Am Bremer Bahnhofsvorplatz wurde ein von der Politik geduldeter Platz für weniger akzeptierte Menschen der Gesellschaft geschaffen. Was genau gemeint ist und wieso das Projekt Szenetreff nicht nur auf positive Resonanz stößt, klärt ein Gespräch mit der Inneren Mission.
Seit Frühjahr erstrahlt der Bremer Hauptbahnhof im neuen Glanz. Kaum zu übersehen ist das neue City-Gate. Für diejenigen, die sich fragen, was damit genau gemeint ist: Es handelt sich um die zwei halbhohen und ach so modernen Wolkenkratzer am Ausgang Richtung Innenstadt, in denen Hotels, Büroräume und zahlreiche Einkaufsmöglichkeiten ihren Platz finden. Einigen sind mit Sicherheit auch das neue Beleuchtungskonzept sowie die hochauflösenden Kameras, die zur Kriminalitätsbekämpfung dienen sollen, aufgefallen. Ein eher seltener Anblick am Bahnhofsausgang Richtung Innenstadt sind hingegen Menschen geworden, die in einem Schlafsack vor dem Hauptbahnhof kauern, betteln oder einfach auf der Suche nach Stoff sind. Durch den baubegründeten Flächenmangel auf dem Vorplatz führen vermehrte Aufenthaltsverbote und Platzverweise zur Vertreibung von Wohnungslosen, Suchtkranken, Substituierten und anderen hilfsbedürftigen Menschen. An der Ostseite des Bahnhofs wurde deshalb zwischen Intercity-Hotel und Fußgängerbrücke am Gustav-Deetjen-Tunnel Anfang April ein Treffpunkt für die Bremer Straßenszene eröffnet. Dort soll Betroffenen die Möglichkeit gegeben werden, einen geduldeten Aufenthaltsort inmitten des Bahnhofsgeschehens zu finden. Träger des Projekts Szenetreff ist der Verein für Innere Mission in Bremen.
Ein attraktiverer Bahnhof für Bremen
Das Ziel der Bremer Politik, einen attraktiveren Bahnhofsvorplatz mit mehr Sicherheitsgefühl zu schaffen, war der Grund für die Errichtung des Treffs. Die Planungen begannen bereits im Jahr 2016. Das Projekt für „Sicherheit, Sauberkeit und Aufenthaltsqualität“ am Bremer Hauptbahnhof wurde im September 2018 von dem derzeit (noch) amtierenden Bürgermeister Carsten Sieling und Innensenator Ulrich Mäurer vorgestellt. Laut Senat soll so gegen „die Vermüllung am Bahnhof, das Verrichten der Notdurft in der Öffentlichkeit, Trinkgelage oder das Campieren auf öffentlichen Fläche konsequent vorgegangen werden“. Dies hat eine erhöhte Polizeipräsenz, mehr Personen- und Taschenkontrollen sowie Platzverweise und Räumungsaktionen im und außerhalb des Bahnhofs zur Folge. Ursprünglich sollte der Szentreff erst im Sommer 2019 eröffnet werden. Nachdem die ersten Ladenbesitzer in das City-Gate eingezogen sind, wurde der Druck mit Blick auf die Eröffnung von politischer Seite drastisch erhöht.
“Sichtbar” bleiben am Rande der Gesellschaft
„Es gibt Menschen in unserer Gesellschaft, die sich in einer Problemlage befinden und dauerhafte Verdrängung ist da absolut keine Lösung.“, sagt Axel Brase-Wentzell, stellvertretender Bereichsleiter der Wohnungslosenhilfe der Inneren Mission. Es sei wichtig, dass die Menschen, die auf der Straße leben, sichtbar bleiben. Unsere Gesellschaft schafft nämlich auch genau diesen ungern gesehenen Teil. Aber nicht nur deshalb wurde für den Standpunkt des Szentreffs der Hauptbahnhof gewählt. „Das tägliche Leben der Besucher spielt sich im Bahnhofsgeschehen ab und so müssen keine weiten Wege zurückgelegt werden.“, sagt Alenka Köster, Streetworkerin im Szenetreff. Einen geeigneteren Aufenthaltsort zu finden gestaltete sich allerdings als schwierig. „Andere infrage kommende Plätze waren zu weit weg oder es wäre politisch gesehen zu kompliziert gewesen, einen solchen Treff zu errichten. Zugegebenermaßen gleicht der jetzige Zustand des Treffpunkts einem Provisorium, dies soll sich aber schnellstmöglich ändern.“, beteuert der stellvertretende Bereichsleiter der Inneren Mission.
