Was wäre, wenn sich niemand auf der Welt mehr an die Beatles erinnern würde… abgesehen von einem erfolglosen Musiker aus Suffolk, dem diese Fülle herrenloser Songs nun zur freien Verfügung stünde? Von diesem Gedankenexperiment handelt die britische Musik-Komödie Yesterday. Kann der Film den Erwartungen des Publikums gerecht werden?
Es sei das Ende einer „long and winding road“, beschreibt Singer-Songwriter Jack Malik seine Situation, als er entscheidet, seinen Traum von einer Musikkarriere aufzugeben. Erfolg bleibt aus und niemand interessiert sich für seine Lieder bis auf seine Managerin und Kindheitsfreundin Ellie. Das alles ändert sich allerdings drastisch, als Jack während eines zwölfsekündigen, globalen Stromausfalls von einem Bus erfasst wird und in einem Krankenhaus wieder aufwacht. Als er nach seiner Entlassung seinen Freunden Yesterday vorspielt und alle diesen Song für seinen eigenen halten, dauert es nicht lange, bis Jack erkennt, dass er die einzige Person auf der Welt ist, die sich an die Beatles erinnern kann. Schon bald wird er mit Unterstützung von einer neuen, eiskalten Managerin und dem Popstar Ed Sheeran weltberühmt und als größter Singer-Songwriter der Welt gepriesen. Doch Jacks neues Leben ist nicht so, wie er es sich vorgestellt hatte. Die Angst, dass sein Betrug auffliegen könnte, plagt ihn und seine neue Berühmtheit bringen ihn und Ellie, deren Liebe ihm viel zu spät bewusst wird, auseinander.
She loves you
Regisseur Danny Boyle, der zahlreiche Preise und darunter auch einen Oscar für seine Arbeit an Slumdog Millionaire gewonnen hat, und Drehbuchautor Richard Curtis, der hauptsächlich für romantische Komödien wie Notting Hill und Bridget Jones bekannt ist, haben sich zusammen an einen Film gewagt, der zum einen die Songs der Beatles feiern und zum anderen eine Liebesgeschichte zwischen dem plötzlich berühmten Jack und der Lehrerin Ellie erzählen will. Das ist allerdings nicht Jacks einzige Liebe. Mit größter Sorgfalt und Mühe versucht er jeden einzelnen der Beatles Songs aus seinem Gedächtnis zu rekonstruieren, damit diese der Welt nicht verloren gehen. Dazu besucht er Orte wie Penny Lane oder das Grab von Eleanor Rigby. Jacks Liebe zur Musik steht in Yesterday also genauso im Vordergrund wie seine Beziehung zu Ellie. Natürlich läuft das Ganze auf ein großes Finale hinaus, bei dem sich Jack – oh Wunder – zwischen Ruhm und der großen Liebe entscheiden muss.
Aber was wäre denn nun, wenn…?
Sehr schade ist, dass sich der Film so stark auf eine Liebesgeschichte konzentriert, die definitiv kein Alleinstellungsmerkmal ist. So etwas war schon viele Male auf der Kinoleinwand zu sehen. Die Einzigartigkeit des Films besteht in der Idee einer Welt ohne die Beatles und genau diese Trumpfkarte, die den Zuschauer besonders neugierig auf den Film macht, wird nicht genug ausgespielt. Die Beatles hatten ihre Blütezeit in den turbulenten 1960er Jahren. Als eine der bedeutendsten Bands der Geschichte beeinflussten sie die Menschen nicht nur musikalisch. Was wäre also, wenn es diesen Einfluss nie gegeben hätte? Was wäre heute anders?
Was, wenn diese Songs erst heute – zu einer völlig anderen Zeit – entstehen würden? Hätten sie auch dann dieselbe Wirkung, wenn sie nicht von Persönlichkeiten wie den Beatles, im Besonderen John Lennon und Paul McCartney, gespielt würden? Yesterday beantwortet diese Frage mit einem klaren „ja!“ und zeigt, wie Jack Malik innerhalb kürzester Zeit zum Superstar wird. Noch viel spannender wäre es allerdings gewesen, wenn manche Songs heute vielleicht nicht mehr so gewürdigt werden würden wie zu ihrer Entstehungszeit. Viele Chancen, die der Film Yesterday leider verpasst hat.
Hey dude, don´t make it bad
Punkten kann der Film – natürlich – mit einem grandiosen Soundtrack. Wie sollte es auch anders sein, wenn dieser aus einer Auswahl der größten Hits der Beatles besteht? Es wird auf den bekannten Klang gesetzt. Man wagt sich nicht an große Neuinterpretationen heran. Der Hauptdarsteller Himesh Patel trägt diese sympathisch und mit viel Gefühl vor. Auch beim Humor trifft der Film an einigen Stellen dann tatsächlich wünschenswerte Töne. Man traut sich immerhin ein wenig an die Frage, wie die Beatles in der heutigen Zeit funktionieren würden. So hält Jacks Musiklabel seinen Namensvorschlag „The White Album“ nicht für inklusiv genug, da heutzutage auf Diversität gesetzt werden müsse, und Ed Sheeran ist sich sicher, dass „Hey Dude“ ein viel besserer Titel für seinen neuen Song wäre als „Hey Jude“. Der Name sei zu altmodisch.
Boy, you gotta carry that weight
Von Yesterday darf der Zuschauer nicht mehr erwarten, als der Film selbst sein will: eine romantische Feelgood-Komödie. Genau dieser Anspruch wird erfüllt. Sympathische Charaktere, große Liebe, gute Musik. Und Ed Sheeran ist auch da. Blöd nur, dass der Filmtitel und die interessante Idee einer Weltgeschichte ganz ohne John, Paul, George und Ringo ausschließlich Beatles-Fans ins Kino lockt. Und es genau diese sind es, die dabei nicht auf ihre Kosten kommen.
von Miriam Sachs
Bildquelle: United Press International
(https://commons.wikimedia.org/wiki/File:The_Beatles_in_America.JPG)