Die Schallplatte hat es geschafft, sich generationenübergreifend zurück in die Regale zu schleichen und das soll am Record Store Day besonders gefeiert werden. Doch der Hype bringt nicht bloß positive Begleiterscheinungen mit sich.
Am 13. April stürmten Vinyl-Liebhaber zum elften Mal in Folge in ihre lokalen Plattenläden und machten sich auf die Suche nach ausgefallenen Sonderprodukten und exklusiven Veröffentlichungen. Der Record Store Day ist der Tag der unabhängigen Plattenläden, an dem man nur in den teilnehmenden Geschäften extra für diesen Tag gemachte Releases finden kann.
Was als kleines Event in Baltimore begann, um dem unabhängigen Tonträgerhandel auf die Beine zu helfen und das unausweichlich scheinende Aussterben der Platten zu verhindern, ist zu einem weltweiten Hit geworden. Der Record Store Day findet heutzutage auf jedem Kontinent außer der Antarktis statt. Immer mehr Künstler und Labels beteiligen sich durch Neuveröffentlichungen und Konzerte oder tauchen vor Ort auf, um sich Zeit für die treuen Plattenfreunde zu nehmen, wie es Metallica schon am ersten Record Store Day vormachte. Zu den über 3.000 teilnehmenden, unabhängigen Plattenläden zählen auch der Goldenshop, Hot Shot und das Studio Illegale in Bremen. Auch dieses Jahr konnte man sich über 500 exklusive Releases freuen. Darunter waren auch Schätze wie eine Picture Disc der „Bohemian Rhapsody: The Original Soundtrack“ und Elvis Presleys „Made in Germany – Private Recordings“ zu finden, welche unentdeckte Aufnahmen aus der Armeezeit des King of Rock ’n Rolls in Bad Nauheim beinhalten sollen.
Das Revival
Der Erfolg des Record Store Days lässt sich nicht mehr leugnen. Im Allgemeinen scheinen die Gründer ihr Ziel erreicht zu haben, denn kaum ein Medium konnte jemals ein so erfolgreiches Comeback feiern, wie die Schallplatte es momentan tut. Doch hat der Record Store Day die Schallplatte wirklich im Alleingang vor ihrem Aus bewahrt? Eher unwahrscheinlich. Aber wenn es nicht der Record Store Day war, was war es dann? Die digitalen Streamingdienste haben das Musikgeschäft in den letzten Jahren revolutioniert und das aus gutem Grund. Ohne Zweifel ist es im Vergleich zum Plattenerwerb viel bequemer und vor allem um einiges günstiger sich ein monatliches Abonnement zuzulegen und sofort Zugriff auf fast jedes auf den Markt kommende Album zu haben. Trotzdem ist man überall mit dem aufkommenden Schallplatten-Hype konfrontiert. Besonders der jüngeren Generation kann man schwer eine emotionale Verbundenheit oder ein nostalgisches in Erinnerungen schwelgen unterstellen, wenn vielleicht nicht einmal mehr ihre Eltern zu Platten gegriffen haben. Dass es sich in gewisser Weise um einen Modetrend handelt, ist keine verblüffende Entdeckung, jedoch steckt für viele Leute mehr dahinter.
Abgesehen davon, dass so gut wieder jeder die „analoge Wärme“ und das Knistern der Schallplatten zu schätzen weiß, genießen viele den Kontrast zur schnelllebigen, digitalen Welt. Mal nicht vernetzt und abgelenkt durch Spotify und Co. zu skippen, sondern sich offline auf ein Album zu konzentrieren ist eine schöne Abwechslung. Außerdem wird die Beschaffung neuer Musik so wieder zu einem richtigen Erlebnis. Die Freude stundenlang durch einen Plattenladen zu stöbern, mit Gleichgesinnten in Kontakt zu kommen und festzustellen, dass sich dein Lieblingsalbum endlich im Repertoire befindet ist unschlagbar. Genauso wie das Auspacken und feierliche erste Abspielen, wenn man die Platte dann endlich zu Hause in seine bunte Sammlung einsortieren kann. Da man mit der Schallplatte nach einem Kauf wirklich etwas „in den Händen hält“ wird ihr automatisch ein höherer Wert zugeschrieben, als einem digitalen Song.
Jede Schallplatte hat zwei Seiten
Obwohl man nun erst mal vermuten würde, dass Tonträgerläden und dem Vinyl treu gebliebene Labels über diese Entwicklung ganz aus dem Häuschen sind, hat der Boom im Schallplattengeschäft vor allem die Aufmerksamkeit der Major-Labels auf sich gezogen. Die Presswerke werden mit Aufträgen überhäuft und die unabhängigen Labels müssen monatelang auf ihre Bestellung warten. Sie finden sich plötzlich in einem stark umkämpften Wettbewerb wieder, mit dem sie über Jahrzehnte nicht konfrontiert waren.
Nachdem sich Labels und Tonträgerläden mit der Marktsituation der Schallplatte erfolgreich arrangiert hatten, müssen sie jetzt teilweise erneut um ihre Existenz bangen. Ursprünglich wollte der Record Store Day eben genau da ansetzen, doch in den letzten Jahren haben die Major-Labels auch diesen Tag zu ihrer Gewinnmaximierung genutzt, um Backkataloge, also Platten, die nicht mehr beworben werden, zu verkaufen. Die künstlich hergestellte Knappheit katapultiert die Preise der Waren in die Höhe und häufig verlassen Kunden enttäuscht das Geschäft, um dann später auf einer Auktionsplattform feststellen zu müssen, dass sich jemand ihre heiß ersehnte Platte geschnappt hat, nur um sich an ihr zu bereichern. Der übrig gebliebene Bestand wird meist an Elektrohandelsketten weiterverkauft oder einige Monate später wird die als exklusiv angepriesene Musik auch über den herkömmlichen Weg veröffentlicht. In beiden Fällen kann die Ware viel billiger angeboten werden und der Kunde ist verärgert, dass er so viel Geld in den Plattenläden verschwendet hat. Wodurch diese, ohne dass sie wirklich Einfluss darauf nehmen können, eher mit negativen Erlebnissen in Verbindung gebracht werden. Daher scheint eine Rückbesinnung auf den Grundgedanken des Record Store Days nötig zu sein, damit Schallplatten-Fanatiker und Neulinge gleichermaßen ihre Wertschätzung den unabhängigen Tonträgerläden entgegenbringen können. Diese haben schließlich jahrzehntelang ganz ohne Hype weder vor den CDs noch den Streamingdiensten kapituliert, damit das besondere Stück Kultur für weitere Generationen erhalten bleibt.
von Alina Versemann
Bildquelle: HominiLupus, Record Store Day 2018 in Dom Kultury (2018-04-21) 24, CC BY-SA 4.0