Nach der hitzigen Diskussion um das vom deutschen Satiriker Jan Böhmermann veröffentlichte ‘Schmähgedicht’ über den türkischen Präsidenten Erdogan war es lange still um den Moderator. Seit 4 Wochen nun ist Böhmermann mit ,,Neo Magazin Royale“ und seinem neuen Spotify-Podcast ,,Fest und Flauschig“ zurück. Wir haben uns die Frage gestellt: wie verhält sich eine prominente Person in der Öffentlichkeit, gegen die ein Strafverfahren wegen Majestätsbeleidigung läuft?
Kaum eine Sendung wurde so gespannt erwartet wie die erste Folge ,,Neo Magazine Royale“ nach der Zwangspause. Die Leute fragten sich: würde Böhmermann über die Erdogan-Affäre reden, vielleicht sogar Witze darüber machen, so wie man es von ihm gewohnt ist? Oder würde er sich zurückhalten, so wie er es auch die ganzen vorherigen Wochen getan hatte, seit das Gedicht soviel Empörung auslöste? Wer eine wirkliche Stellungnahme erwartet hatte, war nach der Sendung sicherlich enttäuscht. Aber Böhmermann ist ja eigentlich auch nicht der Typ, der mit voller Ernsthaftigkeit über Dinge spricht. Stattdessen gab es in gewohnter Böhmermann-Manier einige Referenzen und Spitzen, so wurde die Show bereits zu Beginn als ,,Deutschlands gesetzestreueste Show“ angekündigt. Immer wieder betont Böhmermann, dass er keinen Ärger mehr will, weshalb er auch nur Witze erzählt, die ihm Zuschauer vorab zugesandt haben. Er konnte es sich allerdings nicht verkneifen, ausgerechnet solche auszuwählen, die sich um das Thema Erdogan oder Merkel drehen. Nur einmal wird das Thema direkt angesprochen, nämlich als Böhmermann sich mit dem Studiogast Gregor Gysi unterhält. Zwar halte Gysi nicht viel von dem Gedicht, jedoch findet er die Reaktion des türkischen Präsidenten überzogen und würde – als gelernter Anwalt – Freispruch für Böhmermann fordern. Nach einiger Zeit interveniert Böhmermann dann allerdings und lenkt das Gespräch in eine andere Richtung.
In den folgenden Sendungen ist das ganze Thema dann nur noch unterschwellig zu spüren, wahrscheinlich weil Böhmermann das Thema mittlerweile so überdrüssig ist wie dem Zuschauer. Kleinere Gags scheint er sich allerdings nicht verkneifen zu können. In der zweiten Folge zeigt er, wie er die Fehler seiner Mitarbeiter bestraft und Zivil- und Strafprozesse gegen sie angestrebt. In der letzten Woche stellte er dann die neue Rubrik ‘Bewusst verletzend’ vor, in der er, wie er sagt, endlich seinen Hass rauslassen kann. Alle, die sich ein wenig mit der Erdogan-Affäre beschäftigt haben (oder nicht drum herum kamen), wissen, worauf sich dies bezieht.
Künstler Böhmermann vs. Privatperson Böhmermann
Nachdem dann den Sonntag darauf die erste Folge seines neuen Podcasts ,,Fest und Flauschig” auf Spotify erschien, kam es einem irgendwie so vor, als hätte das ZDF Böhmermann eine Art Maulkorb verpasst. Denn in der ersten Ausgabe seiner allwöchentlichen Plauderstunde mit Olli Schulz äußerte er sich dann zum ersten Mal wirklich frei und ernsthaft darüber, wie er selbst die ganze Affäre rund um sein Schmähgedicht über Erdogan empfunden hat. ,,Die Luft wird dann doch ein kleines bisschen dünn, wenn abends die Polizei bei dir an der Tür klingelt und sagt: wir müssen Sie mal kurz hier rausholen, weil wir um Ihre Sicherheit besorgt sind“. Er trenne da aber die Privatperson von dem Künstler, denn für ihn war das ,,künstlerisch ‘ne geile Nummer“. ,,Ich klopf mir jeden Tag drei Stunden auf die Schulter und sag: ‘mega geil, Böhmi“. Olli Schulz kommentierte dazu nur trocken: ,,Ich finde du hast das ganze Jahr viel geilere Sachen gemacht.“
In der zweiten Folge meint Böhmermann dann, er wolle über das Thema nicht mehr sprechen. Tatsächlich dauert es aber nur bis zur dritten Folge des Podcasts, bis die Beiden wieder auf das Thema zu sprechen kommen. Böhmermann regt sich darüber auf, dass sich alle nur das Gedicht angehört und es nicht zusammen mit der ganzen Nummer verstanden haben. Denn es wäre ihm nie um das Gedicht alleine gegangen – was er im Übrigen nicht einmal selber verfasst hat – und er schäme sich dafür, dass die Leute ihn nun immer nur mit diesem Gedicht in Verbindung bringen. ,,Was ist denn das für ein Verständnis von dem, was ich mache, das ist ne absolute Beleidigung“. Vermutlich wird das aber auch erstmal die letzte Äußerung gewesen sein. Zumindest so lange, bis die endgültige Entscheidung im Böhmermann-Fall gefällt ist, denn spätestens dann wird das verebbte Interesse der Leute sicherlich wieder aufflammen.
