Die Rivalität zwischen Werder Bremen und dem Hamburger Sportverein ist berühmt berüchtigt. Bei diesen Duellen geht es auf und neben dem Platz hart zur Sache und in der Stadt herrscht Ausnahmezustand. Eine besondere Situation für Christian Maaß. Er wohnt in Bremen und ist HSV-Fan. Dem nicht genug, ist er außerdem 2. Vorsitzender des 1. Bremer HSV Fanclubs, den Hamburger Stadtmusikanten und engagiert sich im Supports Club Hamburg und ist dort Ansprechpartner für den Bereich Niedersachsen-West. Mit KROSSE sprach Christian bei einem kühlen Bier in einem Bremer Biergarten über sein Leben als HSV-Fan mitten im „Feindgebiet“, wie er die vergangene Saison erlebt hat, was Werder dem HSV voraus hat und warum Hamburg in der nächsten Saison Meister wird.
Christian, beschreibe doch kurz wer ihr seid und worum es geht.
Der Club besteht aktiv seit 2007. Das fing mit drei bis vier Leuten an. Wir haben Anzeigen in der Zeitung geschaltet und uns regelmäßig getroffen. Schnell haben sich dann 20 bis 30 Leute zusammengefunden. Ich selber bin 2010 dazu gekommen. Der harte Kern bestand immer aus fünf bis acht Leuten. Wir haben uns dann einmal im Monat in unserer Stammkneipe getroffen, die ich hier aber nicht nennen werde. Der Wirt dort ist natürlich auch Werder-Fan, aber wir kommen ganz gut mit ihm aus. 2013 haben wir dann Ernst gemacht und angefangen einen Mitgliedsbeitrag zu erheben. Damals waren wir sieben zahlende Mitglieder. Dann haben wir eine Auswärtsfahrt nach Hannover gemacht. Kurz danach ging es beim HSV mit der Strukturdebatte los. Da habe ich mich von Anfang an sehr stark engagiert und auch Kontakt zu der Initiative gesucht und die dann eingeladen. Im Oktober 2013 haben uns dann der Aufsichtsratsvorsitzende Manfred Ertel, der Gründer der Initiative „HSV plus“ Ernst-Otto Rieckhoff und unser ehemaliger Spieler Thomas von Heesen besucht. Danach haben wir uns für einen Spielerbesuch beworben und dann hat uns im November 2013 Hakan Chalhanoglu besucht. Das war bis dahin der Höhepunkt in der Geschichte unseres Clubs. Seitdem steigt der Bekanntheitsgrad des Clubs und auch die Mitgliederzahl. Mittlerweile sind wir bei 23 zahlenden Mitgliedern.
Wie lebt es sich denn so als HSV-Fan mitten in Bremen?
Eigentlich habe ich kein Problem damit. Vielleicht hat der eine oder andere Bremer ein Problem damit, aber man muss sich vielleicht auch nicht öffentlich outen, dass man Fan des HSV ist.
Bist du oft im Alltag mit Anfeindungen konfrontiert?
Die Sticheleien am Arbeitsplatz sind ganz normal. Das gibt es ja überall. Ich hatte mal einen Vorfall an der Schlachte. Ich hatte ein HSV T-Shirt an und war mit Leuten unterwegs. Irgendwann wollten die zur Schlachte gehen. Ich hab dann schon gesagt, dass ich in dem T-Shirt dort besser nicht auftauchen möchte, aber letztendlich konnte mich meine Leute überreden. An der Schlachte trafen wir dann auf eine Gruppe von ca. 15 angetrunkenen Werder-Fans. Irgendwann musste ich auch mal den Weg zur Bar machen, um mir Bier zu holen. Auf dem Rückweg haben sie mir dann Beine gestellt, während ich vier Gläser Weizen in der Hand hatte. Ich habe dann aber nur einmal nett geguckt, gegrüßt und bin weiter gegangen. Das war eine Situation, die schnell hätte brenzlig werden können. Gerade wenn Alkohol im Spiel ist. Letztendlich wollen wir aber einfach nur unseren Frieden haben und das wollen die meisten Bremer auch.
