass auch private Medienhäuser die öffentlichen Rundfunkgebühren erhalten würden. Inhaltliche Kritik an den Hygienedemos durch die Medien wurde von dem aufgebrachten Harald, Birte und Anja, einer Angestellten einer Waldorfschule, auf der Demo mit einem Lachanfall beantwortet. Für alle Drei seien die Öffentlich-Rechtlichen “komplett gelenkt” und andere wiederum gekauft. Generell sind die Informationsplattformen der Teilnehmenden vielfältig. Viele beziehen sich auf die öffentlich-rechtlichen Medien oder seriöse Zeitungen wie Zeit oder Spiegel. Aber auch viele private Quellen oder eindeutig rechtspopulistische Nachrichtenkanäle wie „Never forget Nikki“ oder “Tichys Einblick” sind gängige Informationsplattformen.
Teilnehmende empfinden sich als Opfer der Medien
Harald* beklagt vor allem eine falsche Berichterstattung über die Bremer Hygienedemo und beruft sich im nächsten Satz auf Falschinformationen vom rechtspopulistischen Meinungsmacher Ken Jebsen, der eine Führungsfigur dieser Bewegung ist. Bei der Konfrontation mit den Fakten zur marginalen Finanzierung der Weltgesundheitsorganisation durch die Bill und Melinda-Gates-Stiftung kam von dem zuvor sehr bedacht und ruhig sprechenden Robert Koch die Antwort: “Muss man selbst wissen, was man glaubt”. Die Mehrheit der Teilnehmenden fühlt sich “diffamiert“ durch die Medien. Ernst Günther beklagt, dass er auch “sozial fertig” gemacht werden würde. Anja beklagt sich, dass sie “sogar im Bekanntenkreis” für ihre Ansichten kritisiert werde. Meinungsfreiheit gebe es nicht mehr, so ihre feste Überzeugung. Die medial thematisierte Nähe zu Verschwörungstheorien und Rechtsradikalität im Zusammenhang mit den Hygienedemos dienen laut Harald nur dazu, sie alle zu “brandmarken”, da sie gegen den Mainstream demonstrieren würden.
Kaum Abgrenzung zum Antisemitismus
Klare Abgrenzungen zu antisemitischen Aussagen von Leitfiguren der Corona-kritischen Bewegung mit Anhängern wie Ken Jebsen waren auf der Demo Mangelware. Ernst Günther gab zu, dass sich die Aussagen von Ken Jebsen für ihn an “der Grenze zu Antisemitismus” befänden, relativierte dies aber zugleich, indem er weiter ausführte: “Antisemitismus ist so verbreitet, wenn man die alle ausschließt, findet man kaum noch Gesprächspartner. Israelkritik sollte man auch mal stehen lassen.” Birte*, die mit Anja* auf der Demo war, erwiderte auf die Frage, warum sich im Aufruf nicht explizit von Antisemitismus distanziert werde: “Wir distanzieren uns doch von Rassismus, wovon sollen wir uns denn noch distanzieren? Von den grünen Blättern auf dem Baum?”
Antifaschistischer Gegenprotest
Bei den beiden ersten Hygienedemos in Bremen gab es Gegenproteste von mehreren linken Gruppen. Die Bremer Klimagerechtigkeitsgruppe Ende Gelände beteiligte sich an den Protesten und schrieb auf Nachfrage, dass sie die Ablehnung von Coronaschutzmaßnahmen als “zutiefst unsolidarisch” empfinde. Sie argumentierten den Gegenprotest auch in Zeiten von Corona folgendermaßen: „Kein Fußbreit den Nazis bedeutet auch dann aktiv zu sein, wenn rechtsoffene, heterogene, esoterische Bewegungen rechte und antisemitische Inhalte zulassen und nicht in der Lage sind, diese zu erkennen oder sich davon abzugrenzen.“
von Mina* und Moritz Gammersbach
*Namen durch die Redaktion geändert