„Am Wochenende habe ich mit einem Latexschwert Orks durch den Wald gejagt!“ Bei einem solchen Satz fällt es schwer, nicht direkt einen verrückten Nerd vor Augen zu haben. Doch ist Live Action Role Play im Hintergrund viel komplexer und ein Hobby, das mit besonders viel Herzblut ausgespielt wird.
Schon vor dem Kinostart von „Der Hobbit“ gab es große Begeisterung für das Thema Fantasy; Bücher von Vampiren bis Drachen erzielen enorme Verkaufserfolge. Und auch das Mitwirken in einer Laientheatergruppe gilt zwar als gewagt, aber dennoch interessant. Bei den Larpern kommt beides zusammen – allerdings verbunden mit weiteren Begriffen wie absolute Freiheit, Urlaub, Adrenalin, Kreativität und Freundschaft. Spätestens an dieser Stelle zeigt sich, wie weit dieses Hobby über das Bild der breiten Masse hinausgeht.
Die Grundlage eines Larp-Spielers ist die Erschaffung einer Figur, die kaum charakterlichen Einschränkungen unterworfen ist. So wird die freundliche Pazifistin zum raufenden Trunkenbold, der überzeugte Atheist zum Priester eines Sonnengottes. Die Figur wird mit einem erdachten Hintergrund in die Welt geworfen und entwickelt sich von Veranstaltung zu Veranstaltung weiter. Gerade dem Anfänger fällt es meistens schwer, sich mit dieser neuen Person zu identifizieren, doch kommt ein Punkt, an dem der Spieler nicht mehr nachdenkt „wie würde sich ein Barbar jetzt verhalten“, sondern für ein Wochenende zu jenem wird. Es gibt keine Gedanken mehr an Handys, die Uhrzeit wird an der Sonne abgeschätzt und der Alltagsstress kann bis Montag warten.
Sein, wer man sein möchte und die Realität einfach vergessen
Anfänglich steht ein Neuling etwas verloren da. Die fiktiven Welten erinnern etwas an einen Schulhof voller kleiner Gruppen, die zusammen über vergangene Heldentaten tuscheln, hochgewachsener und gut gerüsteter Männer, die das Recht des Stärkeren für sich beanspruchen, und dunkler Figuren, die mit verstohlenem Blick das Geschehen beobachten. Nach kurzer Zeit verändert sich die Situation durch eine gemeinsame Aufgabe, die die Spieler zusammenführt. Die kommende Zeit erinnert stark an Improvisationstheater – mit dem Unterschied, dass nur die Organisatoren wissen, worauf alles am Ende hinauslaufen wird. Jeder Charakter spielt für sich und die anderen, nicht für ein Publikum. Der Abschluss kann so vielseitig sein wie die Charaktere selbst: Es gibt Lobeslieder auf gemeinsam Vollbrachtes, Spott für Feigheit vor dem Feind oder (gespielte) Zwiste Betrunkener um die Gunst des anderen Geschlechts im Schein des Lagerfeuers. Streitigkeiten bestehen, zumindest in der absoluten Mehrzahl der Fälle, nicht zwischen den Menschen, sondern den gespielten Charakteren. Dieselbe Person, die gestern noch deinen Kopf rollen sehen wollte, kann dir am Abreisetag auf die Schulter klopfen und für das spannende Spiel danken.
Die gewünschte Welt kann man sich aussuchen
Für diejenigen, die keine Lust haben, Teil einer Welt voller Orks und Magier zu werden, denen die Thematik selbst aber gefällt, gibt es für nahezu alles eigene Larp-Veranstaltungen. Die Liste an Variationen reicht von Harry Potter-Cons mit Besenfliegen, über Endzeit-Larps, bei denen häufig ohne Waffen versucht wird, in einer Welt voller Zombies zu überleben, bis hin zu Steampunk-Cons oder orientalisch inspirierten Zeltlagern. Deutschlandweit gibt es viele verschiedene Events mit unterschiedlichen Regelwerken und eine große Rollenspieler-Community, bei der so manch Larper aus einem anderen Land neidisch werden könnte. So findet man zum Beispiel in der Nähe von Hannover jährlich die größte Rollenspielveranstaltung weltweit, das ConQuest, zu dem Menschen von allen Kontinenten anreisen, um in der Welt Mythodea aufeinandertreffen.
Wem das zu viel ist – besonders als Anfänger – der kann zunächst auf einem der unzähligen kleinen Larps in dieses außergewöhnliche Hobby reinschnuppern. Auch dort findet sich eine Vielfalt von Einzelspielern und Gruppen, ganz abgesehen von dem eigenen Charme und Charakter der kleineren Veranstaltungen, sodass man nicht fürchten muss, allein zu bleiben. Wer es schafft, seine anfänglichen Bedenken zu überwinden und über seinen eigenen Schatten in eine Rolle hineinzuspringen, der ist zumindest um eine besondere Lebenserfahrung und im besten Fall einige neue Freunde und eine spaßige Freizeitgestaltung reicher.
Beate Gora