COVID-19 stellt nicht nur die Unis vor ungeplante Hürden, auch die Schulen müssen ein völlig neues Konzept für ihre SchülerInnen entwickeln. Im Interview mit Konrektorin Sarah Schellmann und Lehrer Corenlius Gammersbach sprechen wir über „Homeschooling“, Maskenpflicht und die stufenweise Rückführung der Schulklassen.
Wie sieht momentan der Unterricht aus und ab wann und wie soll wieder Unterricht in der Schule stattfinden?
Sarah Schellmann: “Aktuell führen wir Unterricht im „Homeschooling“ durch. Das bedeutet, dass die Kinder zuhause unterrichtet werden. In Bezug auf den Unterricht in der Schule selbst kommen nur die Abschlussklassen. Also die Realschulklassen 10 und auch die beiden Hauptschulklassen im Jahrgang 9 werden wieder vor Ort beschult. Der Unterricht sieht dann so aus, dass es im Homeschooling ein angepasstes Stundenraster gibt. An unserer Schule heißt das, dass wir die Unterrichtszeiten gekürzt haben, damit die Kinder nicht zu lange vor digitalen Endgeräten sitzen müssen.”
Cornelius Gammersbach: “Momentan stelle ich jeden Montag Material für eine Woche zusammen, das ich dann den Schülern schicke. Da wir kein digitales Schulnetzwerk oder eine allgemeine Schul-Cloud haben, auf dem wir Material speichern können, ist jeder Lehrer diesbezüglich auf sich allein gestellt. Deshalb verwende ich aktuell eine Magenta- Cloud, um Lernstoff hochzuladen. Außerdem setze ich auf die Lernapp ANTON, bei der die Schüler spielerisch Aufgaben in Deutsch oder Geschichte lösen können. In NRW sind seit dem 22. April die Schüler der Abschlussklassen schichtweise wieder in die Schule zurückgekehrt. Unterrichtet wird allerdings nur Deutsch, Englisch und Mathe.”
Kommen die Schüler und Lehrkräfte mit der aktuellen Form des Unterrichts zurecht?
Sarah Schellmann: “Anfangs war das Homeschooling etwas völlig Neues und eine Herausforderung. Nachdem wir ein neues Stundenraster entwickelt haben und mithilfe unserer Kommunikationsformen wie IServ, hat sich das alles sehr gut eingependelt. Mittlerweile läuft das Homeschooling-Konzept sehr gut und wir bekommen eine ausgewogene Routine in den Alltag. Wir erhalten ebenfalls sehr positives Feedback der Eltern, die mit der Durchführung des Konzeptes zufrieden sind.
Da meine Schule stark auf die Digitalisierung setzt, sind alle Schüler ab der 7. Klasse mit einem elternfinanzierten iPad ausgestattet. Dadurch funktioniert das Homeschooling in der Praxis einwandfrei. Teilweise haben bereits Kinder der 5. und 6. Klasse IPads durch ihre Eltern gestellt bekommen. Sozial schwächer aufgestellte Familien können sich bei der Schule zeitweise ein Gerät ausleihen.”
Cornelius Gammersbach: “An sich kommen die Schüler gut mit der aktuellen Lehrform zurecht, wobei sich das von Jahrgang zu Jahrgang natürlich unterscheidet. Die Kinder und Jugendlichen müssen ein hohes Maß an Selbstständigkeit und Verantwortung mitbringen. Da gibt es dann natürlich Einige, die ihre Aufgaben zu spät oder gar nicht abgeben. Ich habe gehört, dass den Schülern am meisten der Kontakt mit ihren Freunden an der Schule fehlt, sowie die Lernatmosphäre im Klassenraum.
Für mich selbst ist der digitale Unterricht schon eine Herausforderung und für viele ältere Kollegen auch. Dabei geht es aber weniger um die technischen Hürden, sondern um die datenschutzrechtlichen. Wir müssen viel mehr darauf achten, was den Schutz der persönlichen Daten der Schüler angeht.
Wie gut sind die Schulen und LehrerInnen auf die geplante Teilöffnung vorbereitet?
Sarah Schellmann: “Auf unserer Website informieren wir die Eltern und Schüler über Änderungen und aktualisieren diese Informationen regelmäßig. Wir müssen natürlich momentan von Erlasslage zu Erlasslage planen. Als der Beschluss für das Homeschooling offiziell festgelegt wurde, haben wir direkt das Unterrichtsraster und die Pausenzeiten geplant, sowie mögliche Kommunikationsplattformen ausgetestet. Dabei wurde auch direkt gesagt, dass die Kinder nicht zu lange vor den Endgeräten sitzen dürfen.
