Interview
Ein unheimliches Haus, ein alter Mann, der vor einem Fluch warnt und ein junger Antiquar, welcher alle Warnungen in den Wind schlägt… Auf Gut Hohehorst bei Schwanewede hat ein junges, begabtes Team aus Bremen und umzu eine Stephen King Kurzgeschichte auf 16 Millimeter Zelluloid verfilmt. Der verlassene Familiensitz der Lahusen-Dynastie ist die perfekte Kulisse für subtilen Horror. Lisa-Marie Siewert sprach für KROSSE mit Regisseur Matthias Greving und Produzent Henning van Lil über den Dreh, das besondere Projekt und norddeutsche Potentiale.
Lisa-Marie: „Delver Glass“ – der direkte, norddeutsche Schnacker fragt sich: Watt für´n Glas? Worum geht’s aber wirklich?
Matthias: Wir erzählen die Geschichte des Antiquitätenhändlers Johnson Spangler, der einen besonderen Spiegel, welcher in seiner Sammlung noch fehlt, abholen will. Er wird von Mr. Carlin durch das Schloss zum Dachboden geführt. Auf dem Weg dahin warnt ihn der alte Mann eindringlich vor dem Fluch, der auf dem Spiegel lasten soll. Schon mehrere Menschen haben bei einem Blick in ihn etwas gesehen – sie sind verschwunden und ihr Schicksal ist unklar. Doch Spangler nimmt Carlin nicht ernst, obwohl mit jeder Treppenstufe dieses beklemmende Gefühl der Angst und Schwere zunimmt. Schließlich steht er vor dem Spiegel und sieht hinein – wir sehen nicht, was genau er erblickt, es scheint der Tod persönlich zu sein. Nur Spanglers in Panik und Entsetzen verzerrtes Gesicht… Der Rest wird im Film verraten!
Hört sich spannend an – und gruselig! Was genau ist denn der besondere Reiz, den diese Produktion hatte und wie habt ihr da zueinander gefunden?
Henning: Ich würde gerne Kneipe sagen, aber es war ‘ne Bar an der Schlachte. Als Matthias mir ganz euphorisch von der Geschichte erzählte und von der Gestalt, die Spangler im Spiegel sieht, die ihn dann verflucht – da waren wir uns ziemlich schnell einig, dass das etwas ist, was man eigentlich gar nicht zeigen kann, weil es so grausam und so hässlich ist. Wir hätten da auch irgendeinen Sensenmann ins Bild stellen können. Und deswegen haben wir von vorneherein gesagt: Das, was da vor dem Spiegel passiert, wird nicht direkt gezeigt. Dieser Aspekt ist eigentlich das, was mich am meisten getrieben und überzeugt hat: Wir zeigen nicht einfach ein plumpes Monster oder einen anderen Endgegner, sondern nur Reaktionen von Spangler und Carlin. Wir machen gerade bei dieser Szene viel mit Licht und Musik, ohne wirklich plakativ zu sein.
Wenn man über „Delver Glass“ reden will, kommt die Sprache natürlich auf die Original-Kurzgeschichte von Stephen King – dem König des Horrors möchte man sagen. Wie bist du, Matthias, darauf gekommen, genau diese Geschichte zu verfilmen?
Matthias: Ich wollte schon lange Kurzfilme machen und irgendwann bin ich auf die Möglichkeit gestoßen, mich bei dem „Dollarbaby-Programm“ zu bewerben. Ich hab mir dort die zur Verfügung stehenden Geschichten angeguckt und bin sofort über „The Reapers Image“, wie die Geschichte im Original heißt, gestolpert. Weil sie so anders ist – die anderen sind meist sehr plakativ, typischer Stephen King-Horror. Diese Geschichte ist die einzige, die wirklich supsense ist, die total heraussticht und die auch unkommerziell zu realisieren war. Das war schließlich auch der Reiz an der ganzen Sache. Beim Lesen der Geschichte habe ich sofort an den späteren Drehort Gut Hohehorst gedacht und hab gemerkt, dass es etwas mit mir macht. Deshalb hab ich mich für diese Geschichte beworben.
