Freiheit. Eines der wichtigsten Rechtsgüter des Menschen, welches ein selbstbestimmtes und glückliches Leben ermöglicht. Von einem freien Menschen wird sie als Selbstverständlichkeit angesehen, von einem Gefängnisinsassen hingegen bildet sie die Hoffnung auf ein besseres Leben nach der Haft. Wir „Normalbürger“ fragen uns oft: Wie sieht das Leben hinter den Mauern und Stacheldrahtzäunen isoliert von der Gesellschaft aus?
Die Subkultur „Gefängnis“
Es ist allgemein bekannt, dass ein Gefängnisaufenthalt bei den betroffenen Personen psychische sowie physische Auswirkungen nach sich zieht. Der Justizvollzugsbeamte, der uns den Einblick in die JVA Oslebshausen ermöglicht, bestätigt schon in den ersten Minuten, was jeder vermutet: „Das Leben im Knast ist die Hölle.“ Doch auch für die Angestellten ist der Berufsalltag äußerst kräftezehrend, nur ca. 20% der JVA- Beamten führen ihren Beruf bis zum Rentenalter durch. „Man steht das hier nur mit viel Geduld und Humor durch“, erzählt unser Ansprechpartner.
Die „Welt“ im Gefängnis gleicht einer Subkultur, da viele Einrichtungen der Öffentlichkeit auch hier vorzufinden sind. Die Insassen haben die Möglichkeit eine Kirche, Gärten, Sportplätze und sogar eine Schule und die einzige Gefängnisbibliothek Deutschlands zu besuchen. Ebenso können sie Berufe erlernen, beispielsweise in dem Bereich der Metallherstellung. Der erarbeitete Lohn kann in Lebensmittel, Tabak und sonstige Produkte investiert werden, für die allerdings circa das Vierfache des Normalpreises aufgebracht werden muss.
Psychische und physische Auswirkungen einer Freiheitsstrafe
Der Gefängnisaufenthalt im Leben eines Straftäters stellt eine sehr prägende Zeit für die psychische Verfassung des Menschen dar. Der JVA-Beamte berichtet uns, dass die unbewusste Konditionierung von Insassen, die jahrelang im Gefängnis sind, so stark ist, dass diese aus Reflex niemals eine Türklinke ergreifen würden, da sie es gewohnt sind, dass ihnen die Tür durch eine andere Person zuerst aufgeschlossen werden muss. Ein anderer interessanter Aspekt besteht in dem Phänomen, dass Straftäter, die mehr als ca. 6 Jahre im Gefängnis verbracht haben, oft nach Haftentlassung wieder eine Straftat begehen, um zurück in die JVA zu gelangen. Dieses Verhalten basiert auf der Tatsache, dass viele von ihnen alle Kontakte in der Außenwelt verloren haben und nicht mehr in der Lage sind, ihr Leben selbstbestimmt und ohne Vorgaben und Kontrolle zu strukturieren. Doch nicht nur der psychische, sondern auch der physische Zustand eines Gefangenen leidet enorm unter den Lebensbedingungen. Da Körper und Seele eng miteinander verbunden sind, erkranken viele Insassen während ihres Haftaufenthaltes an Diabetes, Blutdruckkrankheiten oder sogar Krebs.
Soziale Verhältnisse und Strukturen des Zusammenlebens
Anders als in amerikanischen Gefängnissen, sind in deutschen Anstalten keine Zusammenschlüsse im Sinne von gangähnlichen Gruppierungen zu beobachten. Natürlich gibt es national begründeten Zusammenhalt oder Gruppierungen von Insassen eines gleichen Straftatbestandes. Wenn jedoch der Verdacht über die Entstehung einer Bande aufkommt, werden die Betroffenen auf verschiedene Justizvollzugsanstalten verteilt. Trotzdem existiert eine klar festgelegte Hierarchie zwischen den Insassen. In dieser stehen Raubmörder ganz oben, Sexualstraftäter hingegen sehr weit unten, Pädophile bilden den untersten Rang. Oftmals müssen diese sogar vom Personal geschützt werden, indem sie in speziell abgegrenzten Teilbereichen arbeiten. Ungeachtet dessen, besteht trotz dieser hierarchischen Struktur ein respektvolles Miteinander, welches uns der Beamte an einem Beispiel darlegt: In den Gängen schmücken viele Schriftzüge, Fußballvereinslogos oder andere Zeichnungen die sonst kahlen Wände. Keiner dieser von früheren oder aktuellen Gefangenen gemalten Verzierungen wurde je beschmiert, was der Fall wäre, wenn sie von Beamten der JVA angebracht geworden wären.
Falls es doch zu Konflikten wie Erpressung oder körperlichen Auseinandersetzungen kommt, gilt das „Gesetz des Schweigens“. Oft werden Auseinandersetzungen vor dem Personal geheim gehalten, um der Gefahr vor Vergeltung zu entgehen. Speziell dafür hat sich ein anonymes System etabliert, in dem bei Beschwerden auf Namensnennung verzichtet werden kann.
Ein anderer, interessanter Aspekt liegt darin, dass sich die Insassen teilweise durch eigenes Vokabular verständigen. Das Wort „Bombe“ steht in diesem Zusammenhang beispielsweise für löslichen Kaffee, ein Anwalt wird als „Knastratte“ bezeichnet. Für Gefangene, die am Anfang ihres Aufenthaltes stehen, ist es daher oft schwer, an Gesprächen und Tauschgeschäften teilzunehmen.
Atmosphäre in der JVA Oslebshausen
Im Vergleich mit anderen Justizvollzugsanstalten Deutschlands weist die Bremer Institution deutliche Unterschiede bezüglich der Atmosphäre und Gestaltung der Gebäude auf. An vielen Wänden des ca. 60 Hektar großen Geländes lassen sich farbige Bilder und Zeichnungen finden, die teilweise in Kooperation mit der Hochschule der Künste entstanden sind. Die alten Backsteinfassaden und zahlreiche Grünflächen decken sich nicht unbedingt mit den typischen Erwartungen eines tristen und kahlen Gefängnisses.
Natürlich kann und sollte trotzdem nicht von einer Wohlfühlatmosphäre gesprochen werden. Während der Besichtigung wird unsere Gruppe mehrmals mit provokanten und ironischen Kommentare konfrontiert. Unter ständiger Beobachtung der Gefangenen aus ihren Zellen heraus und Zurufen wie: „Na, ist spannend hier?“, oder: „Jaja, geht lieber schnell weg von den Knastis.“, steigert sich die unangenehme „Besichtigungssituation“. Natürlich trifft dies nicht auf alle Insassen zu. Einige tragen am Handgelenk ein rotes Armband, welches ihnen Bewegungsfreiheit in eingegrenzten Bereichen ermöglicht, da sie als vertrauenswürdig und gefahrenlos eingestuft werden. Bei dieser Gruppe von Insassen merkt man, dass sie deutlich entspannter und ausgeglichener wirken.
Die Erzählungen der JVA-Beamten zeigen, dass das Leben isoliert von der Gesellschaft ein sehr kräftezehrender Lebensabschnitt ist, ebenso wie die Resozialisierung nach der Haft. Das Ansehen als ehemaliger Gefangener werden Betroffene wohl auch im Leben nach der Haft niemals verlieren.
Ein weiterführender Artikel, der sich mit dem Gefängnisalltag aus der Sicht eines Häftlings sowie mit dem Ziel der Resozialisierung beschäftigt, lässt sich hier finden.
Elena Dohrmann