Der Rest wird analog über die Hausaufgaben und Änderungen auf dem neusten Stand gebracht. Als wir dann schließlich gehört haben, dass die Schulen wieder eröffnen dürfen, mussten wir natürlich auch die Hygienemaßnahmen bedenken und die Abstandsregeln sicherstellen.”
Cornelius Gammersbach: “Die Schulen sind null vorbereitet. Mal ganz von den technischen Mängeln abgesehen, haben wir kaum Klassen mit Warmwasser, Seifenspendern und Handtüchern. Gleichzeitig sind die Räumlichkeiten viel zu klein. Man schafft es noch nicht mal bei nur 15 Schülern pro Klassenraum die erforderten Abstandsregeln einzuhalten. Für jede Lerngruppe sollen jetzt zwei Lehrer abgestellt werden. Das ist aber wegen des akuten Personalmangels nicht möglich. Auch die Schüler sind nicht wirklich auf die Öffnungen und die damit verbundenen Maßnahmen vorbereitet. Bereits am ersten Tag wurden die Abstandsregeln mehrfach nicht eingehalten – und das von Schülern aus der zehnten Klasse. Wie das dann bei Fünft- oder Achtklässlern aussehen mag, will man sich gar nicht vorstellen.
Wie sieht es mit der Maskenpflicht auf dem Schulgelände aus, gibt es eine und wie wird diese durchgesetzt?
Sarah Schellmann: “Es gibt keine Maskenpflicht, die vom Kultusministerium ausgesprochen wurde. Auch der Landkreis hat diesbezüglich nichts geäußert. Wir haben allerdings für uns beschlossen, dass wir trotzdem eine Maskenpflicht einführen möchten. Das setzen wir aber nur im Schulgebäude durch, da dort die Gänge etwas enger sind. Im Klassenraum kann man die Maske ablegen, da dort mit offenen Fenstern und Türen unterrichtet wird.
Cornelius Gammersbach: “An allen Schulen in NRW herrscht Maskenpflicht. Wobei es keine Verpflichtung gibt, dass die Schulträger die Schutzmasken stellen müssen. Einige Kommunen stellen aber trotzdem extra einen Mundschutz pro Lehrkraft zur Verfügung. Die Schüler sind auch verpflichtet Masken zu tragen, dürfen diese aber an ihrem Platz abnehmen.”
Stichwort Bildungsungerechtigkeit. Wie sehr zeigt sie sich in der aktuellen Situation?
Sarah Schellmann: “Kinder brauchen natürlich eine gute und ruhige Lernatmosphäre wie beispielsweise ein Klassenraum. Auch ein strukturierter Alltag, Unterstützung der Schule, der jeweiligen Lehrer und natürlich auch der Eltern sind wichtig. Kinder aus sozialschwachen Familien fallen hierbei eher aus dem Raster. Außerdem gibt es dann noch den Aspekt, dass wir durch das Homeschooling den geplanten Unterrichtsstoff nicht fortführen dürften, sondern nur Thematiken wiederholen und vertiefen. Kinder, die sich diesem Homeschooling nun entziehen, weil sie aus unterschiedlichen Gründen nicht teilnehmen können, dürfen nach dieser Zeit jedoch nicht benachteiligt werden.”
Cornelius Gammersbach: “Die aktuelle Situation zeigt sehr stark, welche Schüler eher aus prekären Familien kommen, oder aus Familien, in denen Bildung nicht wertgeschätzt wird. Meistens sind das die Schüler, denen es dann zum Beispiel an den technischen Geräten mangelt, um vernünftig am digitalen Unterricht teilzunehmen. Vieles liegt aber auch an den Eltern. Es gibt viele, die sich mit ihrem Kind hinsetzen und die Aufgaben lösen. Aber auch manche die sich gar nicht um das Wohl ihres Kindes kümmern, oder es auch gar nicht können. Gerade an den Gesamtschulen ist diese Divergenz zu sehen.”
Zu den Personen: Sarah Schellmann ist Lehrerin und stellvertretende Schulleiterin an der Waldschule Hatten (Niedersachsen). Cornelius Gammersbach unterrichtet an der Gesamtschule Much (NRW) Deutsch, Geschichte, Literatur und katholische Religion.
Text: Carlotta Stürken und Moritz Gammersbach
Bild: Carlotta Stürken