Das Künstlerkollektiv „Zentrum für politische Schönheit“ (ZPS) fällt seit Bestehen mit provokanten und kontrovers diskutierten Aktionen auf. Sie versteigern Angela Merkel bei ebay, entwenden Gedenkkreuze für Maueropfer der deutsch-deutschen Grenze und setzen 25 000 Euro Belohnung für strafrechtliche Hinweise gegen die Eigentümer eines Rüstungsunternehmens aus. Nun haben sie mit ihrer neusten Aktion „Die Toten kommen“ das wohl medienwirksamste Projekt umgesetzt. Wie politisch Kunst sein kann, erzählt euch Krosse.
Mit der Kunst ist das ja so eine Sache. Für viele ist Kunst alles, was ästhetisch und schön ist, für andere, was sich so in den deutschen Museen und Kunsthallen finden lässt und für wieder andere ist Kunst erst dann Kunst, wenn sie politisch ist.
Dabei sind Kunst und Politik als Teilbereiche einer jeden Gesellschaft auf den ersten Blick so gegensätzlich, wie nur irgend möglich. Die Politik, die mit Macht, schnellen Entscheidungsprozessen und Kompromissfindungen zu tun hat und die im Sinne des bestehenden Systems handelt. Und die Kunst als Teil der Unterhaltungsindustrie, die Neues und Polarisierendes schafft und die nicht selten ungewöhnliche und kompromisslose Antworten auf drängende gesellschaftliche Fragen gibt, die außerhalb der Museen so nicht diskutiert werden.
Aber Politik ist eben nicht nur das, was abgeschottet im Bundestag und weiteren politischen Ämtern passiert. Und genauso wenig ist Kunst nur Kunst, wenn sie über Ausstellung in renommierten Häusern als solche deklariert wird.
Dass Kunst durchaus politisch ist und auf gesellschaftlicher, wie politischer Ebene etwas bewirken kann, zeigt aktuell das „Zentrum für politische Schönheit“ mit ihrer Aktion „Die Toten kommen“.
Das Zentrum für politische Schönheit – eine kunstpolitische Denkfabrik
Das AktionskünstlerInnen – Kollektiv um den Theaterregisseur und Philosoph Philipp Ruch versteht sich selbst als Denkfabrik, in dessen Rahmen sie politische Missstände mit radikaler Aktionskunst medienwirksam verbindet und thematisiert.
Dabei beschäftigen sie sich laut eigenen Angaben schwerpunktmäßig mit den Themenbereichen Flüchtlingspolitik, Genozide und politischer Verdrossenheit in Deutschland.
Der breiten Öffentlichkeit dürfte das Kollektiv spätestens seit ihrer Kunst-Aktion „Erster europäischer Mauerfall“ aus dem Jahr 2014 bekannt sein, bei dem sie das Ziel verfolgten vor Ort die Eindämmungsanlagen abzubauen.
Aber auch schon in den Jahren zuvor fiel das Zentrum für politische Schönheit mit ihren provokanten und kreativ in Szene gesetzten Polit-Aktionen auf.
2009 versteigerten sie auf der philippinischen Seite des Auktionshauses Ebay die Bundeskanzlerin Angela Merkel und den damaligen Herausforderer Frank-Walter Steinmeier, um auf den einfallslosen Worthülsen – Wahlkampf beider KanzlerkandidatInnen aufmerksam zu machen, der laut ZPS keine inhaltliche Debatte bietet und die Politikverdrossenheit im Land nur noch weiter schürt.
Wie und warum die Versteigerung schon nach wenigen Tagen aus dem Netz genommen wurde und warum den PhilippinerInnen die Kanzlerin umgerechnet nur schlappe 43 Euro
wert war, ist bis heute nicht geklärt. Sicher ist aber, dass sie für Belustigung gesorgt und die Debatte über politische Inhalte im Wahlkampf angeheizt hat.
Um 2012 den Handel von 270 Kampfpanzern zwischen Saudi-Arabien und dem deutschen Rüstungsunternehmen Krauss-Maffei Wegmann zu verhindern, schrieben die AktionskünstlerInnen eine Belohnung von 25 000 Euro für denjenigen aus, der die Eigentümer ohne Bewährung hinter Gitter bringt. Da der Handel von Panzern und Waffen in Krisengebiete und autokratische Regime in Deutschland rechtlich legal ist, war die Zielsetzung nicht den Konzern haftbar zu machen, sondern seine Eigentümer. Dafür suchte das ZPS via Banner und Plakate, die die Eigentümer steckbrief-artig darstellten, im gesamten Berliner Stadtzentrum nach Informationen und Hinweisen auf Delikte wie Schwarzarbeit oder Geldwäsche, in die die Besitzer von Krauss-Maffei Wegmann möglicherweise verstrickt sein könnten.
Ziel war dabei aber nicht nur den Handel mit einer der restriktivsten Diktaturen der Welt zum Zeitpunkt des arabischen Frühlings zu unterbinden, sondern auch die Verantwortlichen in der Rüstungsindustrie sichtbar zu machen, sie aus ihrer anonymisierten Reserve zu locken und an den Pranger zu stellen.
Das Unternehmen bestätigte daraufhin, dass der Zeitpunkt für das Geschäft wahrlich ungünstig gewählt worden sei und brach den Deal daraufhin vorläufig ab.
Der erste Europäische Mauerfall
Das Projekt „Der erste Europäische Mauerfall“ des Kollektivs sollte alle vorangegangenen Aktionen in den Schatten stellen.
