Günther Oettinger hat drei Tage vor Amtseinführung noch einmal auf sich aufmerksam gemacht: Im „Handelsblatt“ vom 28.Oktober hat er über einen Gesetzesentwurf philosophiert, der Ende 2015 vorgestellt werden soll. Für geistiges Eigentum sollen Nutzer und Konzerne dann Abgaben entrichten. Plant er eine Internetsteuer, wie sie in Ungarn vorgesehen ist?
Was hat unser netzaffine Digitalkommissar denn überhaupt vor? Das ist eben das Problem, man wird aus den Äußerungen Oettingers nicht wirklich schlau. Was man sagen kann: Gegenstand seiner Pläne ist zunächst das europäische Urheberrecht, was vereinheitlicht werden müsste.
Naiv, aber erstrebenswert
Eine Vereinheitlichung wäre durchaus sinnvoll, denn Probleme der Verwertungsgesellschaften in europäischen Ländern gibt es schon länger. Auch die GEMA in Deutschland macht(e) sich vor allem durch Sperrungen von YouTube-Videos unbeliebt. Dabei ist der Grund für die Sperrungen leicht nachvollziehbar: So wie Klubs und Radiosender die GEMA bezahlen müssen, so müsste dies auch Google tun. Das Unternehmen konnte sich allerdings auf diesem Wege nicht auf eine angemessene Summe einigen. Auf Umwegen fand allerdings doch eine Einigung statt. Das Videoportal VEVO bietet seit Ende 2009 Musikvideos im Internet an. Unter anderem sind Sony und Universal die Eigentümer, aber auch Google ist beteiligt. 2013 einigte sich das Videoportal dann tatsächlich mit der GEMA, und durch die Beteiligung Googles sind nun die meisten Musikvideos des VEVO-Angebots auch auf Youtube zu sehen. Eine Vereinheitlichung des Urheberrechts in Europa wäre trotzdem wünschenswert, so würde sie weitere langwierige nationale Verhandlungen verhindern, die letztlich zu Lasten von allen Beteiligten führen.
Auch Martin Sonneborn hatte ein paar Fragen bezüglich der Eignung Oettingers als Digitalkommissar.
Aber zurück zu unserem Herrn Digitalkommissar. Er konstatiert im Interview mit dem österreichischen ZIB 24: „Wir müssen Wege finden, wie das geistige Eigentum nicht wertlos wird, indem jeder in der digitalen Welt kostenfrei darauf Zugriff hat.“ Wir halten zunächst fest, dass man aufgrund der Streitereien der Verwertungsgesellschaften mit den Internetanbietern häufig eben keinen Zugriff auf das „geistige Eigentum“ von Künstlern hat(te). Außerdem kann wohl kaum kostenfrei mit wertlos gleichgesetzt werden. Aber sicher, es muss über bessere Bezahlmodelle diskutiert werden. Die sogenannte Monetarisierung von YouTube-Videos, bei der der YouTuber erlaubt, dass Werbung vor, oder sogar Mitten im Video angezeigt wird, kommt als dauerhafte Einkommensquelle nur bei den wenigsten in Frage. (Als Faustregel gilt: Für 1.000 Klicks gibt es einen Euro.) Auch beim Musikstreamingdienst „Spotify“ wird pro Klick bezahlt, und das ist vielen Musikern zu wenig. Dass Musiker trotzdem ihre Videos, oft auch ohne sie zu monetarisieren, hochladen und bei Musikstreamingdiensten anbieten, rührt daher, dass es den Musikern nicht schadet, sondern nützt, wenn ihre Videos oft geklickt werden. Das klingt zunächst logisch. Viele Musiker hatten aber die anfängliche Sorge, dass niemand mehr ihre Tonträger kaufen würde, wenn ihre Stücke auch kostenlos im Netz verfügbar wären.
Kostenlos bedeutet nicht wertlos
Diverse Musikstreamingdienste schießen nun aus dem Boden. Das Angebot ist meist sehr umfangreich: Zum Beispiel finde ich bei Spotify von Miles Davis, über Lady Bitch Ray bis zu den Bremer Rappern Wurst&Feinkost alles, was mein Herz begehrt. Abstinenz vom Musikstreaming leisten sich dann eher die alteingesessenen etablierten Stars wie Die Ärzte, die Toten Hosen oder in den USA Taylor Swift und ACDC, die ein Statement gegen Dumpingpreise setzen wollen. Dabei gibt Spotify laut heise.de rund 70 % der Einnahmen direkt an die Rechteinhaber weiter (nur geht dabei leider der Großteil an die Labels, nicht an die Künstler).
