Auch böse Jungs feiern Weihnachten – nur wird die Kapelle dann eben bewacht und die Musiker sehen sich jedes Jahr mit dieser anderen Welt konfrontiert. Oftmals landen die Insassen vom Rande der Gesellschaft dann in der JVA – und für sie spielt Heiligabend ein Posaunenchor. Die Hintergründe und Eindrücke beschreibt uns Musiker Max, der jedes Jahr beim Orchester mitspielt. Ein besonderes Projekt – drüber nachdenken erwünscht.
Heiligabend in der JVA
Alle Jahre wieder am heiligen Abend, machen sich die Mitglieder des gemeinsamen Posaunenchores von St.Lukas und St.Georg auf den Weg in die Justizvollzugsanstalt in Oslebshausen, um für die Insassen einen Gottesdienst musikalisch zu gestalten und ein bisschen Freude hinter die Gitter zu tragen.
Um 15:30Uhr treffen sich die Bläser unter der Leitung von Egon Szczepanek vor den Toren des Gefängnisses mit dem evangelischen Gefängnispastor, um gemeinsam zur weit oben gelegenen Kapelle zu gelangen. Von Jahr zu Jahr ist es unterschiedlich, mal werden alle gefilzt und die Koffer durchsucht, ob auch niemand etwas Verbotenes hineinschmuggelt. Heute müssen wir an der Schleuse meist nur noch den Ausweis abgeben und dürfen keine Handys mit hineinnehmen. Für den dieses Jahr jubilierenden, 60 Jahre alten Posaunenchor geht es das 44. Mal in den Knast. Früher haben noch Wächter zugesehen im Gottesdienst und aufgepasst, dass die Gefangenen auch ja nichts Verbotenes tun. Wenn sie es taten, wurde reingerufen, dies zu unterlassen. Es wurde teilweise auch zu Weihnachten in den Trakten gespielt und nicht nur in der Kapelle. Heute wird nur noch im Gottesdienst zum Fest der Liebe geblasen. Und auch nur die Gefangenen, die an der Messe teilnehmen wollen, kommen auch. Im Knast darf ja keiner heulen; Mann muss hart sein. Und bevor die Sehnsucht nach geliebten Menschen bei diesem Gottesdienst der besonderen Art durch Tränen zum Ausdruck kommt, bleibt man doch lieber alleine in seiner Zelle. Oder aber man geht um 16 Uhr nur in die Kapelle, um Zigaretten hin und herzuschieben, manchmal sei auch Rauschgift dabei gewesen.
Einmal, erzählt Egon Szczepanek, saß in Oslebshausen ein Organist aus Hamburg. Zusammen mit ihm sollte ein musikalischer Gottesdienst gestaltet werden, zu dem sogar die Kantorei mitkam, doch dann floh der Mann und es wurde nichts aus der musikalischen Zusammenarbeit.
Zu Weihnachten brachte der Posaunenchor lange Zeit auch immer 200 Kerzen mit, da die vorhandenen Kerzen im Gefängnis immer geklaut wurden, verschenkten die Ehrenamtlichen eine Kerze an jeden Insassen, die sie mit in ihre Zelle nehmen konnten, um an den Weihnachtstagen wenigstens ein bisschen in Stimmung zu kommen.
In den 44 Jahren gab es auch schon ein paar Renovierungen, sodass der Veranstaltungsort für den Gottesdienst auf das ehemalige Frauengefängnis verschoben wurde. Als das Untersuchungsgefängnis renoviert wurde, kamen die Häftlinge mit nach Oslebshausen. An Weihnachten, mussten sie jedoch getrennt von den Insassen der Justizvollzugsanstalt und mit großem Abstand zueinander sitzen.
Einmal saß einer alleine, entfernt von den anderen. Später erfuhr Herr Szczepanek, dass dieser Mann selbstmordgefährdet war, oder im Begriff einen Aufstand anzuzetteln, was er jedoch nicht tat. Vielleicht hat ihn die Musik beruhigt oder zu klarem Verstand gebracht.
Aus Mitmenschlichkeit begann der Chor im Gefängnis zu spielen. Damals ist der ehemalige Diakon Eduard Hein aus Grolland nach Gröpelingen gewechselt, wo sich auch ein Kontakt nach Oslebshausen aufbaute. Auf die Anfrage, ob Herr Hein einen Chor oder Posaunenchor kenne, der im Knast spielen würde, kam ihm nur einer in den Sinn, der dies auch tun würde; Egon Szczepanek mit seiner Truppe. Heute ist es für die Bläser und Bläserinnen Tradition, sodass einige nach dem Gottesdienst im Gefängnis erst sagen: Jetzt ist Weihnachten! Und wenn man sich dann bei den Knackies mit einem sarkastischen „Bis nächstes Jahr dann“ verabschiedet, bekommt man nur einen Lacher zurück; „Ne, noch sieben!“ Ebenso kann es passieren, alte Bekannte dort wiederzutreffen, die dann behaupten, man hätte Kontakte zu Kriminellen. Alles in allem ist es jedes Jahr wieder eine tolle Erfahrung und immer wieder etwas besonderes.
Ein etwas anderer Weihnachtsgottesdienst
Die Kapelle befindet sich relativ weit oben in einem großen Gebäude, sogar noch über den Zellentrakten. Links und rechts befinden sich zwei Türen, an denen je ein Justizvollzugsbeamter sitzt. Zwei Minuten nach Vier strömen viele Männer von beiden Seiten in die kleine Kapelle und verteilen sich auf die Bänke. Hierbei bemerkt man sich grüßende Personen mit ähnlichen Frisuren oder Kleidungsstilen. Die Bänke sind gefüllt von Insassen des Gefängnisses. Bei den Liedern singen alle gemeinsam laut mit. Es herrscht weihnachtliche Stimmung. Während der Pfarrer predigt, hören alle leise zu. Bis auf ein paar Flüstergeräusche ist während des Gottesdienstes kein Laut zu vernehmen. Unten bei den Gefangenen sitzt auch eine Nonne, die mit ihnen den Gottesdienst feiert. Ich sitze auf einer Empore mit den anderen Freiwilligen aus unserem Posaunenchor zwischen unseren Instrumenten und Notenständern. Außer ein paar Stühlen und Tischen steht hier oben nichts. Es gibt nicht einmal eine Orgel.
Die Gesichter der Männer sind teilweise traurig oder verärgert. Man hört zwar kein Gerede und es ist still, man sieht aber, wie sie den Mund bewegen, wenn sie sich zueinander beugen. Am Ende des Gottesdienstes verlassen alle Gefangenen gesittet die Kapelle und bekommen einen Beutel mit Schokolade und eine Kerze für ihre Zelle. Ein paar Männer winken zu uns hoch, bedanken sich und gehen. Ganz plötzlich ist der Raum, der eben noch gefüllt war mit so viel Leben, sehr verlassen. Wir gehen wieder die Treppen hinunter, passieren die Flure mit den Zellen, durch die Schleuse zurück nach draußen an die frische Luft. Jetzt ist Weihnachten.
Max Kleine-Boymann