Interview
Malin Wegner (29) ist Lektorin für Kinder- und Jugendbücher beim Arena-Verlag in Würzburg. Alice Echtermann sprach mit ihr für KROSSE über ihren Beruf – über das Besondere, ihren Alltag und ihre Zukunft, die auch eng mit der Zukunft des traditionellen Mediums Buch verknüpft ist.
Alice: Fangen wir doch mal mit etwas Persönlichem an, Malin. Was ist dein absolutes Lieblingsbuch?
Malin: Oh (lacht), das ist aber schwierig… Ich glaub, da kann man sich nicht auf einen Titel beschränken, weil je nach Lebensphase unterschiedliche Bücher wichtig sind. Als Kind war das für mich Die Kinder von Bullerbü von Astrid Lindgren. Das konnte meine Mutter irgendwann auswendig, weil sie es so oft vorlesen musste. Was ich auch immer sehr gemocht habe, ist Entzauberung von Nadine Gordimer.
Wann hast du entschieden, dass du Lektorin werden möchtest?
Ich hab als Teenager irgendwann per Zufall herausgefunden, dass es einen Beruf wie den des Lektors gibt, und fand das sehr spannend. Zum Zeitpunkt des Studienanfanges hatte ich das bereits als festes Berufsziel. Ich habe dann relativ schnell angefangen, Praktika zu machen. Die Vorstellungen, mit denen man an einen Beruf rangeht, sind ja oft erst mal ziemlich vage, aber im Praktikum habe ich schnell gemerkt, dass das meins ist und dass ich das sehr gern weiter verfolgen will. Und das Kinder- und Jugendbuch war auch von Anfang an der Bereich, der mich am meisten interessiert hat.
Was hat dich dazu bewegt, diese Richtung einzuschlagen?
Mein Wunsch war von Anfang an, Kinderbücher zu machen. Nicht Bücher im weitesten Sinne, sondern Kinderbücher – schöne Kinderbücher. Vielleicht auch, weil mir Bücher in meiner eigenen Kindheit so viel bedeutet haben. Das möchte ich ein Stück weit weitergeben. Ich würde auch heute, nach ein paar Jahren Berufserfahrung, nicht in einen anderen Bereich wechseln wollen. Das Kinderbuch ist als Arbeitsbereich unheimlich abwechslungsreich, finde ich. Neben der Textarbeit hat mich auch immer die Arbeit mit Illustratoren gereizt, was man im Erwachsenen-Bereich natürlich nicht hat. Obwohl sicherlich die Belletristik ebenfalls sehr vielseitig ist. Für jeden hat da etwas anderes seinen besonderen Reiz.
Wenn es nicht geklappt hätte mit diesem Beruf – was hättest du stattdessen gemacht? Hattest du einen Plan B?
Nein, eigentlich nicht (lacht). Ich hab’ das sehr gradlinig verfolgt und bin immer davon ausgegangen, dass es schon früher oder später klappen wird. Etwas anderes als ein Volontariat kam für mich nach dem Studium eigentlich nicht in Frage.
Und jetzt hat es ja auch geklappt. Wie gefällt dir der Beruf im Alltag?
Gut, sehr gut. Natürlich lernt man trotz vieler Praktika den Beruf erst richtig kennen, wenn man tatsächlich eine Zeit lang darin gearbeitet hat. Die Idealvorstellungen werden einem zum Teil genommen. Man macht sich vorher nicht so viele Gedanken darüber, dass es letztendlich um Verkauf geht – um den Verkauf eines Produktes. Es zählen nicht der eigene Geschmack, sondern das Verlagsprogramm oder Marktansprüche. Trotzdem sind das Berufsfeld an sich und die Aufgaben, die damit verbunden sind, weitestgehend so, wie ich mir das vorgestellt hatte. Es macht mir viel Spaß und ich bin weiterhin überzeugt, dass Lektorin der richtige Beruf für mich ist. Ich bin also nicht in dem Sinne enttäuscht oder desillusioniert worden.
Gibt es etwas, was dich besonders stolz macht?
Na ja, am Anfang ist man natürlich total aufgeregt und stolz, wenn das erste Buch aus der Druckerei kommt und man dieses Ergebnis in den Händen hält. Und das ist auch jedes Mal wieder auf’s Neue schön. Man hat im Hinterkopf, was für eine Arbeit darin steckt, wie viel Autor und Illustrator investiert haben. Und es freut mich immer besonders, wenn man eng mit diesen Leuten zusammenarbeiten kann und die Zusammenarbeit am Ende ein tolles Ergebnis bringt, mit dem man persönlich zufrieden ist.
Dann erzähl doch jetzt ein bisschen von deiner Arbeit als Lektorin. Wie entstehen eure Bücher?
