Während es sich bei den Grünen kürzlich um eine rein interne und professionelle Entscheidung handelte, war bei der SPD bereits im Sommer 2020 alles klar – Wie sich die Union im Kontrast zur Konkurrenz bei der Frage nach der Kanzlerkandidatur verrannt hat, warum Markus Söder ein verlierender Gewinner ist und wie es in vier Jahren um die Union stehen könnte.
„Unbeholfen“, so lässt sich in etwa die Kandidat:innensuche der Union zusammenfassen. Etwas ausführlicher liest sich die Geschichte dann so: Im Januar dieses Jahres veranstaltete die CDU einen digitalen Parteitag. Armin Laschet, Ministerpräsident in Nordrhein-Westfahlen, setzte sich mit Ach und Krach im zweiten Wahlgang gegen Friedrich Merz durch. Fast könnte man meinen, dass der Parteivorsitz Armin Laschet die Kanzlerkandidatur garantiere – wäre da nicht Markus Söder. Mit dem bayerischen Ministerpräsidenten kam es während des Ringens um die Thronfolge der Union zu gegenseitigen Diffamierungen, dem öffentlichen Überhöhen vermeintlicher Vorteile der eigenen Person. Die Starrköpfigkeit der beiden Konservativen sorgten für einen erheblichen Rückgang der Popularitätswerte der gesamten Union. Letzten Endes entschied sich der Parteivorstand der CDU gegen den CSU-Kandidaten Söder. Armin Laschet erhielt 77,5 Prozent der Stimmen, Kontrahent Söder nur 22,5. Eine Umfrage in der Parteibasis ergab hingegen ein Spiegelbild dieses Ergebnisses. Die Unterstützung aus den eigenen Reihen muss sich Laschet nun also erst einmal verdienen.
Tofuwürstchen oder Sünde?
Wäre der Wahlkampf für die Union mit Söder einfacher gewesen? Vermutlich, denn Söder hat die bemerkenswerte Eigenschaft, jedem gesellschaftlichen Milieu das zu sagen, was es hören möchten. Auf der einen Seite postuliert Söder: Klimaschutz sei eine moralische Aufgabe, denn „Die Veränderungen der Welt sind fundamentaler, als viele Wissenschaftler noch vor Jahren gedacht haben. Nicht zu handeln, wäre eine Sünde und ein schwerer politischer Fehler, der uns schneller einholt, als wir denken“. Auf der anderen Seite bezeichnet er klimafreundliche Fleischersatzprodukte im Rahmen des politischen Aschermittwoches als „sinn- und geschmacklos“. Ein personalisierbarer Politiker also, aber dadurch auch ein Profilloser.
Im Gegensatz dazu: Laschet, der diplomatischere, unterschätzte CDUler, der also gleich zwei Duelle in wenigen Wochen für sich entscheiden konnte. Er steht für das altbekannte „weiter so“. Dementsprechend sieht er, abgesehen von einigen pandemiepolitischen Entscheidungen, wenige Gründe vom Kurs der scheidenden Kanzlerin abzuweichen. Anders als Söder, der sich in den letzten Wochen und Monaten wie ein Fähnchen im Wind zunehmend grünenfreundlicher ausgerichtet hatte, tendiert Laschet weiterhin eher zu wirtschaftsnahen Positionen. Auf der einen Seite hebt man sich so stärker von Grünen und Sozialdemokraten ab, auf der anderen Seite hätte die Union mit Söder auch Wähler:innen aus eben diesen Kreisen abwerben können.
