Unter diesem Titel findet die 58. Biennale in Venedig statt. Die Internationale Kunstmesse wird alle zwei Jahre organisiert und bespielt dabei, neben den zwei Hauptaustellungsorten Gardini und Arsenale, auch Gebäude der ganzen restlichen Stadt. Der Name der diesjährigen Biennale ist dabei Programm und setzt sich auf interessante Weise mit der Gegenwart auseinander, wie KROSSE-Redakteurin Eleni Maurischat vor Ort herausfand.
Gardini
Als ich Dienstag morgens vor den Toren von Gardini ankomme, hat sich dort bereits bereits eine ansehnliche Menschenmenge versammelt. Zum Glück kann ich die wartenden Massen hinter mir lassen, dem Vorverkauf sei Dank. Sie alle wollen die Werke der Hauptausstellung sowie die einzelnen Länderbeiträge in den Pavillons begutachten. Ansehen wäre keine passende Umschreibung für diese Art der Musterung, welcher die Kunstwerke unterzogen werden. Mit den kritischen Blicken vermeintlicher “Kenner” inspizieren die meisten Besucher die Arbeiten. Gefühlt darf nichts einfach wirken, ohne analysiert und auseinandergenommen zu werden. Erfrischend ist da Guide Christina, die Kunstvermittlering, die mich und die (Pseudo-)Experten durch die Hauptausstellung führt. Sie hat auf der Eröffnung der Biennale mit allen beteiligten Künstlern gesprochen und diese nach Erklärungsansatzen für ihre Arbeiten gefragt. Viele lieferten, wenn überhaupt, nur eine vage Auskunft. Somit wird es den Betrachtern überlassen, über die Bedeutung der Werke zu sinnieren. Raum für Raum führt Frau Christina uns durch das große Gebäude, in welchem einem kühle Nebelschwaden empfangen – ebenfalls ein Kunstwerk, welches an einen rauchenden Kopf erinnern soll. Dieser sei bei all den unterschiedlichen Ausstellungsstücken vorprogrammiert, scherzt unsere Vermittlerin. Mir bieten die Nebelschwaden jedenfalls eine willkommene Abkühlung von der Morgenhitze Venedigs.
Künstlereliten versammeln sich
Die Hauptausstellung wurde von Ralf Rugoff, der auch für den rätselhaften Titel der diesjährigen Biennale verantwortlich ist, kuratiert. Er traf die Auswahl der 79 Künstler, die sowohl hier im Gardini, als auch in der zweiten Hauptlocation, der Arsenale, vertreten sind. Viele, so Christina, nutzen die zwei Standorte als Chance um die Vielseitigkeit ihrer Arbeiten zu präsentieren. Ein Besuch beider Ausstellungen sei also durchaus empfehlenswert. Außerdem sind die Länderpavillons auf Arsenale und Gardini, sowie ausgewählte Orte in der Stadt verteilt. Nach der Führung durch die Haupausstellung zeigt Christina uns noch den belgischen Pavillon, der dieses Jahr den silbernen Löwen gewann. Im Innern präsentiert sich uns ein Panoptikum aus mechanischen Puppen. In der Mitte des Gebildes sind Puppen aufgestellt, die alle stark mitteleuropäisch anmuten und einer Tätigkeit, wie Kochen oder Spinnen, auf obsessive Weise nachgehen. Außerhalb dieses Zentrums, hinter Gittern, befinden sich die Figuren, die man als Aussätzige beschreiben könnte: Arme, Geflüchtete, Kranke und Verzweifelte. Die Installation wirkt auf mich wie ein kritischer Kommentar zum Zustand Europas und erinnert ein wenig an alte Freizeitparks der 90er Jahre, welche Kindern die Welt erklären wollten.
Für die Arbeiten werden Auszeichnungen in Form von Löwenfiguren an ausgewählte Länderbeiträge von einer Jury vergeben. Der goldene Löwe ging diesmal an Litauen, mit seiner “Strandoper”. Ein Musikstück, welches nur samstags in Intervallen vorgeführt wird. Die Kritik am ‘westlichen Lebensstil’ scheint in Mode zu sein: hier richtet sich die Arbeit gegen Freizeitkultur und -konsum. Die Arbeit ist sehenswert, allerdings befindet sich der Pavillon außerhalb der beiden Hauptgelände und Besucher müssen sich auf lange Wartezeiten einstellen. Nach der Besichtigung bleibt mir noch Zeit mich selbst in den anderen Pavilllons umzuschauen, bis Gardini um 18 Uhr seine Pforten schließt.
