Globalisierung, das bedeutet in vielen Fällen liberalere Märkte, verwirrende Handelsbeziehungen zwischen Staaten und Firmen, viel Kommunikation, aber leider auch Lohndumping sowie schwindende Handwerkstraditionen und verlassene Regionen, durch den Niedergang der örtlichen Wirtschaft. Eine jeher vom Aussterben bedrohten Handwerkskünste ist die Herstellung von Burel, einem filzähnlichen Material aus dem Nordosten Portugals.
Inga Meyerdierks und Ana Santos sind in die portugiesische Region Manteigas gefahren und haben dort einen Dokumentarfilm über eine Initiative gedreht, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Burel zu erhalten und in neuen Designs wieder aufleben zu lassen. Am Freitag, 8.Februar stellen sie ihren Film um 19 Uhr in Bremen, in der BRENNEREI next generation lab (Osterstrasse 28 – 29 ) vor. KROSSE-Redakteurin Annika Mahr hat vorab mit Inga Meyerdierks über ihren Film gesprochen.
KROSSE: Was ist Burel genau und wie würdest Du dessen Haptik beschreiben?
Inga Meyerdierks: Burel ist ein sehr fester Stoff, und die meisten denken, wenn sie es zum ersten Mal anfassen, es wäre Filz. Es ist auch aus Wolle, die Ähnlichkeit ist also da, Burel ist aber viel robuster, weil es im Gegensatz zu Filz gewebt ist und damit ist es deutlich belastbarer. Dafür ist der Produktionsprozess viel aufwendiger. Und es gibt noch mehr Vorteile: Abgesehen von dieser Robustheit ist er auch schallisolierend, wärme-isolierend, durch die Beschaffenheit der Wolle auch wasserabweisend, und erstaunlicherweise auch selbstreinigend.
KROSSE: Warum oder was ist denn außer der reinen Beschaffenheit des Materials so besonders an Burel, weshalb es sich gelohnt hat, darüber einen Film zu drehen?
Inga Meyerdierks: Burel ist ein Stoff, der nicht nur aufwendig hergestellt wird, sondern auch auf ein ganz altes Handwerk zurück geht. Seit dem Mittelalter ist Burel bekannt, womöglich ist er aber auch noch viel älter. Er kommt aus Portugal und angefangen damit haben die Hirten, weil sie daraus ihre Hirtenmäntel gemacht haben. Mönche haben daraus ihre Stoffe gemacht. Und später kam Burel dann an den Königshof und gewann somit eine gewisse Bekanntheit. Mit der Industrialisierung wurde aus der Burelherstellung in Portugal eine riesige Industrie, von der die ganze Region, die wir mit der Kamera besucht haben, lebte. Aber mit der Globalisierung sind immer mehr Firmen abgewandert, haben dort ihre Produktion eingestellt und so ist dort alles langsam den Bach runtergegangen, weil die Stoffproduktion in Asien deutlich günstiger ist. 2010 musste die letzte Fabrik in Manteigas schließen.
KROSSE: Wie kommt man als Bremerin darauf, einen Dokumentarfilm über die Stoffproduktion im portugiesischen Hochland zu drehen?
Inga Meyerdierks: Das ist eigentlich eine ganz einfache Geschichte: Ich habe eine portugiesische Freundin, Ana Santos, mit der ich dieses Projekt gemacht habe. Sie ist Kommunikationsdesignerin und hat vor einem Jahr, als wir mit dem Projekt begonnen haben, einen Internetshop aufgebaut, in dem sie Designprodukte aus Portugal verkauft. Und im Rahmen des Selbststudienmoduls vom Master Medienkultur, wollte ich gerne einen Film drehen und bin mit der Idee an sie herangetreten, dass ich etwas mit ihr zusammen oder für sie machen könnte, was ihr vielleicht dabei hilft, ihren Onlineshop und das Konzept dahinter bekannter zu machen. Ihr Konzept ist nämlich, dass sie hauptsächlich mit jungen Designern zusammenarbeitet, die auch das Traditionelle, Kulturelle, und den Aspekt der Nachhaltigkeit in ihren Produkten haben. Letztendlich kam sie dann mit dieser spezifischen Initiative ‘Saberes fazeres da Vila’ auf mich zu, die Burel produziert. Das ist einer ihrer Lieferanten und sie kam dann mit der Idee zu mir, dass wir über jene Initiative einen Film drehen könnten.
KROSSE: Kannst Du kurz umreißen, was das für eine Initiative ist?
Inga Meyerdierks: Initiative klingt in diesem Fall etwas größer, als es ist. Genauer steckt dahinter ein Ehepaar aus Lissabon, das in dieser Region ein Hotel aufgebaut hat. In der Zeit, in der es das Hotel dort aufgebaut hat, hat es gemerkt, wie stark diese Region sich entvölkert: Weil die Fabriken alle schließen mussten, ziehen die jungen Leute weg, weil es keine Arbeit für sie gibt, und die älteren Einwohner haben auch keine Arbeit, wollen oder können aber nicht weg ziehen. Dieses Ehepaar hat dann in Zusammenarbeit mit der Stadt Leute mobilisiert, damit das Handwerk der Burelherstellung nicht ausstirbt, weil mit der Schließung der Fabriken auch die letzten Maschinen verschwinden; das Metall von den Maschinen wird verkauft und die Fabrikgebäude abgerissen. Diese Initiative hat jetzt die Räumlichkeiten der letzten Fabrik in Manteigas angemietet und dort produzieren sie jetzt den Stoff.
KROSSE: Hat das Aussicht auf Erfolg?
Inga Meyerdierks: Ich denke nicht, dass man den alten Zustand wiederherstellen kann. Der für diese Region sehr greifbare negative Einfluss bleibt ja bestehen. Der Initiative geht es weniger um einen wirtschaftlichen Erfolg, als um die Erhaltung der Tradition und dieser Handwerkskunst. Was früher ein Massenprodukt war, soll heute zu einem Designprodukt werden. Diese Initiative arbeitet mit vielen, jungen Designern aus Portugal zusammen, die sich neue Verwendungsmöglichkeiten ausdenken. Früher hat man daraus absolute Massenware hergestellt: Zum Beispiel hatte damals die deutsche Wehrmacht angefragt, die Winteruniformen aus Burel herstellen zu lassen, was übrigens abgelehnt wurde, aber es zeigt, wie man früher Burel eingesetzt hat oder einsetzen wollte. Früher gab es den Stoff nur in grau und braun, jetzt hat man da neue Farben reingebracht und mit den Designs Produkte entwickelt, sodass die Funktionalität endlich der Besonderheit des Materials gerecht wird.
KROSSE: Danke für das Gespräch, Inga!
Von Annika Mahr
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