Also, da gibt es mehrere Möglichkeiten. Einmal bekommen wir jeden Monat 40 bis 50 Manuskripte unaufgefordert zugeschickt. Von dieser Masse werden allerdings höchstens ein Prozent veröffentlicht, oft einfach deshalb, weil sie nicht in unser Verlagsprogramm passen. Die meisten Projekte, die wir realisieren, werden uns von Literaturagenten angeboten. Sie treten mit dem Konzept eines Autors an uns heran, meist auf der Frankfurter Buchmesse, und wir entscheiden, ob wir es umsetzen wollen. Das ist der eine Weg. Der andere Weg ist, dass wir uns im Lektorat überlegen, was für ein Buch wir gerne machen würden, um unsere unterschiedlichen Programmplätze zu besetzen. Da spielen auch Trend- und Konkurrenzbeobachtung eine große Rolle. Für eine solche Auftragsarbeit suchen wir dann den entsprechenden Autor – manchmal einen Hausautor, der bereits fest mit dem Verlag zusammenarbeitet – und vielleicht einen Illustrator. Und die dritte Möglichkeit ist, dass wir nicht selbst produzieren, sondern ausländische Titel übersetzen lassen. Diese Titel werden uns ebenfalls meist auf der Buchmesse angeboten – sie ist ein großer Treffpunkt für alle, die in der Verlagsbranche tätig sind.
Und wie sieht die anschließende Arbeit eines Lektors aus? Lest ihr den ganzen Tag Texte?
Nein, obwohl es wohl das ist, was sich die meisten Leute darunter vorstellen. Man arbeitet sehr eng mit dem Autor zusammen, strickt einen Plot und bearbeitet natürlich auch den fertigen Text. Aber darum herum passiert noch viel mehr. Man muss sich einen Titel überlegen und sich Gedanken über Ausstattung und Aussehen eines Buches machen. Soll es ein Hardcover mit Schutzumschlag werden oder ein Taschenbuch? Wie gestaltet man das Cover, damit es Aufmerksamkeit erregt? Und wie vermarktet man es? Das alles gehört zum Beruf dazu.
Bekommt man dabei eigentlich Lust, selbst einmal ein Buch zu schreiben?
(M. lacht) Ja, es gibt sicherlich diverse Beispiele von Lektoren, die in den Autorenberuf übergewechselt sind. Lust kriegt man schon. Aber ich persönlich habe sehr viel Respekt vor dem Beruf Autor, vor allem davor, einen kompletten Plot so durchzustrukturieren, dass am Ende alle Handlungsstränge funktionieren. Das ist eine enorme Leistung. Ich glaube, im Moment bin ich auf dem Lektoren-Posten noch besser aufgehoben.
Würdest du sagen, dass Lektor ein Beruf mit Zukunft ist? Damit ist es ja wie überall in der Medienbranche – viele träumen davon und man hört, es gibt wenig Jobs. Wie ist die Situation in der Realität?
Es ist bestimmt nicht die Regel, dass man schnell eine Stelle findet. Man muss einfach frühzeitig Kontakte in der Branche aufbauen. Das ist sicher in anderen Berufsfeldern ähnlich. Aber ja, ein Beruf mit Zukunft ist es schon! Er wird sich nur sicherlich in den nächsten Jahrzehnten sehr stark und sehr schnell verändern. Die Publikationsformen werden vielfältiger werden und dementsprechend verändern sich die Arbeitsfelder. Aber Texte, da glaube ich dran, wollen weiterhin gelesen werden, in welcher Form auch immer – ob gedruckt, als E-Book oder online. Ich glaube nicht, dass das Medium Buch aussterben wird. Es befindet sich zwar in einem sehr starken Wandlungsprozess, aber auch für E-Books braucht man im Vorfeld die Arbeit eines Lektors. Wir drucken dann nur nicht mehr auf Papier.
Du hast sie jetzt schon erwähnt – die E-Books. Wie ist deine persönliche Meinung dazu?
Ich sehe schon ganz klar den Vorteil, auf diese Art Bücher zu konsumieren. Man spart Papier, Platz im Regal und kann auf einem Gerät unzählige Bücher mit sich herumtragen. Ich persönlich würde aber immer die gedruckte Version vorziehen, weil ich finde, dass beim E-Book der ganze Charakter des Buches – was für mich zum Leseerlebnis dazu gehört – unter den Tisch fällt. Die Aspekte, die ein schönes Buch ausmachen, wie das Cover, das Papier oder die besondere Ausstattung, kommen beim E-Book nicht zur Geltung. Das würde mir fehlen, wenn es die gedruckte Version gar nicht mehr geben sollte.
Und deine Einschätzung aus beruflicher Perspektive: Sind E-Books eine ernsthafte Konkurrenz?
Ja, das werden sie bereits mehr und mehr. Ich denke, dass man das E-Book und seine Weiterentwicklung nicht aufhalten kann. In unserem Bereich spielt es momentan allerdings in erster Linie im Jugendbuch eine Rolle, weniger im Kinderbuch. Das liegt vor allem an den Illustrationen. Die Produktion eines E-Books mit Illustrationen ist ein viel höherer technischer und finanzieller Aufwand, als wenn man einen reinen Text hat, wie in der Belletristik oder im Jugendbuch. Die meisten Leute stellen sich, glaube ich, vor, dass ein E-Book einfach eine Fotokopie vom gedruckten Buch ist, der in eine entsprechende Textdatei umgewandelt wird. So einfach ist das aber nicht.