Arsenale
Am nächsten Tag erkunde ich auf eigene Faust das Gelände der Arsenale. Die beschworene Vielfalt wird hier vor allem in der Hauptausstellung sichtbar: Von “klassischer” Kunst, in Form von Gemälden, über (Video-)Installationen und Skulpturen ist alles vertreten. Die meisten Besucher scannen jedes Kunstwerk schnell ab und ziehen weiter, um ja nichts zu verpassen. Mein persönlicher Blick ist ein anderer. Heute flaniere ich bewusst durch die Hallen und habe nicht mehr den Anspruch ALLES anzusehen. Stattdessen bleibe ich dort stehen, wo etwas meine Aufmerksamkeit erregt und gehe ohne Programm in die Pavillons, die sich auf meinem Weg befinden.
“Written by Water”
An diesem Tag ist mir dabei besonders der Luxemburgische Pavillon aufgefallen. Der Künstler Marco Godinho hat es geschafft, die Einzelwerke seines Pavillons gekonnt miteinander zu verknüpfen, obwohl die Kunstwerke eigentlich räumlich voneinander getrennt sind. Am Eingang des Pavillons sieht man ein Gefäß, welches mit Jujube-Früchten und portugiesischem Brandy gefüllt ist. Dieser “Trunk” ist einer Geschichte der Odyssee von Homer entlehnt. Dort gaben die “Lotus-Esser” den Besuchern ihrer Insel einen Trunk, der sie alles Bisherige vergessen ließ. Damit fand gleichzeitig eine Öffnung gegenüber dem Fremden und Neuen der Insel statt. Dieser Trunk wurde in die Wandfarbe integriert und verströmt einen markanten Duft, der einen auch in den nächsten Raum begleitet. Dort wartet eine Videoinstallation, die den Künstler zeigt. Er hält leere Notizbücher ins Meer und lässt sie “beschreiben”. Abwechselnd dazu werden Interviews vorgelesen und projiziert, die nach der persönliche Beziehung verschiedenster Menschen zum Meer fragen. Geht man in den nächsten “Raum” ,so hört man die Videoinstallation von zuvor. Was man sieht ist jedoch das Herzstück des Werkes: eine Bücherrampe. Dort hat Godinho alle seine vom Meer beschriebenen Notizbücher aufgebahrt. Diese Installation bildet das “Dach” des Gesamtwerkes, da alle anderen Räume darunter platziert wurden. Der letzte Raum widmet sich nochmals der Odyssee Homers. Ein Werk, welches das Mittelmeer als Schauplatz für die gesammelten Sagen um Odysseus und seine Irrfahrten wählt. Godinho lässt in einem Video seinen Bruder die Odyssee lesen, während dieser sich auf einer eigenen Odyssee befindet. Dabei reißt dieser jede gelesene Seite aus dem Buch und verteilt so die Geschichte wieder im Mittelmeerraum. Das leere Buch wurde in einem Nebenraum ausgestellt und ist nur durch einen schmalen Wandschlitz sichtbar.
Der luxemburgische Pavillon war der letzte, den ich mir angesehen habe. Vermutlich ein Grund dafür, warum er mir nachhaltig im Gedächtnis geblieben ist. Allerdings empfinde ich auch unabhängig davon die Message dieser Arbeit als durchaus alltagsrelevant: Vergessen im positiven Sinne, z.B. alter Vorurteile, als Chance sich dem Neuen und Fremden zu öffnen… Wenn mehr Menschen diesen Grundsatz des Zurück-Lassens von ideologischen Prägungen verinnerlich hätten, würde die aktuelle Lage bezüglich der Migration und Aufnahme von Flüchtlingen, auf die das Werk “Written by Water” ebenfalls hinweist, sicher in anderen Bahnen verlaufen.
von Eleni Maurischat
Bildquelle: KROSSE