Die Frage nach der Zukunft
Söder hat bei dem Zweikampf um die Kanzlerkandidatur zwar verloren, doch trotzdem ist er es, der aus der faktischen Niederlage als Sieger hervorgeht. Nehmen wir an, Söder hätte aufgrund der breiten Zustimmung der Basis tatsächlich den Vorzug vor Laschet bekommen und wäre so Kanzlerkandidat geworden, hätte er seine bayrische Komfortzone verlassen, in den nächsten Wochen als Bundespolitiker auftreten müssen und sich nicht mehr mit seiner bayrischen Vorreiterposition in der Corona-Politik brüsten können. Söder hat gewonnen, weil er durch den Antritt gegen Laschet einen Fuß in die Tür einer möglichen künftigen Regierung gestellt hat. Weil er bei einem Wahlsieg der Union seinen Einfluss auf Regierungsangeleigenheiten gestärkt hat und im Falle einer Niederlage sagen könnte: Hättet ihr mich auserwählt, wir hätten gesiegt.
Der Wahlkampf wird dieses Jahr besonders schwer für die Union, allen voran für Armin Laschet. Man hat es dieses Jahr nicht nur mit den üblichen Themen zu tun, mit Streit um Renten, Mindestlöhne, Tempolimits und Veggie-Days, sondern muss sich grundlegenden und zunehmend dringlicheren Fragen stellen. Die Union hat als koalitionsführende Partei trotz der im europäischen Vergleich durchschnittlichen Corona Fall- und Todeszahlen Fehler in der Krisenkommunikation gemacht und auch durch die Maskenaffäre eine tiefgreifende Verunsicherung hinsichtlich der Integrität der Volksvertreter:innen gestreut. Prekäre Verhältnisse im Gesundheitssektor, die durch die Pandemie in den Fokus gerückt sind offenbaren eine Baustelle, für die die Union keine Pläne parat hat. Mit der Klimakrise steht die nächste Mammutaufgabe globalen Ausmaßes vor der Tür – und mit den Grünen steht eine Partei bereit, die das Thema nicht erst auf dem Plan hat, seitdem es hip geworden ist.
Laschet, der mit einer ähnlichen Ruhe auftritt wie die scheidende Kanzlerin Angela Merkel, muss nun sein eigenes Profil schärfen und zu einer Identitätsfigur werden. Klimaschutz nennt er meist in einem Atemzug mit Wirtschaft. Asylpolitisch gleicht sein Kurs ebenfalls dem von Merkel und somit grenzte Laschet sich 2020 einzig mit seiner auf Lockerungen konzentrierten Corona-Politik von der Kanzlerin ab. Mit steigenden Inzidenzzahlen im Frühjahr dieses Jahrs ist aber auch Laschet für härtere Maßnahmen, schlug zu Ostern den berühmten „Brückenlockdown“ vor.
Gleichzeitig gilt es für ihn den Blick trotz Pandemie nicht vor den Fragen und Problemen der kommenden Legislaturperiode zu verschließen. Laschet müsste noch einmal in sich gehen, nachdenken, zu dem Schluss kommen, dass die CDU mit einem „gemerkelten weiter so“ zunehmend an Popularität verliert und eine Sanierung benötigt, wie sie die SPD schon vor Jahren verpasst hat. Zwar zehrt die CDU wie keine zweite Partei von einer breiten konservativeren Stammwähler:innen-Basis, jedoch eben auch von einer besonders alten. Junge Menschen wählen vermehrt Grüne und Linke, interessieren sich also für soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz. Natürlich kann und sollte die CDU ihre Stammwähler:innen nicht rechts liegen lassen, aber sie sollte sich fragen, wie junge Menschen mit ernstzunehmender Klimapolitik erreicht werden können.
Vielleicht reicht es dieses Jahr noch, wenn auch knapp, das Bundeskanzleramt aus den eigenen Reihen zu besetzen. Doch in vier Jahren wird die heutige CDU nur noch ein kleines Stück Bundestagstorte abkriegen – denn ein Festhalten an Dingen die „immer schon so waren“ wird den Krisen und Themen, die so noch nie dagewesen sind, leider nicht mehr gerecht.
von Niklas Berger
Foto: Laurence Chaperon, https://archiv.cdu.de/cduvorsitz/download-bereich