Klar liefert die ganze Angelegenheit viel Stoff für Gags, allerdings scheint es, als würde Jan Böhmermann doch recht leichtfertig mit dem laufenden Strafverfahren gegen ihn umgehen. Sosehr manche ihn auch unterstützen und Erdogans Verhalten verurteilen mögen, darf man doch nicht außer Acht lassen, was für Auswirkungen diese kleine Nummer haben könnte.
Rechtliche Einordnung und Entwicklung des Strafverfahrens
Da wären zunächst einmal die rechtlichen Konsequenzen. Rechtlich gesehen stehen sich gegensätzliche Einschätzungen vieler Juristen gegenüber. Der Medienrechtsexperte Ralf Höcker beispielsweise hält eine Verurteilung des Moderators für höchst wahrscheinlich, da der Beitrag, den er als „Beleidigungsorgie“ bezeichnet, durch seine Länge und Detailliertheit nicht mehr als Satire angesehen werden könne. Zudem habe der türkische Staatspräsident das Recht, sich nicht nur auf §103 des Strafgesetzbuches, sondern auch auf §185 zu berufen, der die Beleidigung gegen eine Privatperson mit Geld- oder Freiheitsstrafe sanktioniert. Der Medienjurist Marc Oliver Srocke weist hingegen auf ein starkes Argument hin, welches die Anwälte des Moderators vorbringen könnten: „Rechtlich entscheidend ist das Szenario, in das Herr Böhmermann die Verse gestellt hat. Er selbst kündigt das Gedicht ja sozusagen als Beispiel dafür an, was sogar Satire in Deutschland eben nicht darf.“ Weiterhin bezeichnet er den Beitrag der Show sogar als „gut durchdachte und feinsinnig inszenierte Medien- und Politsatire“.
Inzwischen hat Mathias Döpfner, der Vorstandsvorsitzende des Medienunternehmens Axel Springer, durch einen offenen Brief seine Solidarität zu Böhmermann und seinem Gedicht bestätigt, sodass sich das Verfahren nun auch gegen das Medienhaus wendet. Erdogan beantragte daraufhin den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen Döpfner, der allerdings vom Landgericht Köln am 11. Mai zurückgewiesen wurde, gerechtfertigt durch das Recht auf Meinungsfreiheit. Ob die Entscheidung noch geändert werden soll, wird gerade geprüft. Falls dies nicht der Fall ist, wird die Klage an das Oberlandesgericht weitergeleitet. Seinen Brief bereue Döpfner keinesfalls, er stehe „zu jedem Wort und jedem Komma“.
Auswirkungen auf die politische Meinung der Bürger
Angela Merkel, die ebenso eine zentrale Rolle in der Staatsaffäre spielt, musste sich in den letzten Wochen mit viel Kritik seitens der Bürger bezüglich ihrer Aussagen zur Thematik auseinandersetzen. Zwei Drittel der Bevölkerung stufen die Ermächtigung der Strafverfolgung als falsch ein. Das Ansehen Merkels leidet unter dem Fall, nur weniger als die Hälfte der Deutschen sind aktuell mit der Arbeit der Bundeskanzlerin zufrieden. Auf den Unmut der Bevölkerung hin bereut sie die Bewertung des Gedichtes, welches sie als „bewusst verletzend“ einstufte. Es sei der Eindruck entstanden, ihre persönliche Meinung stehe im Vordergrund. Trotzdem bekräftigt sie weiterhin die Strafverfolgung, schließlich benötigt Deutschland die Unterstützung der Türkei in der aktuellen Flüchtlingskrise.
Branchenbezogene Konsequenzen
Doch auch hinsichtlich zukünftiger Verhaltensweisen und Grenzen von Satire hat sich für Komiker und Kabarettisten einiges geändert. Nach der Einschätzung von Joan Bleicher, stellvertretende Direktorin des Instituts für Medien und Kommunikation der Universität Hamburg, werden sich in Zukunft Komiker weniger politisch äußern: „Das Motto ,Satire darf alle‘ gilt nicht mehr“. Diese Entwicklung zeigt sich auch dadurch, dass sich nicht alle Kollegen Böhmermanns mit ihm solidarisieren. Guido Cantz, ARD Moderator und Komiker, kritisiert das Auftreten des Moderators in seiner Sendung: „Es reicht nicht, Leute zu beleidigen. Das muss witzig sein, eloquent und intelligent“. Böhmermann stelle sich über sein Publikum, nehme dieses nicht ernst und respektiere es nicht, so Cantz.
In der letzten „Neo Magazin Royale“ Ausgabe ließ Böhmermann durch eine Bemerkung die Vermutung aufkommen, er würde das ZDF verlassen. Doch der Sender bestätigt: Böhmermann wird auch nach der Sommerpause das Format weiterführen.
Elena Dohrmann
Alina Schneider
Bildquelle: Jonas Rogowski, „Jan Böhmermann in Rostock 2014 06“, Größe und Ausschnitt von Elena Dohrmann/ Alina Schneider