Es ist mal wieder so weit: Die Tage werden kürzer, es wird kälter und ungemütlicher draußen, der Himmel ist grau und lädt nicht gerade zu einem Spaziergang ein. Was gibt es da Besseres, als sich mit einem Glühwein, Spekulatius und Wolldecke ins Bett zu legen und eine neue Serie anzufangen. Wenn sich das für dich verlockend anhört, gibt es nun eine neue Empfehlung von krosse: der Netflix-Achtteiler „1899“.
Ein großes Haus, dunkle lange Gänge, eine Frau in weißem Kittel, sie schreit. „Ich bin nicht verrückt!“, und „Was hast du mit meinem Bruder gemacht?“ Ein weiteres Wort fällt: Prometheus. Sie wird in einen Raum gezerrt, auf der Tür die Zahl 1011. Dann Dunkelheit. „Wach auf!“, flüstert eine Stimme. Schnitt. Wir schreiben den 19. Oktober 1899, die Frau erwacht in einem Zimmer, Nummer 1011. Sie hat rote Striemen an den Handgelenken, wie von einer Fessel. Sie schaut in den Spiegel, sagt ihren Namen, als ob sie sich vergewissern müsste, dass sie sie selbst ist. Noch einmal der Satz: „Ich bin nicht verrückt!“ Sie verlässt das Zimmer, geht einen Gang entlang, links und rechts von ihr weitere Zimmertüren. Sie geht auf eine offene Tür zu, tritt hindurch, und findet sich an Deck eines Dampfschiffs wieder, mitten auf offener See.
Schon von Beginn an merkt man, dass einen hier kein normales Setting erwartet. Als im Kontrollraum ein Telegramm eintrifft, geht alles sehr schnell. SOS. Gefunkt von der ‚Prometheus‘, das Schwesterschiff, seit vier Monaten verschollen. Sofort Kursänderung, volle Kraft in die Richtung, aus der der Hilferuf kam. Vielleicht sind noch Überlebende an Bord, vielleicht kann noch jemand gerettet werden. Doch zusammen mit dem Schiff nimmt nun auch das Unglück ordentlich Fahrt auf.
„Wach auf!“
Im Zentrum dieser internationalen Produktion steht das Dampfschiff ‚Kerberos‘, welches die Überfahrt von England nach Amerika antritt. Die Passagiere hoffen, dort ihren „American Dream“ verwirklichen zu können. Jeder und jede von ihnen hat eine eigene Geschichte, ein eigenes Trauma, das sie durch den Neuanfang zu vergessen versuchen.
Hauptprotagonist:innen sind die Ärztin Maura Franklin (Emily Beecham), die nur verschwommene Erinnerungen an ihre Vergangenheit hat, und der Kapitän des Schiffes, Eyk
Larsen (Andreas Pietschmann, bekannt aus „Dark“), der mit seinem Alkoholproblem zu kämpfen hat. Im Laufe der Serie treten nach und nach weitere ausgewählte Figuren in den Vordergrund, weshalb das so ist, das müssen die Zuschauer:innen jedoch erst herausfinden.
Immer wieder treten zentrale Komponenten auf wie etwa ein Käfer, Schächte mit einem geheimnisvollen Dreieck, ein merkwürdiger Junge, Briefe. Man bemerkt beim Schauen zwar, dass diese Dinge wichtig für die Handlung sind, einen besseren Überblick über das ganze Geschehen erhält man dennoch nicht. Besonders die dunkle Atmosphäre, die die Szenerie bestimmt, macht schnell deutlich, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmt und dass die Menschen an Bord keine herkömmliche Überfahrt erwartet.
Ein gelungenes Zweitwerk
Die Serie fesselt einen sehr schnell, was wohl auch an der ständig präsenten Undurchsichtigkeit liegt. Dieses bereits in der Serie „Dark“ etablierte Stilmittel bewährt sich bei dieser Handlung erneut. Aber auch die Szenerie und die visuellen Effekte hinterlassen Eindruck und erinnern an große Hollywood-Blockbuster.
Im Storytelling wird mit mehreren parallelen Handlungssträngen gearbeitet, die sich jedoch schlussendlich zu einem Gesamtbild zusammenfügen. Auch wenn der Fokus auf Maura Franklin und ihrer Geschichte liegt, wird dennoch ein kompaktes Bild aller wichtigen Figuren gezeichnet. Gleichzeitig scheint alles, was geschieht, scheinen alle Personen auf eine besondere Weise miteinander verwoben zu sein.
Der internationale Cast, der sich nicht nur aus Deutschen und Engländer:innen, sondern unter anderem auch aus Belgier:innen, Dän:innen und Spanier:innen zusammensetzt, überzeugt schauspielerisch auf ganzer Linie. Die Besonderheit dabei: Jeder Schauspieler und jede Schauspielerin spricht in ihrer und seiner eigenen Sprache. Wer also in dieser Hinsicht experimentierfreudig oder sprachbegabt ist, sollte sich die Serie unbedingt mit Originalton anschauen.
Unbedingt ansehen!
Mit dieser neuen Serie ist den Regisseuren von „Dark“ erneut eine dystopische, spannende Erzählung geglückt. Für diejenigen, die ihr erstes Werk bereits spannend fanden, aber auch für alle anderen ist diese neue Serie ein absolutes Muss! Jeden einzelnen Zusammenhang kann man (wie bei Dark) auch nach der letzten Folge nicht erkennen, und selbstverständlich endet alles mit einem Cliffhanger. Man darf sich also schon auf eine Fortsetzung freuen.
Seit dem 17. November ist „1899“ auf Netflix verfügbar. Für Hintergründe zum Dreh und zu den Darsteller:innen stellt der Streamingdienst ein 50-Minütiges Making-of bereit. Noch mehr Serientipps der Krosse-Redaktion gibt es hier.
von Marcie Bröcker
Update vom 7.1.2023: Laut einem Instagram-Post des Regisseurs Baran bo Odar wird es keine Fortsetzung der Serie „1899“ geben.
Titelfoto: © Rasmus Voss / Netflix