„Luigi Colani und der Jugendstil“ heißt die aktuelle Ausstellung im Paula Modersohn-Becker Museum, die sich auf drei Etagen dem deutschen Designer und seinen runden, extravaganten Formen widmet.
1928 in Berlin geboren und dort aufgewachsen, wurde Colani von seinen Eltern so erzogen, dass er sein eigenes Spielzeug bauen sollte. Mit seinen früh erworbenen künstlerischen Fähigkeiten konnte er einem Studium der Bildhauerei zunächst wenig abgewinnen. Er zog nach Paris und studierte stattdessen Aerodynamik und Ultraleichtbau. Darauf folgte noch ein Studium der analytischen Philosophie in Sorbonne. Seine größte Bekanntheit erlangte er dann in Asien, ab den 70er Jahren war er hauptsächlich für japanische und chinesische Firmen tätig.
Philosophie und Ingenieurwesen – wie geht das zusammen?
Die Werke in der Ausstellung des Paula Modersohn-Becker Museums zeigen das sehr anschaulich: Eine grenzenlose Naturverbundenheit im Design und Perfektionismus in der Ausführung.
Gleich im ersten Raum steht einer der bekanntesten Design-Klassiker Colanis: Eine Liege und ein Sessel aus der Serie „TV-Relax“. Setzten ist hier ausdrücklich erlaubt und man kann selbst erleben, was Colani so gut beherrschte: Die Form des Sessels schmiegt sich perfekt an den Körper an.
Nach einer kurzen Verweilpause gibt’s eine Einführung in den Jugendstil. Hier stehen nicht nur Vasen und Stühle, sondern auch Zäune aus der Pariser Metro. Colani muss sie in seiner Studienzeit in Paris bewundert haben. Diese klassischen Jugendstilformen bereiten auf das vor, was sich in den nächsten Räumen fortsetzt: Geschwungene Formen und fließendes Design.
Ein Fernseher, verschiedene ergonomische Stühle und Hocker und eine Teekanne, von welcher der Designer selbst behauptet, es sei „DIE Teekanne schlechthin“. Colanis Werke werden dabei oft mit seinen Vorbildern aus dem Jugendstil ausgestellt. Wenn auch einige Formen und Vorstellungen von ihm aufgefasst werden, hat er nie schlicht kopiert. Man erkennt das typische Design direkt.
Die Kunst spricht für sich?
Dass Colani aber auch der Meister der Selbstinszenierung war, wird in der Ausstellung immer wieder deutlich. Seine druckreifen Zitate schmücken die Ausstellungsräume und präsentieren ihn als revolutionären Vordenker seines Metiers.
Colani kritisiert die Gesellschaft, Designer, Ingenieure und auch die Möbelindustrie ist ihm zu langweilig und einfältig. Klar, einfältig und langweilig sind seine Möbel definitiv nicht. Und zum Glück ist er ja da, um uns alle von dieser schrecklichen Tristesse zu erlösen.
Es folgen dann auch Einblicke in ein allumfassendes Gesellschaftsmodell, das Colani entworfen hat. Eine ganze Lebensart als Antwort auf eine, aus seiner Sicht, noch recht prüde Gesellschaft. Er nennt es „Ylem“.
Begeisterung für das Badezimmer
Ja, nicht nur unsere Gesellschaft wollte Colani revolutionieren, sondern auch unsere Badezimmer. Gleichberechtigt mit dem Wohnzimmer sollte es sein, zum Verweilen einladen. Er arbeitete zeitweilig als Designer für Villeroy & Boch und entwarf dort sein berühmtes „Doppelwaschbecken“, das im Museumsraum nicht weniger imposant wirkt. Große Räume konnte er definitiv gestalten und ausfüllen. Wahrscheinlich sind wir aber immer noch nicht bereit für seine große Bad-Vision.
Designer für Alles
Neben diesen großen, imposanten Objekten finden sich in der ganzen Ausstellung auch immer wieder kleinere Dinge. Computer-Mäuse, ein Joystick, Türknäufe und sogar die Bewegungsmelder im Museum. Alles aus Colanis Hand.
Ein rundes, naturbetontes Design, das sich an Körper und Umgebung anpasst, haben sie alle gemein. Man bekommt direkt eine Idee davon, wie es sich wohl in der Hand anfühlen würde, auch, wenn man vieles natürlich nicht anfassen kann.
Der Ingenieur für sparsame Fortbewegung
In der obersten Etage ist man dann endgültig in einer anderen Welt gelandet. Hier finden sich Fahrzeugmodelle, Hubschrauberprototypen und ein Modell von Colanis eigenem Promo-LKW. Seine Fähigkeiten im Ultraleichtbau und der Aerodynmaik scheinen hier in Perfektion ausgeführt, er galt als Vorreiter in der Elektromobilität und bei spritsparenden LKWs. In Serie ging keins seiner stromlinien-optimierten Fahrzeuge. Colani kritisierte auch hier die Industrie als verschwenderisch und resistent gegenüber Neuerungen. Was so aktuell, wie noch nie scheint, hatte er sich bereits in den 70er Jahren ausgedacht.
Dennoch, das Design, was manche als „seiner Zeit voraus“ bezeichnen würden, wirkt teilweise eher wie durch die SciFi-Brille der 90er Jahre gesehen. Leicht verrückt, definitiv faszinierend und seine Kritik an der Auto-Industrie oft noch erschreckend aktuell.
Only to be seen in Bremerhaven
Ein bisschen Colani steckt also in fast allen Bereichen unseres Alltags. Beinahe hätte er sich auch hier bei uns im Norden verwirklicht. In den 70er Jahren suchte die Stadt Bremerhaven nach einer Möglichkeit, ihr angeschlagenes Image aufzupolieren und traf dabei auf Colani.
Der war direkt Feuer und Flamme und wollte das Stadtbad zu einem Kunst-Mekka verwandeln. Nahezu alle Politiker:innen damals waren sich einig: Colani macht aus Bremerhaven endlich mal wieder was!
Der Slogan für die Plakate stand auch schon: Mit „Only to be seen in Bremerhaven“ versprach der Designer weltweit zu werben.
Der ganze Deal platzte letztendlich und bis heute bleibt es bei dieser kuriosen Geschichte.
Wenn man mit diesem Wissen durch die Ausstellung im Paula Modersohn-Becker Museum läuft und sich versucht auszumalen, wie wohl so ein Colani-Stadtbad in Bremerhaven aussehen würde, wird es mitunter skurril. Und ob dieses Vorhaben wirklich den gewünschten Effekt auf das Image der Seestadt gehabt hätte, bleibt wohl fraglich.
Ob Alltagsdesign oder extravagant eine Sache kann man Colani nicht absprechen: die Kunst der perfekten Selbstinszenierung.
Die Ausstellung „Luigi Colani und der Jugendstil“ ist noch bis zum 19. Juni 2022 im Paula Modersohn-Becker Museum in der Böttcherstraße zu sehen. Alle Infos findet ihr unter diesem Link.
von Leon Meyer