Was genau ist das „Dollarbaby-Programm“?
Matthias: Stephen King bekam 1983 eine Anfrage von Frank Darabont [dreht heute „The Walking Dead“- Anmerkung der Redaktion], ob dieser eine seiner Kurzgeschichten für ein Studienprojekt adaptieren dürfe. Danach hat er sich überlegt, dass er gerne junge Filmemacher unterstützen und ihnen für einen symbolischen Dollar die nicht-kommerziellen Filmrechte an bestimmten seiner Kurzgeschichten geben möchte. Das Programm wurde bis in die 90er Jahre nur von einer Handvoll Filmemachern genutzt und hat jetzt durch das Internet erst richtig Verbreitung gefunden. [Mehr Infos findet ihr hier.]
Die Bremer Umgebung diente euch als Drehort für einen Stephen King Film – hat Norddeutschland als Filmregion Potential?
Henning: Gut Hohehorst ist definitv nur ein Beispiel für einen guten Drehort hier in der Nähe. Vor dem Projekt war ich auch noch nicht so in der Bremer Filmlandschaft involviert, aber ich habe durch „Delver Glass“ gemerkt, dass es hier tatsächlich viele gute Leute gibt, die das professionell betreiben. Viele davon haben auch bei unserem Film mitgeholfen. Der Komponist Andre Feldhaus ist beispielsweise begnadet und die Cutterin vom Bremer „Tatort“ war auch dabei. Das denkt man vielleicht gar nicht so, da die eigentlichen Filmstädte normalerweise eben Berlin, Hamburg und Köln sind. Aber Tatsache ist, meiner Meinung nach, dass man in Bremen mit etwas mehr Überzeugung was ganz Ordentliches freilegen kann. Mit unserem Film haben wir das glaube ich schon ganz gut gezeigt. Ohne dass wir uns da auf die Schulter klopfen wollen, aber wir haben schon versucht, ein sehr hohes Niveau an den Tag zu legen.
Der Film ist zwanzig Minuten lang. Wie viel Arbeit steckt dahinter, bis man die fertige Version im Kasten hat?
[Lautes Gelächter der beiden, halb komisch, halb verzweifelt.]Matthias: Also ich kann da mal ‘ne kleine Zahlentabelle anbieten: Der Film hat vom ersten Impuls bis zur Fertigstellung etwa 25 Monate gebraucht, es waren mindestens 80 Personen an der Herstellung beteiligt, wir haben direkt am Set mit 30 Personen gearbeitet, das Skript ist 20 Seiten lang und der Film ist 19 Minuten lang geworden.
Henning: Das wird ja immer weniger!
Eine ganze Menge Arbeit also – gab es da nicht auch so ein paar Momente, in denen man keinen Bock oder Zweifel hatte?
Henning: War alles super…!
Matthias: Filme machen ist total einfach, kostet keine grauen Haare, ist einfach nur toll! Nein – natürlich hat es andauernd Momente gegeben, da war klar: Es müssen Entscheidungen gefällt werden. Oft waren Dinge aus finanziellen Gründen nicht realisierbar. Aber ich muss sagen, es war echt ein Geschenk, solche Schauspieler zu bekommen und auch so viele Ehrenamtliche zu finden. Das war der Lohn der ganzen Arbeit. Wir haben wahnsinnig viel investiert, wir haben das unter unglaublichem Druck gemacht. Aber es wurde eben auch immer wieder belohnt, sei es durch Menschen, die sich für uns stark gemacht haben, oder die tolle Förderung, die wir so auch gar nicht erwartet hatten. Und eben die Kompetenz in Bremen als ausbaufähigem Filmstandort, wie bereits erwähnt. [Lacht verschmitzt.]
