Die Chinesin Yaoying Liu ist zum Studieren nach Deutschland gekommen. Dass gerade jetzt eine Pandemie ausbricht, kommt unerwartet. Im Interview berichtet sie darüber, wie lange sie schon in Deutschland lebt, warum sie nicht einfach den Flieger zurück nach China nehmen kann und wie sehr sie ihre Familie vermisst.
Woher kommst du genau?
Ich komme aus Leshan. Das ist eine Stadt im Nord-Westen von China.
War das Gebiet sehr vom Corona-Virus betroffen?
Eher weniger. In Leshan haben sich nur drei Personen infiziert. Dabei hat die Stadt über drei Millionen Einwohner.
Und wie lange wohnst du jetzt schon in Deutschland?
Mittlerweile sind es anderthalb Jahre. Ich habe aber auch schonmal 2018 für circa acht Monate in Heidelberg gelebt.
Fühlst du dich in Deutschland angekommen?
Ja, ich mag Deutschland sehr. Dieses Land gibt mir ein Gefühl der Freiheit.
Wie oft fliegst du nach China, um deine Familie zu sehen?
Seit ich vor anderthalb Jahren nach Deutschland gekommen bin, hatte ich noch nicht die Gelegenheit, in die Heimat zu fliegen. Ich vermisse meine Familie sehr. Eigentlich hatte ich geplant, dieses Jahr im Februar zum chinesischen Neujahrsfest. nach China zu fliegen, aber das war wegen des Corona-Virus leider nicht möglich.
Wie ist das Gefühl für dich, nicht zurück in deine Heimat fliegen zu können?
Zu Beginn der Corona-Krise war China sehr stark von dem Virus betroffen. Damals fand ich es gut, hier in Deutschland zu bleiben, wo es sicherer war. Aber mittlerweile hat sich die Lage in China verbessert.
Trotzdem haben wir chinesischen Studenten kaum eine Möglichkeit, nach Hause zu fliegen. Der Grund dafür, ist ein neue politische Regelung aus China namens „Fünf-Eins-Politik“. Nach dieser Regelung darf jede Fluggesellschaft nur ein Flugzeug pro Woche nach China schicken.
Das sind wenige Flüge.
Ja. Man muss dabei bedenken, dass es allein in Deutschland über 40.000 chinesische Studenten gibt. Da gerade jetzt viele von uns in die Heimat möchten, sind die wenigen Flugtickets, die es noch gibt, sehr begehrt und werden immer teurer. Ich habe schon Tickets nach China für 3000 Euro gesehen.
Welche Gefühle löst das bei euch aus?
Wir sind sehr traurig darüber, dass wir nicht mehr so einfach in die Heimat können. Außerdem muss man das Szenario auch mal weiterdenken: hat man es erstmal nach China geschafft, ist es mindestens genauso schwer, wieder von dort wegzukommen. Die meisten von uns bleiben deshalb lieber direkt im Ausland.
Was hältst du persönlich von der Fünf-Eins-Politik?
Die meisten Chinesen, einschließlich meiner Eltern, haben Verständnis für diese Maßnahme, da sie China hilft, das Virus im eigenen Land einzudämmen. Aber ich denke, die chinesische Regierung kann es besser machen. Die Möglichkeit, in die Heimat zurückzukehren, sollte etwas sein, das jederzeit möglich ist. Gerade, wenn man für so lange Zeit so weit weg von der eigenen Familie ist. Glücklicherweise haben wir internationale Studenten hier im Ausland ein zweites Zuhause. Aber einige Chinesen, die vor Ausbruch der Pandemie ins Ausland gereist sind, können ebenfalls nicht nach Hause zurückkehren und fühlen sich auch noch fremd, wo sie jetzt sind. Das finde ich noch besorgniserregender.
Was sagt deine Familie dazu, dass du nicht nach Hause kommen kannst?
Meine Familie vermisst mich zwar, aber sie weiß auch, dass es besser ist, wenn ich hier in Deutschland bleibe und mein Studium wie gehabt fortsetze.
Wie haltet ihr Kontakt?
Seit Beginn der Corona-Krise in China haben wir bis Anfang Mai, als die ersten Restriktionen in Deutschland wieder aufgehoben wurden, fast täglich per Videochat kommuniziert. In der Anfangszeit habe ich mir immer Sorgen um meine Familie gemacht. Als das Virus dann in Deutschland angekommen ist und sich in China die Lage etwas beruhigt hat, war es genau anders herum. Deswegen kann man sagen, dass wir uns während der Pandemie praktisch mehrmals gesehen haben, wenn auch nur virtuell.
Gab es besondere Ereignisse in der Corona-Zeit, an denen du deine Familie lieber in echt gesehen hättest?
Meiner Oma wurde im April Krebs im fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert und ich konnte nicht nach Hause fliegen, um sie durch diese schwere Zeit zu begleiten. Allerdings wäre ich auch nicht nach China gegangen, wenn es mir möglich gewesen wäre. Die Gefahr, meine Oma anzustecken, wäre viel zu groß.
Wann hoffst du, deine Familie das nächste Mal sehen zu können?
Ich denke, wenn ich Glück habe, werde ich nächstes Jahr im Februar zum chinesischen Frühlingsfest zurückkehren können. Ansonsten an Weihnachten.
„Fünf-Eins-Politik“
Seit Ende März darf jede chinesische Fluggesellschaft nur noch eine Flugroute in jedes Land beibehalten, wobei diese Route nur von einem Flugzeug in der Woche geflogen werden darf. Jede ausländische Fluggesellschaft darf nur eine Flugroute nach China unterhalten. Auch in diesem Fall darf für jede Route nur ein Flugzeug pro Woche nach China einfliegen.
Die Zahl der Fluggäste, die nach China einreisen, reduzierte sich laut der Zivilen Luftfahrtbehörde der Volksrepublik China (CAAC) nach Einführung der Fünf-Eins-Politik um 80 Prozent von 25.000 auf 5.000 Passagiere.
von Leonie Ludwig
Bildquelle: Albert Jaime Casanova