Die Nationalsozialisten haben den zweiten Weltkrieg für sich entschieden und besetzen gemeinsam mit den Japanern die Vereinigten Staaten von Amerika. Was im ersten Moment wie ein makaberer Albtraum klingt, ist einer der ersten Gehversuche des Online-Riesen Amazon in der Welt der selbst produzierten Serien.
Netflix hat den Anfang gemacht: Anstatt die Verwendungsrechte für Serien zu erwerben, werden gleich ganze Serien in Eigenregie produziert. Amazon hat im Zuge seiner Expansion in die Video-on-Demand-Landschaft unter dem Label Amazon Originals 2015 gleich fünf Serien selbst in Auftrag gegeben. Unter den Serien befindet sich mit „The Man in the High Castle“ eine Romanverfilmung von Philip K. Dick aus den 1960er-Jahren, die im Vorfeld für großen Wirbel gesorgt hat.
Die Story: David gegen SS-Goliath
Die Achsenmächte Japan und Deutschland haben den zweiten Weltkrieg gewonnen und die USA besetzt. Getrennt von der „neutralen Zone“, die sich entlang der Rocky Mountains erstreckt, hat sich Japan in den Weststaaten niedergelassen, und das „Großgermanische Reich“ erstreckt sich bis hin zur Ostküste. Der „Regierungsstil“ ist dabei so wie man ihn mit einem Blick in die Geschichtsbücher vermuten könnte: In der deutschen Besatzungszone der 1960er-Jahre findet man keine Menschen mit jüdischer oder afrikanischer Herkunft und auch erkrankte Menschen, die der Gesellschaft nur zur Last fallen, werden kurzerhand beseitigt. Das japanische Gebiet ist zwar etwas bunter, dennoch werden Mitbürger mit jüdischen Wurzeln verfolgt und der japanische Prinz verkörpert das höchste der Gefühle für dessen Untertanen.
In beiden Besatzungszonen gibt es Widerstandsbewegungen im Untergrund, die sich ähnlich wie die Rebellen in Star Wars IV bis VI einem Gegner mit einer riesigen Streitmacht gegenüberstellen. Die Motivation für den Widerstand wird dabei von ominösen Filmrollen angetrieben, auf denen ein Kriegsende dargestellt wird, in dem die Alliierten die Achsenmächte besiegt haben und die vom „Mann im hohen Schloss“ stammen sollen. Die Inhalte der Filme sind für die Besatzer von hoher Brisanz, da sie als politischer Zündstoff eingeschätzt werden, in deren Folge das politische System gestürzt werden könnte.
Die Besatzungsmächte im Konflikt
Neben der Erzählung über die Widerstandskämpfer (natürlich inklusive Lovestory) im Untergrund, wird auch der Konflikt zwischen den Besatzungsmächten dargestellt: Der mittlerweile altersmilde Adolf Hitler ist an Parkinson erkrankt und die Japaner fürchten, dass die Nazis mit einem neuen Führer zum alten Größenwahn zurückkehren und die gesamte USA für sich beanspruchen wollen. Die Handlungen des Widerstandes und des politischen Hickhacks zwischen Berlin und Tokyo kreuzen sich dabei immer wieder und werden vom Produzenten Ridley Scott, der unter anderem auch „Alien“ und „Blade Runner“ produzierte, eindrucksvoll, optisch hochwertig und beklemmend zugleich inszeniert.
Wenn die Freiheitsstatue Hakenkreuz trägt
Im Vorfeld sorgten die Marketingaktionen von Amazon für Aufsehen und auch die Darstellung von einer dominierenden Nazi-Ideologie ist in den Augen mancher Kritiker ein unglückliches Setting und Nährboden für faschistische Spinnereien. Dennoch ist die erste Staffel ein technisch und dramaturgisch gelungenes Werk im Rahmen der Amazon Originals, welches die perfiden Grundgedanken des Dritten Reiches verdeutlicht und mit einem gelungenen Finale samt eines zünftigen Cliffhangers den Grundstein für eine zweite Staffel legt.
Julian Koldewey
Bildquelle: © Amazon