Also gibt es auch keine bewussten Provokationen eurerseits gegen Bremer?
Auf keinen Fall. Vergangene Woche war ich in Zeven. Dort treffen sich einmal im Jahr HSV-Fans und Werder-Fans und schließen Wetten bezüglich der kommenden Saison ab. Dort hat zum Beispiel ein Werder-Fan gewettet, dass in der kommenden Saison Franco Di Santo mehr Kopfballtore erzielen wird als Pierre Michelle Lasogga mit dem ganzen Körper. Es gab dort sogar einen Werder-Fan, der gewettet hat, dass der HSV Meister wird.
War der sehr betrunken?
Es gibt eine Statisik, die besagt, dass der HSV deutscher Meister wird, wenn der HSV mit Darmstadt 98 in einer Liga spielt. Das ist bislang zweimal vorgekommen und beide Mal endete die Saison mit dem Titel des HSV.
Wie ist dein Bezug zu Werder Bremen?
Also erst einmal gehört für mich das Nord-Derby einfach dazu. Genauso gehören die Frötzeleien unter den Fans für mich dazu. Das ist völlig in Ordnung, solange es auf einer verbalen Ebene stattfindet. Eine Karriere als Werder-Fan kam jedoch nie für mich infrage und wird auch nie infrage kommen. Aber meine Freundin ist Werder-Fan. Ich bin 2009 nach Bremen gezogen und seitdem ist mein Bezug zum HSV noch stärker geworden.
Was kann sich der HSV von Werder Bremen abgucken?
Werder hat vor drei bis vier Jahren schon mit dem Umbruch begonnen und auf junge Spieler gesetzt. Der HSV beginnt ja jetzt auch langsam damit. Es wurde ja komplett auf Stars verzichtet. Irgendwie fehlte jedoch immer ein Puzzleteil und das scheint in dem Fall der Trainer gewesen zu sein. Jetzt haben sie mit Viktor Skripnik jemanden gefunden, der die Jungs zu erreichen scheint. In der Hinsicht ist Werder uns ein paar Jahre voraus. Aber ich finde auch, dass sich beide Vereine schwer vergleichen lassen. Der HSV ist ein größerer Club mit einer größeren Tradition. Mittlerweile haben wir überall auf der Welt Fans. Es ist kürzlich ein neuer Fanclub in Argentinien gegründet worden. Werder hat jedoch durch die Schlachten in der Champions League eine hohe Anzahl von Sympathisanten in Deutschland. Auch was Titel angeht, ist Werder uns seit 1987 natürlich um einiges voraus. In Hamburg ist auch die Presse allgegenwärtig. In Bremen ist das viel entspannter.
Meinst du damit, dass die Presse in Hamburg mehr Unruhe ins Spiel bringt als in Bremen?
Nicht zwangsläufig. Die Unruhe bringt meistens der Verein selbst. Ich finde es aber erstaunlich, wie frei sich die Spieler in der Stadt bewegen können, ohne dass sie angequatscht werden. Gerade hier an der Schlachte sieht man oft den einen oder anderen Spieler. Ich habe seinerzeit Naldo öfter beobachtet wie er hier unbehelligt mit seinen Kindern entlangspaziert ist. Außer von ein paar Betrunkenen bei einem Junggesellenabschied hat ihn keiner vollgequatscht. In Hamburg sind dauerhaft Reporter und Leute von Sky vor Ort.
Themawechsel: Wie viele Tode bist du am 01.06 diesen Jahres beim Relegationsrückspiel des HSV in Karlsruhe gestorben?
Während des Spiels war ich eigentlich relativ ruhig. Vorm Spiel jedoch habe ich innerlich versucht mit der ersten Liga abzuschließen, das muss ich ganz offen sagen. Erst wollten wir als Club das Spiel nicht schauen, aber haben uns dann doch entschieden es zu tun. Nach dem 0:1 habe ich Rene Adler angebrüllt, dass er den Ball aus dem Tor nehmen und weiter Gas geben soll. Drei bis vier Minuten vor Schluss habe ich mich dann angefangen aktiv damit zu beschäftigen, dass wir nächstes Jahr nach Sandhausen müssen.
Was ist das für ein Gefühl?
