Occupy? Da war doch mal was… Seit dem Tod von Stéphane Hessel werden Erinnerungen wach, denn er war der Autor eines kurzen Textes, der die Welt aufrüttelte. „Empört euch!“ wurde vor zwei Jahren zum Schlachtruf der Occupy-Bewegung gegen soziale Ungerechtigkeit und die Macht der Banken. Hessel hätte sich sicherlich gewünscht, dass die Empörung ihn überlebt. Nun, er scheint sich geirrt zu haben.
Wisst ihr, was die Duden-Definition von „Hype“ ist? „a) Besonders spektakuläre, mitreißende Werbung, b) aus Gründen der Publicity inszenierte Täuschung, c) Welle oberflächlicher Begeisterung; Rummel“. Traurig aber wahr – Occupy war wohl nicht mehr als ein Hype. Es kommt mir vor wie gestern, dass überall Menschen mit diesen Grinse-Masken herumliefen und alle Welt in Aufbruchsstimmung war. Ihnen war eine Tatsache bewusst geworden: Dass 99 % der Menschheit einer reichen Minderheit gegenüberstehen – dass sie viele sind und dass sie die Welt verändern könnten.
Über Occupy wurde viel diskutiert; das soll uns an dieser Stelle wenig kümmern. Endlich mal zeigten die Leute Interesse – sie empörten sich über die Zustände unserer Welt. Das war es, woran Stéphane Hessel geglaubt hat. Ende Februar starb er im Alter von 95 Jahren – ein langes Leben, das er dem Kampf um Freiheit und Frieden gewidmet hatte. Als ehemaliger Résistance-Kämpfer, KZ-Häftling und Mitautor der Erklärung der Menschenrechte der UNO von 1948 hatte seine Stimme beträchtliches Gewicht.
Empörung als Schlüssel für gewaltlosen Widerstand
2010 veröffentlichte Hessel ein kleines Buch mit dem Titel „Empört euch!“ (Indignez-vous!). Darin heißt es:
„…in dieser Welt gibt es Dinge, die unerträglich sind. Wer sie sehen will, muss genau hinsehen. Ich sage den jungen Leuten: Wenn ihr nur ein wenig sucht, werdet ihr solche Dinge finden. Am schlimmsten ist es, wenn man sagt: ‚Damit habe ich nichts zu tun. Das ist mir egal.‘ Wer sich so verhält, verliert eine der wesentlichen und unverzichtbaren Eigenschaften, die den Menschen ausmachen: die Fähigkeit zur Empörung und das Engagement, das daraus erwächst.“ (FAZ online)
Jeder kann seinen eigenen Grund zur Empörung finden, schreibt Hessel. Und für seine Überzeugung muss er eintreten – ohne Gewalt – damit die Missstände der Welt beseitigt werden. Dazu zählt er unter anderem die Geldgier der Banken, die Schere zwischen Arm und Reich, den Mangel an Menschenrechten und die Ausbeutung unseres Planeten.
Stéphane Hessel traf mit seinen Worten einen Nerv der Zeit. Sein Buch wurde ein Bestseller und zur Inspiration für Protestbewegungen auf der ganzen Welt. Die Bewegung der „Empörten“ hat so viele Gesichter wie es Gründe zur Empörung gibt. Sie entstand überall und nirgends zugleich, daher kann man ihren Verlauf nur stark vereinfacht wiedergeben. Ich möchte es trotzdem in Kürze versuchen.
We are 99 %!
Sowohl der Arabische Frühling (seit Dezember 2010) als auch die massenhaften Proteste in Spanien, die im Mai 2011 begannen, werden als Inspirationen zur Entstehung der Occupy-Bewegung gezählt. In Spanien nannten sie sich selbst Los Indignados – die Empörten. Den offiziellen Anfang nahm Occupy im Oktober 2011 in New York mit der Initiative Occupy Wall Street. Als einen Hauptauslöser kann man wohl die Finanzkrise ansehen, die 2007 in den USA begann und die Insolvenz von Banken in Europa nach sich zog. Die darauf folgende Euro-Krise zieht ihre Kreise bis heute.
Das mit den Grinse-Masken ist wiederum eine etwas andere Geschichte. Sie sind das Symbol des Widerstandskämpfers Guy Fawkes, ursprünglich ein Attentäter, der im 17. Jahrhundert das britische Parlament in die Luft sprengen wollte. In den 80er Jahren wurde seine Geschichte in dem Comic „V wie Vendetta“ verarbeitet, aus dem auch das grinsende Gesicht stammt. Und seit einigen Jahren wird diese Maske von der Internet-Guerilla „Anonymous“ verwendet. Diese wiederum unterstützte die Occupy-Bewegung, und hier schließt sich der Kreis.
So viel zur Geschichte. Der Slogan „We are 99 %“ verbreitete sich ebenso wie die Protestform der Besetzung von öffentlichen Plätzen überall auf der Welt – auch in Deutschland. Vor allem in den großen Städten wie Frankfurt demonstrierten tausende Menschen. Es war eine unfassbar rasante und riesige Entwicklung, die durch Soziale Netzwerke wie Twitter und Facebook möglich gemacht wurde. Ein absoluter Hype. Das Strohfeuer Occupy brannte sehr hell – aber auch sehr kurz.
Warum empört sich hier eigentlich niemand mehr?
Gab es also doch noch Hoffnung für die „unpolitische“ Generation Internet? Oder war das alles nur ein Modetrend, ein bisschen Nervenkitzel und die Ansteckung eines Gemeinschaftsgefühls? Steckte mehr als nur Herdentrieb hinter den kollektiv grinsenden Masken? Tja, schaut man sich heute um, sieht die Antwort nach Nein aus. Zumindest in Deutschland haben sich die Empörten wieder wichtigeren Dingen zugewandt. Das Volk hat Termine. Seine Wutreserven hielten nur für ungefähr ein Jahr. Warum? Hat es mit uns Deutschen zu tun? Immerhin sind sie in Spanien scheinbar immer noch genauso indignado wie vor zwei Jahren und in der arabischen Welt tobt immer noch die Wut über fehlende echte Demokratie.
Man könnte es darauf schieben, dass wir Deutschen einfach kein heißblütiges Volk sind. Vielleicht resignieren wir etwas schneller als andere. Aber die Resignation an sich – obwohl es schade ist – verwundert mich nicht. Occupy hatte das Ziel, die ganze Welt zu verändern. Klar, dass das nicht mal eben so geht. Trotzdem: es ist gut, dass es diese Empörung gegeben hat. Ein paar Hartnäckige halten auch heute noch an ihr fest. Der Hype ist zwar vorbei, aber Demonstrationen gibt es immer noch. Kleine Grüppchen von Menschen entstauben ab und zu ihre Guy Fawkes-Masken und ziehen zum Beispiel gegen staatliche Überwachung durch die Straßen. Und zu irgendwas ist das immer gut.
R.I.P. Stéphane Hessel.
Alice Echtermann