Neben den Set-Mitarbeitern, Freiwilligen und Co. dürften einem nun mal die Hauptdarsteller besonders ins Auge fallen. Wer sind sie und wieso sind es gerade diese Schauspieler geworden?
Henning: Das sind die einzigen, die es für das Geld gemacht haben! [Lacht erneut.]
Matthias: Etwa sieben Wochen vor Drehbeginn habe ich Jeff Burell gefunden…
Henning: …auf der Straße.
Matthias: [lacht] „…Nein. Nicht auf der Straße. Ich habe etwa ein Jahr nach Schauspielern gesucht und mit vielen deutschen Theatern gesprochen. Die Darsteller hätten aber alle einen Akzent gehabt. Wir wollten deshalb gerne englische Native-Speaker. Schließlich bin ich dann auf Jeff gestoßen. Er erwähnte dann in einem Nebensatz, dass er auch mit Matthew Burton zusammen gespielt hätte. Die Vita der beiden und wie ich sie am Telefon erlebt habe hat mich einfach überzeugt. Als die beiden zugesagt haben, war das einfach der Wahnsinn. Mir war einfach wichtig, dass die beiden Theaterschauspieler sind. Es ist eigentlich ein Kammerspiel und fokussiert sich nur auf die beiden und damit muss man als Schauspieler umgehen können.
Jetzt haben wir ganz viele interessante Sachen über den Entstehungsprozess erfahren – wie geht’s denn nun weiter?
Henning: Ich wollte direkt nach der Premiere einen Wurstbudenstand eröffnen… Nee, danach muss ich erst mal alles rekapitulieren – wie das Projekt war und was es einem gebracht hat. Ich bin da persönlich total durch galoppiert. Man hat auf jeden Fall eine Menge gelernt und das muss auch verarbeitet werden. Das ist der erste Film, den ich mit produziert habe und ich bleibe auf jeden Fall zukünftig im Bereich der bewegten Bilder, Töne und Musik. Was es genau wird, muss sich noch zeigen.
Matthias: Die richtige Premiere des Films findet ja erst im Frühjahr statt, dann, wenn die Festivalsaison wieder losgeht. Dann kann man auch diese Wahnsinnsmonate Revue passieren lassen. „Delver Glass“ hat uns direkt und indirekt etwas gebracht: Direkt, dass wir etwas realisieren konnten, wovon wir überzeugt waren, was uns Kraft gekostet hat, aber eben auch eine Menge Spaß gebracht hat. Und indirekt die Kontakte, die man deutschlandweit geknüpft hat. Wenn der Film mit Applaus gefeiert wird, dann ist das für uns ganz wichtig und besonders schön. Und was die Zukunft angeht: Ich sitze jetzt schon wieder im nächsten Projekt.
Und wie können unsere krossmedialen Leser die Möglichkeit bekommen, dem Film zu applaudieren?
Henning: Die Rechte an dem Film haben wir nicht-kommerziell erworben, das heißt wir dürfen ihn nicht gegen Geld zeigen, keine Internetlinks oder sonstiges. Nur kurze Ausschnitte stehen im Netz zur Verfügung. Wir werden uns daher auf Filmfestivals beschränken, dort dürfen wir ihn zeigen. Stephen King hat eine Kopie von dem Film bekommen und hat sich bis jetzt noch nicht beschwert – das ist schon mal sehr gut. Er dürfte den Film mit Absprache zum Beispiel auf das Bonusmaterial seiner anderen Filme packen, wenn er wollte – die Rechte liegen bei ihm.
Matthias: Wir hoffen, dass wir bei den Festivals in Emden, Oldenburg, Hamburg und Co. dabei sein können. Den Film haben wir inzwischen bei 45 Festivals eingereicht, die Saison beginnt aber erst im Frühjahr.
Dann freuen wir uns jetzt schon auf subtilen Horror „made in Norddeutschland“ und noch viele weitere Projekte von euch!
…Mehr Infos über Delver Glass inklusive Trailer findet ihr hier!
Lisa-Marie Siewert