Das Gefühl wollte bei mir nicht ankommen. Ich habe nur gedacht: „Das geht gar nicht“. Irgendwann hast du natürlich nicht mehr gesessen. Alle sind auf den Bänken rumgeturnt und dann kam der Freistoß in der Nachspielzeit. Und dann kam Diaz. Das war dann eine Befreiung. Danach war ich ruhig. In der ersten Relegation gegen Fürth war ich unruhiger. Aber wenn man mal beide Spiele nüchtern betrachtet, hat der HSV verdient gewonnen. Wenn du ein Spiel im Europapokal gewinnst, ist das lächerlich verglichen mit der Anspannung in der Relegation. Das war der Wahnsinn. Gestandene Männer saßen da und haben geheult. Ich hatte mir den nächsten Tag Urlaub genommen. Den habe ich dann auch gebraucht. Wenn wir kommende Saison wieder in der Relegation landen sollten, werde ich irgendwohin fliehen, wo es kein Internet gibt. Das will ich nicht noch einmal durchmachen.
Wie groß war deiner Meinung nach der Anteil von Trainer Bruno Labbadia an der Rettung?
Ohne Labbadia wären wir wahrscheinlich runter gegangen. Genau wie in Bremen. Mit Dutt wären die auch abgestiegen. Tuchel war ja lange im Gespräch, aber dann hat Labbadia die Mannschaft mit Herz übernommen und den HSV gerettet.
Wie viel Kredit hat die Mannschaft nach den zwei katastrophalen Saisons bei euch als Fanclub verspielt?
Klar meckert man mal während des Spiels über die Spieler, aber beim HSV sitzt das Problem viel tiefer. Deshalb gab es ja auch diese Initiative „HSV plus“ damals. Es wurde auch nicht richtig mit den Spielern umgegangen. Da gab es diese berühmte Trainingsgruppe 2. Da sind Spieler drin gelandet, nur weil man sie loswerden wollte. Kacar und Rajkovic zum Beispiel. Die haben in den entscheidenden Spielen gespielt. Ich hab mich damals mit unserem dritten Torwart Sven Neuhaus unterhalten. Die Trainingsgruppe 2 hat auch innerhalb der Mannschaft für Unruhe gesorgt, weil jeder Angst hatte dort zu landen. Aber trotzdem war der Rückhalt, den die Mannschaft von den Fans erfahren hat, unglaublich. Bei uns im Fanclub war immer die Hoffnung auf bessere Zeiten da. Es hat sich niemand von uns aufgrund der Leistungen aktiv von der Mannschaft abgewendet.
Was muss sich beim HSV grundlegend ändern, damit in der nächsten Saison die Relegation vermieden werden kann und auf lange Sicht andere Ziele erreicht werden können?
Das einzige Ziel für die nächsten ein bis zwei Jahre kann nur sein, dass wir irgendwo zwischen Platz 10 und 14 landen. Etwas anderes zählt für mich und für viele andere HSV-Fans nicht. Bei vielen ist die berühmte Demut eingekehrt. Früher hätten einige beispielsweise nach dem Gewinn des diesjährigen Telekom Cups direkt wieder nach Europa geschrien. Das ist jetzt nicht mehr der Fall.
Und wie sieht das auf der sportlichen bzw. strukturellen Ebene aus?
Du musst eine Mannschaft haben. Wir hatten in der Vergangenheit eine Mannschaft, die personell auf dem Papier das Zeug für Europa hatte. Aber was bringen dir große Namen, wenn die Mannschaft nicht passt. Man sieht am FC Augsburg, was man mit mannschaftlicher Geschlossenheit erreichen kann. Da passt ein Rad ins nächste. Daran muss sich der HSV ein Beispiel nehmen und versuchen, eine funktionierende Mannschaft auf die Beine zu stellen. Die Mannschaft muss zusammenwachsen und die Fans müssen die Kirche im Dorf lassen, dann wird sich der HSV hoffentlich auf Dauer wieder etablieren können.
Homepage der Hamburger Stadtmusikanten
Hamburg Supporters Club Niedersachsen West
Daniel Sprauer & Maximilian Kamp