Ohne seine Händler wäre der Isemarkt nichts. Doch was wären die Händler ohne den Isemarkt? Unsere Autorin berichtet von dem fast einen Kilometer langen Markt, auf dem der kleine Handel weiterhin blüht – auch während Corona.
Zwischen den Stationen Eppendorfer Baum und Hoheluftbrücke bildet die Bahntrasse ein langes, graues Dach über einem gut drei Meter breiten Asphaltstreifen zwischen den Fahrbahnen der Isestraße. Rechts und links Autos. Oben die U3, die alle paar Minuten über die Köpfe der Passanten hinwegdonnert. Nichts lädt zum Verweilen ein. Ein Ort ohne Gesicht, zum Fürchten – außer dienstags und freitags, wenn hier durch den Isemarkt das Leben einkehrt. Stände schmiegen sich eng an eng an die Stahlpfeiler, die sich unter der Hochbahntrasse wölben. Es ist Dienstag, neun Uhr, und noch recht leer. Die ersten Marktbesucher laufen die Stände ab. Am Käsestand steht eine Frau und möchte einen Gouda kaufen. „Miese Nummer, der Gouda“, sagt der Käsemann und reicht ihr ein Stück zum Probieren. Ab und an weht ein Hauch von frischem Kaffee und Olivenöl vorüber.
Während der Markt sich langsam füllt und die Menschen sich in die eine oder andere Richtung bewegen, taucht immer wieder ein kleiner Mann mit einer gelben Warnweste zwischen den Ständen auf. Er ist etwa in den Sechzigern und mit seiner Baskenmütze und der runden Brille äußerst charismatisch. In der Hand hält er ein Tablett, darauf vier Kaffee. Vorne auf seiner Weste steht in großen Lettern „UWE“. Auf der Rückseite steht „Abstand“, denn seit dem Teillockdown im November gelten auch hier verschärfte Corona-Regeln.
An das Datum seines ersten Markttages kann sich Uwe Quentmeier noch genau erinnern: „Das war der 25. Oktober 2006.“ Damals hatte er mit einem kleinen Olivenstand begonnen und so den Verkauf des familieneigenen Feinkostladens auf den Isemarkt ausgeweitet. Mittlerweile verkauft er mit seinen beiden Söhnen verschiedene italienische Spezialitäten aus einem alten, vollbeladenen, lila Wellblech-Citröen, dem Café HY. HY, wie das Automodell. Oldtimer sind Uwes zweite große Leidenschaft neben dem Verkauf von Kaffee und Panini. Uwe geht keine zwei Meter ohne irgendjemanden zu grüßen oder von irgendjemandem gegrüßt zu werden. „Die Stände sind meine Kinder hier“, erklärt er, während er seine Kaffeerunde dreht. „Willste noch’n Tee?“ „Wollt Ihr noch oin?“ Soarbeitet er sich langsam von Stand zu Stand. „Der Vorteil, wenn de hier unterwegs bist: ich kenn fast alle Geschichten. Die“ – er deutet auf die Marktstände – „kennen wenig Geschichten, weil die kommen ja von ihren Ständen nicht weg.“
Die Kaffeetour führt erst vom Café HY aus in Richtung Eppendorfer Baum. Aber nur bis zur Straßeninsel auf der Ecke Jungfrauenthal. „Weiter geh ich nich‘, weil da drüben ist ein anderer Kaffeehändler.“ Das ist ungeschriebenes Gesetz auf dem Isemarkt. Die Straßeninsel ist der Grenzstein. Auf der anderen Seite liegen das Café Pazzo und weiter hinten das Café Weiß. Und auf dem Grenzstein steht Uwes Grenzkunde, Holger Elent, und nimmt dankend den Kaffee entgegen. Holger verkauft hier seit fünf Jahren das Straßenmagazin Hinz und Kunzt. Auf seinem kleinen, fahrbaren Stand hat er kunstvoll einen St. Pauli Schal drapiert. St. Pauli ist Holgers Leidenschaft. Oben auf dem Stand klemmt ein kleiner Plastikweihnachtsbaum mit merkwürdigem Behang – Schnuller. Christbaumkugeln waren Holger zu eintönig gewesen. Schnuller fand er eine ganz witzige Idee. „Meine Freundin hat die Dinger gesammelt. Die hat davon an die 500 Stück.“
Auf dem Rückweg zum Café HY beginnt Uwe, hier und da Geld einzusammeln. Mit frischem Kaffee geht es dann in die andere Richtung bis zur Haltestelle Hoheluftbrücke.
Zwischen Biogemüse, Fisch und Feinkost findet sich immer wieder ungewöhnliche Ware. Kaltgepresster Ingwersaft. Himbeerpfeffer. Olivenbaumblättertee. Sogar Leberkäsebrötchen gibt es beim König Leberkas. Ein Leberkäsekönig im Norden, das ist außergewöhnlich. Noch außergewöhnlicher ist vielleicht der Stand direkt neben dem Café HY. Hinter der Kasse steht Torsten Ahrens, ein Mann mit Seglerpullover und Schnauzer. Der verkauft unter anderem getrocknete Lammohren – mit oder ohne Fell, je nach Vorliebe. In der Frischetheke vor ihm sind allerlei Fleischsorten aufgebahrt, von der Leber bis zur Blutwurst. Auf dem Tresen stapeln sich Pansenkaustangen, Milchkaurollen, Kauknoten und ein paar undefinierbare getrocknete Fleischstücke. Achillessehne, steht auf dem Behälter. Ahrens war arbeitslos, bevor er seinen Hundefeinkoststand eröffnet hat. Sich als kleiner Händler gegen die großen Zoogeschäfte durchzusetzen sei nicht einfach, sagt er. „Die großen Futterhäuser grasen alles ab.“
Ganz am Ende der Marktstraße, kurz vor der Haltestelle Hoheluftbrücke, türmen sich unterschiedlich große Adventskränze auf den Tischen eines Gärtnereistandes. Orangefarbene Pappschilder verraten: jeder Kranz fünf Euro. Ein ganz schön tiefer Preis, wenn man bedenkt, dass die Kränze aus der Region stammen. Doch die Adventszeit ist schon halb vorüber – alle Kränze müssten raus, erklärt der alte Mann, der sie verkauft. Er möchte nicht, dass sein Name in der Zeitung steht. Mit seiner Frau hat er zuvor ein eigenes kleines Gartencenter besessen, das jedoch irgendwann nicht mehr mit den großen Gartenmärkten mithalten konnte. Man habe sich weiter verkleinern müssen, sagt der Mann, und so hat ihr Gartengeschäft ein neues Heim hier unter der Bahntrasse auf dem Isemarkt gefunden. Mittlerweile dient der Marktstand nur noch als Zuverdienst zur Rente. Der Isemarkt bietet vielen Händlern die Möglichkeit neu anzufangen. Wer sich in der Welt der Discounter, Online-Shops und Handelsketten nicht behaupten kann oder möchte, findet hier seine Nische.
Uwe, der kleine Mann in Gelb, taucht neben dem Gartenstand auf. „Kaffee?“ Er kommt aus Äthiopien, der Kaffee. Geröstet wurde er in Südtirol. Getrunken wird er hier auf dem Isemarkt. Rechts und links Autos. Oben donnert die U3 über die Köpfe der Menschen hinweg. Einladend klingt das nicht. Doch man fühlt sich aufgehoben hier unten.
Von Leonie Ludwig