Nur wenige Tage vor dem 25. Jahrestag des innerdeutschen Mauerfalls entwendete das „Zentrum für politische Schönheit“ sieben weiße Kreuze, die in Gedenken an die Maueropfer zwischen 1961 bis 1989 in unmittelbarer Nähe des Reichstages errichtet wurden, um diese wieder an den europäischen Außengrenzen anzubringen. Zwar wurde das Fehlen der Kreuze erst Tage nach der Entwendung entdeckt, sorgte aber trotzdem medial für große Aufmerksam und besonders in den konservativen Kreisen für Unverständnis und Empörung. Das KünstlerInnen-Kollektiv bekannte sich zu der Aktion und verfolgte damit gleich zwei Ziele: Zum einen diente sie der Sichtbarmachung der Flüchtlinge, die täglich bei dem Versuch, die europäischen Außengrenzen zu überwinden, sterben. Zum anderen bewarben sie so ihre Crowdfunding-Finanzierung für ihr kommendes Projekt – den ersten europäischen Mauerfall.
Über Spenden organisiert, stellte das ZPS für den 09.November 2014 Reisebusse und Arbeitsutensilien zur Verfügung, mit denen AktivistInnen vor Ort zwischen Bulgarien und der Türkei die Eindämmungsanlagen der EU abbauen sollten.
Dabei sollte der Nato-Stacheldraht, der vor allem die syrischen Flüchtlinge am „illegalen“ Einwandern hindern soll, mithilfe von Bolzenschneidern zunichte gemacht werden.
Die Idee des Projektes wurde – wie auch die vorherigen Kunst-Aktionen des Zentrums – kontrovers diskutiert, fand allerdings in den sozialen Netzwerken viel Zustimmung und auch die Anmeldung für die begehrten Bustickets überschritten Erwartungen und Kapazitäten um ein Vielfaches.
Über die Spenden von privaten UnterstützerInnen konnten letzten Endes zwei Reisebusse plus Equipment gestellt und rund 200 AktivistInnen mitgenommen werden.
Die Umsetzung der heiß diskutierten Aktion gestaltete sich dann aber doch schwieriger, als die OrganisatorInnen zu Beginn der Planung anzunehmen schienen.
An den Grenzen wurden sie von einer Hundertschaft Riot-PolizistInnen und Wasserwerfern empfangen, sodass die Aktion rund 300 Meter vor dem Erreichen der Zäune ihr Ende fand.
Doch auch ohne, dass die AktivistInnen den Bolzenschneider angesetzt haben, ist die Aktion in ihrer Kompromisslosigkeit und politischen Direktheit kaum zu übertreffen.
„Die Toten kommen“
Nach einer halbjährigen Planungsphase hat das Zentrum für politische Schönheit nun ihr neustes Projekt bekannt gegeben: „Die Toten kommen“
Die AktivistInnen planen insgesamt 10 Flüchtlingsleichen, die auf ihrer Flucht nach Europa gestorben sind, zu identifizieren, exhumieren und nach Deutschland zu überführen, um sie in Berlin würdig und medienwirksam bestatten zu lassen.
Hintergrund der Aktion ist die fast sechs-monatige Recherche der Gruppe, die sich vor allem mit der Frage beschäftigte, was mit den Leichen, die das Mittelmeer an die griechische, spanische oder italienische Grenze anspült, passiert. Herausgefunden hat das Kollektiv nach eigenen Angaben, dass diese in Plastiksäcken verpackt in Kühllagern gestapelt und nach acht Monaten als „Anonyme Tote“ in den Massengräbern verscharrt werden.
Zwar wäre das Identifizieren der Leichen gar nicht so schwer, würde allerdings für die örtlichen Behörden bedeuten, nach Angehörigen zu suchen und die Verstorbenen möglicherweise ordentlich begraben müssen. Um diesem Apparat an organisatorischem und finanziellem Aufwand zu umgehen, werden die Leichen daher einfach mit einer Nummer versehen und anonym bestattet. Der Eskalationsbeauftragte des ZPS berichtet außerdem von kaputten Kühlhäusern, verwesten Leichen im griechischen Hinterland und blutrot gefärbten Stränden.
Um diese pietätlose und menschenunwürdige Umgehensweise mit toten Geflüchteten sichtbar und publik zu machen, griffen die Aktionskünstler zwar zu radikalen, in jedem Falle aber wirksamen Mitteln.
Vergangenen Montag fand die erste Beisetzung auf einem muslimischen Friedhof statt. Eine 34-jährige Syrerin und ihre zwei-jährige Tochter wollten mit einem kleinen Boot und 200 weiteren Flüchtlingen nach Europa in ein besseres Leben, als ein zur Hilfe eilendes Handelsschiff die Katastrophe auslöste. Die Flüchtlinge gerieten in Aufruhr und eilten allesamt auf die selbe Seite des Bootes, was zum Kentern eben dieses führte.
Die junge Frau ertrank im Mittelmeer – mit ihr ihr kleines Kind und viele weitere Flüchtlinge. Als der weiße Sarg in die Erde gelassen wurde, wischten sich einige Anwesende ein paar Tränen von der Wange. Die Stimmung war bedrückend. Der Imam, der der Beerdigung beisaß, warnte: „Die Frau ist im Meer ertrunken, aber wir, wir ertrinken in Ungerechtigkeit.“ Die Stühle, die für Merkel, de Maziére und das Innenministerium bereitgestellt wurden bleiben leer – die Worte des Imam haben sie nicht gehört.
Anna Siewert