Ebenso verhält es sich mit Sendungen und Filmen: Wo Anfangs die Sorge groß war, „das Internet“ würde nun endgültig für lauter leere Kinosäle sorgen, floriert das Kinogeschäft weiter. Auch das immer bessere Flatrate-Streaming-Angebot in Deutschland, gerade noch einmal angeheizt durch den Netflix Start hierzulande, bestätigt einen Trend: Illegale Angebote wie P2P-Tauschbörsen, Link-Sammel-Seiten und Download-Foren werden (im Internet) von legalen, kostenpflichtigen Angeboten verdrängt.
1. Tag der neuen @EU_Commission. #Oettinger ist ab heute Kommissar für #Digitalwirtschaft pic.twitter.com/9hAGtZ4xnw
— Europaparlament (@Europarl_DE) 1. November 2014
Also, Herr Oettinger, wie könnte man sich dann ein Bezahlmodell in ihrem Sinne vorstellen? Im ZIB-24-Interview liefert er gleich eine Antwort für die naiven Normalbürger. Einen anschaulichen Vergleich: „So wie Sie für viele Apps etwas zu bezahlen haben, wenn Sie diese runterladen, hätte ich kein Problem damit zu sagen, wer sich geistiges Eigentum reinzieht, es runterlädt, es sieht, es hört, der kann einen Beitrag leisten wie auch im Kino oder Theater.“ Dass wir alle täglich mit unseren Daten bezahlen und unfreiwillig Werbung gucken, das erwähnt Oettinger nicht. Doch es haben sich auch schon andere Möglichkeiten der Entlohnung für die Arbeit im Internet herauskristallisiert: Bestes Beispiel ist die Wikipedia oder Libre Office (früher: Open Office) als ein Beispiel für hochwertige Arbeit an quelloffenen Programmen. Die Erhaltung dieser finanziert sich oft ausschließlich durch Spenden. Mit der Internetwährung Bitcoin soll das Bezahlen im Internet nun noch einfacher werden. Der Einkauf von „geistigem Eigentum“ im App-Format ist schlicht illusorisch.
Vor Dummheit schützen
Solche Vorschläge offenbaren, wie ungeeignet Oettinger tatsächlich als Digitalkommissar ist. Man denke nur zurück an die Aussage: „Wenn jemand so blöd ist und als Promi ein Nacktfoto von sich selbst macht und ins Netz stellt, kann man doch nicht von uns erwarten, dass wir ihn schützen.“ Ups, da ist an dem Digitalkommissar wohl wieder vorbeigegangen, dass die „Promis“ ihre Fotos nicht einfach in dieses große, weite, schmutzige und offene Netz hochgeladen haben, sondern Hacker erst das Passwort und dann die Fotos von einem Cloud-Anbieter stahlen.
Wir sehen, das Internet ist stets im Wandel und einige Tendenzen hin zu, wenn auch zugegeben bisher ausbaufähiger, vernünftiger Entlohnung von geistigem Eigentum, sind ersichtlich. Derweil überlegen Sie, Herr Oettinger, noch im Handelsblatt (Printausgabe vom 28.Oktober), was „geistiges Eigentum“ überhaupt sei. Und dann Folgen noble Ziele: Etwa, dass auch Großkonzerne für die Verwertung von europäischem geistigen Eigentum bezahlen müssten. Zusammengefasst breche ich Ihre To-Do-Liste mal auf drei Stichpunkte herunter:
- Sämtliche Urheberrechtsstreitigkeiten von Verwertungsgesellschaften, Konzernen und Künstlern in ganz Europa beilegen.
- Bezahlmodelle für den Konsum von digitalem geistigen Eigentum konstruieren.
- Einen einheitlichen europäischen Binnenmarkt schaffen.
Hmm, klingt immer noch nach viel Arbeit. Ich weiß nicht, wie der seit 1. November neu eingestellte „EU-Kommissar für digitale Wirtschaft und Gesellschaft“ das alles auch nur ansatzweise schaffen will in einem Jahr. (Selbst unter Berücksichtigung seiner fachkundigen Zuarbeiter, deren Existenz ich auch anzweifeln möchte, da sie ihm sonst wohl dringend von einer solch größenwahnsinnige Ankündigung abgeraten hätten.)
„Leistungsschutzrecht! Netzsperren!“ „Whoa, cool!“ „Internet-Steuer!“ „Yeeeehaaaa!“ „#Oettinger nach Brüssel!“ „Jungs, übertreibt es nicht.“
— bee (@zynaesthesie) 28. Oktober 2014
In diesem Sinne: Alles Gute!
Paul Fenski