Was würdest du jemandem raten, der gern Lektor werden will? Was für Voraussetzungen sollte man mitbringen?
Man muss nicht zwangsläufig Literatur studieren, aber es macht natürlich Sinn. Dann würde ich jedem raten, frühzeitig Praktika zu machen. Man sollte eine Affinität zu Büchern oder zu Literatur im weitesten Sinne mitbringen und sicherlich auch eine gewisse sprachliche Begabung. Das sind die Kernkompetenzen. Was man darüber hinaus mitbringen muss, ist Organisationstalent. Man muss in der Lage sein, mehrere Projekte in verschiedenen Stadien zu koordinieren und organisieren. Man muss mit Zeitdruck umgehen können. Und man muss kommunikationsfähig sein. Zum Beispiel bei der Zusammenarbeit mit den Autoren ist das wichtig. Manche sind vielleicht sehr kooperativ, andere lassen sich nur ungern in ihren Text hereinreden, was ja auch verständlich ist. Ich habe immer die Vorstellung, dass der Text so etwas wie das Baby des Autors ist. Da braucht man Fingerspitzengefühl und muss auf individuelle Bedürfnisse eingehen können.
Darf man nach der Bezahlung fragen? Kann man von diesem Beruf leben?
Ja, sonst müsste ja jeder Lektor einen Nebenjob haben und dafür hat man keine Zeit. Aber sagen wir mal so: Man wird nicht Lektor, um reich zu werden. Ich glaube, die meisten Leute werden das aus einer Liebe zum Buch und sind vielleicht auch ein Stück weit Idealisten.
Aber liest die berühmte Jugend von heute überhaupt noch? Es wird doch immer wieder beklagt, die würden das gar nicht mehr kennen.
Doch, noch lesen die Jugendlichen. Das sieht man an den Verkaufszahlen und auch auf der Frankfurter Buchmesse hat sich dieses Jahr wieder gezeigt, dass das Kinder- und Jugendbuch-Segment weiterhin wächst. Jungs lesen ab einem gewissen Alter deutlich weniger als Mädchen, das kann man schon beobachten, aber insgesamt sind Kinderbücher und Jugendbücher weiterhin gefragt.
Dann bin ich noch neugierig – wie sehen die Trends im Kinder- und Jugendbuch gerade aus? Sind Vampire und Co. noch in?
Na ja, also dieser große Trend der Vampire und Werwölfe und was da alles unterwegs war, ist jetzt gerade am Abflauen. Im Moment ist es schwer, einen neuen großen Trend festzumachen. Ein sehr gefragtes Genre ist der Thriller und nach der ganzen Fantasy sind auch realistische Geschichten wieder stärker am Kommen.
Und zum Abschluss noch die Frage: Verliert man als Lektorin eigentlich die Lust am privaten Lesen?
Nein, das macht immer noch Spaß! Aber man muss sehr viel für die Arbeit lesen und da freut man sich schon, wenn man mal wieder ein Erwachsenenbuch lesen kann. (Lacht.) Irgendwann kommt auch der Punkt, an dem man was anderes machen möchte. Zum Beispiel draußen Sport machen – mein Job ist ja doch in erster Linie ein Bürojob.
Vielen Dank für das Gespräch, Malin!
Zur Person:
Malin Wegner wurde 1983 im Raum Lüneburg geboren. Sie machte ihren Magister an der Universität Tübingen in den Fächern Nordische Philologie („Skandinavistik“) und Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft. Während des Studiums absolvierte sie drei Praktika bei verschiedenen Kinder- und Jugendbuch-Verlagen. Nach ihrem Abschluss, im Mai 2009, begann sie ein Volontariat beim Arena-Verlag in Würzburg. Im April 2011 wurde sie dort als Kinder- und Jugendbuch-Lektorin übernommen.
…Was gibt es noch für Abteilungen in Verlagen?
Ausbildung Medienkaufmann/-frau Digital und Print (ersetzt den ursprünglichen Beruf Verlagskaufmann/-frau) – hier durchläuft man alle Abteilungen. Nur als Lektor kann man damit nicht arbeiten, da man für ein solches Volontariat ein abgeschlossenes Hochschulstudium braucht.
Pressearbeit – PR, Organisation von Veranstaltungen, Lesungen etc.
Lizenzabteilung – Bücher ins Ausland und an andere Lizenznehmer verkaufen (Hörbuchverlage, Filmagenturen etc.)
Herstellung – Texte setzen, Materialauswahl, Layout etc.
Vertrieb – Verkauf, Kontakt zu Buchhändlern etc.
Werbung/Marketing – Vermarktung, Erstellen des Vorschau-Programmkatalogs etc.
Internetabteilung
Grafikabteilung
Sekretariat