Am 21.Mai 2019 erlebte die heute 22-Jährige Studentin Lena den wahrscheinlich wichtigsten Tag ihres Lebens. Sie erhielt den Anruf, dass man das passende Organ für sie gefunden hätte. Doch seit dem Ausbruch des Corona-Virus lebt sie wieder in der früheren Ungewissheit. Denn das Virus wäre wahrscheinlich ihr sicherer Tod.
Lena leidet unter Mukoviszidose, eine vererbbare, bisher nicht heilbare Stoffwechselerkrankung, bei der die Lunge verschleimt, sodass die Betroffenen immer weniger Luft bekommen. Die einzige Chance das Leben zumindest für ein paare Jahre zu verlängern ist die Transplantation einer neuen Lunge. Denn ihre Stoffwechselkrankheit wird auch das neue Organ angreifen, und früher oder später wird Lenas Name wieder auf der Warteliste stehen. Am Tag des Anrufs aus dem Krankenhaus machte sich eine unglaubliche Erleichterung bei Lena, ihrer Familie und ihren Freunden breit. Zu diesem Zeitpunkt war zwar noch unklar, ob ihr Körper die neue Lunge überhaupt annehmen würde, doch es war der erste Hoffnungsschimmer seit Jahren.
Bis zur letzten Minute vor der Transplantation hielt Lena ihre Freunde über WhatsApp und Snapchat auf dem Laufenden. Es hätte ihr letzter Kontakt zu Familie und Freunden sein können, doch Lena meisterte die mehrstündige Lungentransplantation mit Bravour. Die ersten Tage und Wochen nach der OP waren schmerzerfüllt. Auf Dinge zu verzichten, die für die meisten Menschen ganz normal sind, kennt Lena aus dieser Zeit bereits. Spazierengehen und Freunde treffen waren lange Zeit nicht möglich. Die zurückgewonnene Normalität, die es ermöglicht hat ihr Studium der Wirtschaftspsychologie fortzuführen, muss sie nun aufgrund von Covid-19 wieder einstellen.
Selbst medizinische Untersuchungen werden abgesagt
„Ich weiß nicht mehr, wann ich das letzte Mal im Laden war“, überlegt Lena. Seit dem Ausbruch des Corona-Virus muss sie eigentlich immer zu Hause bleiben. Denn Covid-19 würde sie sehr wahrscheinlich nicht überleben. Das Leben seit der Corona-Krise hat sich bei allen stark verändert, doch für die meisten ist es weiterhin möglich, einen normalen Alltag zu führen.
Bei Lena werden hingegen lebenswichtige Untersuchungen abgesagt, wie beispielsweise die große Nachsorgeuntersuchung nach einem überstandenen Jahr mit neuer Lunge. Bei der Untersuchung wird nämlich geprüft, ob der Körper das neue Organ tatsächlich annimmt oder bereits anfängt, es abzustoßen. Bei den bisherigen Untersuchungen sah immer alles sehr gut aus, trotzdem besteht die Gefahr, dass das Organ jederzeit abgestoßen wird. Dennoch versucht Lena positiv zu denken und hofft darauf, dass der Termin wenigstens im August stattfinden kann.
Die Sehnsucht nach dem alten Leben
Aber wie verbringt sie den Tag, wenn noch nicht mal der wöchentliche Einkauf oder andere Aktivitäten im öffentlichen Leben für sie möglich sind? Aus Zeiten nach der Op ist sie es gewohnt, auf Spaziergänge zu verzichten, gar Freunde zu treffen oder in den Urlaub zu fahren. Dennoch ist die jetzige Lage besonders schwer. Nach wenigen Monaten der Normalität musste Lena ihr normales Leben bereits wieder aufgeben, und es ist fast wieder alles wie vor der Operation.
Trotz allem versucht die 22-Jährige das Beste daraus zu machen. Ihren Freund trifft sie beispielsweise weiterhin, aber nur draußen und mit Sicherheitsabstand, das sei das Wichtigste für sie. Eine weitere wichtige Beschäftigung ist für Lena die Fotografie. Egal ob im Garten ihrer Eltern, dem Wald oder anderswo in der Natur, an diesen menschenleeren Orten braucht sie keine Angst zu haben, sich anzustecken. Auch ihre Eltern, bei denen sie noch wohnt, unterstützen sie in dieser Zeit. Zusammen Kochen und abendliche Brettspiele gehören nun zum Alltag der Familie. Auch wenn die Zeit dadurch schneller verstreicht, wünscht sie sich so schnell wie möglich ihr „neues altes Leben“ zurück. Denn sie weiß, dass ihre Krankheit auch ihre neue Lunge befallen wird und dass sie in ein paar Jahren wieder an dem gleichen Punkt stehen wird wie im Mai 2019. Bis dahin möchte Lena ihr neues Leben in vollen Zügen genießen, was aber erst wieder nach überwundener Corona-Pandemie möglich ist.
von Aylin Habel