Schutzraum lockt mit Käfig-Atmosphäre und Öffnungszeiten
Und tatsächlich, die Atmosphäre des Szenetreffs erinnert eher an einen Käfig als an eine würdige Aufenthaltsalternative zum Bahnhofsvorplatz. Umgrenzt von einem zwei Meter hohen Gitterzaun, auf Betonbänken zwischen Dixi-Klo und den Blicken vieler Passanten sollen sich Obdachlose aufhalten. „Der Zaun war bereits vorhanden, den Platz drum herum durften wir mitgestalten. Wir arbeiten an einem Sichtschutz und an der Installation einer festen Toilette.“, erzählt Axel Brase-Wentzell. Der sogenannte Sichtschutz wurde mittlerweile angebracht, bestehend aus einer Plane und verloren aussehenden, an den Käfig genagelten Plexiglasscheiben. Brase-Wentzell betont: „Die aktuelle Situation ist nicht optimal. Das wissen wir. Aber wir arbeiten daran und hoffen, dass die notwendigen Arbeiten bis August fertiggestellt sind und der Szenetreff dann von den Betroffenen genutzt wird.“ Die anfängliche Idee eines offenen Schutzraums, an dem sich hilfsbedürftige Menschen ganztägig aufhalten können, wurde kurz nach der Eröffnung schon wieder verworfen. Befristete Öffnungszeiten sollen jetzt verhindern, dass Verschmutzung oder Vandalismus stattfinden. „Wir als verantwortliche Streetworker sind nur vier Stunden am Tag vor Ort und können nicht einsehen, was den Rest des Tages passiert“, sagt Alenka Köster. „Der Szenetreff wird oft nur aufgrund von mangelnden Alternativen aufgesucht. Angesprochen fühlen sich die wenigsten.“, so Köster. Da der Szenetreff nun ausschließlich vormittags unter Anwesenheit der Streetworker geöffnet hat, bleibt auch die Beziehungsarbeit auf der Strecke liegen. „Wir müssen uns dann darauf einstellen, dass nur diejenigen in den Szenetreff kommen, die wirklich etwas von uns wollen“, bedauert Harald Schröder, ebenfalls Streetworker.
Schaffung von Alternativen: zu teuer und selten akzeptiert
Außerdem gibt es laut Besucher im und um den Treff regelmäßige Personen- und Taschenkontrollen. „Solche Maßnahmen führen zur Vertreibung und dürfen dort nicht vollzogen werden.“, erzählt Streetworkerin Köster. Oft liegt das Problem an zu langen hierarchischen Strukturen und an zu vielen Beteiligten zwischen Bundespolizei, Polizei, Ordnungsamt oder privaten Sicherheitsdiensten. „Die Frage ist, inwieweit eine gute Kooperation zwischen Streetworkern, Betroffenen und der Stadt realisiert werden kann.“, erklärt Brase-Wentzell. Die Innere Mission müsse versuchen, den kleinsten gemeinsamen Nenner aller Beteiligten zu finden. Auf die Frage, was eine Wunschvorstellung zur Duldung von Suchtkranken der Trinker- und Drogenszene sei, antwortet Köster schmunzelnd: „Vielleicht wären Trinkerräume oder Druckräume eine bessere Alternative. Aber das ist reines Wunschdenken.“ Zu teuer und aufwendig für die Bremer Politik und wahrscheinlich wenig vom konservativen Teil der Gesellschaft geduldet. Am Ende bleibt es abzuwarten, ob und inwieweit sich der Treff im Leben der Straßenszenen integrieren kann.
von Franziska Salewski
Bildquelle: KROSSE