Über die aufkommende Corona-Produktivität und den absurdesten Ideen in der Quarantäne: Müsse man wirklich mehr schaffen, nur weil man zuhause eingesperrt ist? Eine Kampfansage ans Bananenbrot!
Es ist morgens. Besser gesagt mittags. Genauer gesagt ist es 12:30 Uhr und ich liege immer noch im Bett. Die Trägheit ist seit circa zwei Wochen mein treuer Begleiter geworden und heftet an mir, wie das Corona-Virus am Alltag aller. Ich greife intuitiv nach meinem Handy und checke meine Nachrichten – Nichts, Nada, Niente. Ich swipe durch Instagram und schaue mir die Stories meiner Freunde und Bekannten an – keine gute Idee, wie ich schnell feststelle. „Hallo meine Lieben, ich habe gestern das neue Full-Body-Workout von Pamela Reif ausprobiert, ich habe so einen Muskelkater“, beschwert sich eine Freundin und spricht dabei in die Kamera ihres Smartphones. „Ich bin so ins Schwitzen gekommen, aber irgendwie muss man sich ja beschäftigen in der aktuellen Situation.“ Damit meint sie die Pandemie.
Das Leben steht still – Einzelhandel, Gastronomie, Kulturstätten, Fitnessstudios, alles was wir in unserer Freizeit zur Beschäftigung nutzen, ist geschlossen. Stellt sich die Frage: Was stellt man mit dieser „gewonnenen“ Zeit an?
„Ordnung ist das halbe Leben“ – oder so ähnlich
ExpertInnen betonen wie wichtig es sei, trotz der Quarantäne einem geregelten Tagesablauf nachzugehen. „Struktur erleichtert es uns, durch den Tag zu kommen und ist auch ein gutes Mittel gegen Langeweile“, meint Miriam Hoff, Psychotherapeutin für Kinder und Jugendliche gegenüber RTL. Pünktlich aufstehen, duschen, fertigmachen, frühstücken und zur Uni fahren, so sah mein Alltag vor Corona aus. Halbe Stunde hinfahren und abends wieder zurück. An einem normalen Uni-Tag komme ich so auf ca. 17.000 Schritte. Jetzt sind es vier von meinem Bett zum Schreibtisch. Acht in die Küche und zwölf ins Bad.
Verständlich, dass sich bei einigen der Bewegungsdrang breitmacht. Plötzlich gehen alle joggen, topfen ihre Blumen um. Sortieren ihre Bücherregale nach Farben, Autoren, Größe – oder alles zusammen. Und wenn man Instagram Glauben schenkt, dann gibt es eine Beschäftigungstherapie schlechthin, sie heißt: Bananenbrot backen.
Ansteckende Ideen in Zeiten der Quarantäne
Auch ich fing an mir auszumalen, was ich alles schaffen könnte und füllte ebenfalls meine To-do-Listen mit Dingen, die ich schon immer mal machen wollte. Grundlegend aufräumen, renovieren, Yoga ausprobieren, Laufen gehen. Bücher lesen, die schon lange auf meiner Liste stehen und mal nichts mit Uni zu tun haben. Brot backen – allgemein mehr in der Küche stehen und kochen. T-Shirts färben. Mit Freunden facetimen, die man schon so lange nicht mehr gesehen hat.
Die gesammelten DIY Pinterest-Pins durchforsten und endlich nachbasteln – wie zum Beispiel eine selbstgebaute Pflanzentreppe, die ich schon länger gerne hätte. Habe ich Pflanzen? Nein. Was mache ich von meinen großen Ideen? Nichts.
Ernüchterung auf halber Strecke – Schluss mit dem Bananenbrot-Backen!
Meine Pizza-Kartons bekommen weiterhin Zuwachs. Das letzte Mal Sport war Völkerball in der Oberstufe und meine glorreiche Idee zu renovieren, endete in Frustration und blanken Nerven. Kurzum: Ich fühle mich nicht selbstoptimiert, ich habe bisher nicht zu einem besseren Ich gefunden und fühle mich – trotz der gewonnen Freizeit – gestresst. Vielleicht erst recht durch die vermeintlich „zusätzliche“ Zeit.
Das Beste aus der jetzigen Situation machen – ja. Das meiste aus der Zeit rausholen – nein. Dass Instagram uns ein scheinbar perfektes Leben aufzeigt, ist nichts Neues. Auch in der jetzigen Situation hat sich das Insta-Game nicht verändert, es haben sich nur die Aktivitäten verschoben. Gegenüber FOCUS Online betont die Resilienz-Trainerin Sigrid Diekow, die sich mit Menschen in extremen Belastungssituationen beschäftigt, wie wichtig es sei, sich in der Quarantäne die Frage zu stellen: Was kann ich jetzt tun, damit ich gesund bleibe? Die Trainerin hat aber einen anderen Eindruck: „Die Leute denken eher andersrum. Sie fragen: Was kann ich tun, damit ich nicht krank werde?“. Stichwort: Selbstoptimierung. Laufen gehen, Smoothies pürieren, Yoga machen.
„Für mich steht die Gesundheit im Vordergrund. Das Vertrauen in den Körper. Die Überlegung, was ihm gerade jetzt besonders guttut – wie ich ihn physisch und psychisch stärken kann“, führt Diekow weiter aus. Ich persönlich merke einfach, wie sehr mich eine derartig lange To-do-Liste stresst. Am Ende muss jede*r für sich selbst entscheiden, was das Beste für einen ist. Für mich: Keinen Wettkampf aus dem Backen, Kochen und Laufen machen. Ich hole mir jetzt lieber ein Stück Schokolade, denn das macht mich wirklich glücklich – heute bleibe ich im Bett!
von Lukas Weisselberg
Foto: Lukas Weisselberg