Das Wintersemester 2021/2022 an der Universität Bremen startete im Oktober mit der Präsenzlehre. Die Freude war groß – und kurz: Nach nur knapp zwei Monaten kehren Studierende und Dozierende kurz vor den Weihnachtsferien wieder in die Online-Uni zurück. Aber worauf müssen sie sich jetzt einstellen?
Warum jetzt auf einmal wieder Online-Lehre? Diese Frage stellen sich viele, hatte der Krisenstab der Universität Bremen doch vor kurzem noch Warnstufe 2 auf dem Campus eingeführt. Also 3G in den Lehrveranstaltungen, 2G in der Mensa und Maskenpflicht. So weit, so gut. Dann kam am 2. Dezember die Rundmail des Rektorats: Die Universität Bremen wechsle auf Warnstufe 4 und gehe ab dem 13. Dezember bis vorerst 7. Januar in die Online-Lehre. Das hat zunächst für Verwunderung gesorgt, ist doch Bremen mit 80% Impfquoten-Spitzenreiter Deutschlands. Darunter sind 90% aller Studierenden geimpft. „Es gab auf dem Campus ganz wenige Fälle, bei denen sich im Nachhinein eine Infektion herausstellte. Wir haben auch überhaupt keine Evidenzen dafür, dass Infektionen auf dem Campus weitergegeben wurden“, leitete Prof. Dr. Thomas Hoffmeister das Rektoratsgespräch ein. Der Konrektor für Lehre und Studium fährt weiter fort: „Auch wenn der Campus relativ sicher ist, wollen wir auf jeden Fall vermeiden, dass Studierende sowie Lehrende kurz vor Weihnachten in Quarantäne gehen müssen.“ Entscheidungen dieser Art trifft das Rektorat in stetiger Zusammenarbeit mit dem Krisenstab der Universität, sowie in Absprache mit der senatorischen Behörde Bremens.
Funktioniert Online-Lehre?
„Die durch die Pandemie herausgebildete Digitalisierung hat den Unialltag einfacher gestaltet“, fasst Justus, der seit Oktober 2019 in Bremen studiert, die Online-Semester zusammen. Studierende verschickten Hausarbeiten per E-Mail statt Post. Dozierende konnten Vorlesungen aufnehmen und hochladen, statt sie live über Zoom, einer Plattform für Videokonferenzen, zu geben. Bei der Art Vorlesung hatten Studierende die Möglichkeit, die Videos zu pausieren, um Notizen fertigzustellen – oder konnten deren Geschwindigkeit verdoppeln. Justus sah darin aber noch einen anderen Vorteil: „Gerade zur Prüfungsvorbereitung hat das sehr geholfen, sich die Vorlesungen nochmal anschauen zu können.“ Auch neue digitale Werkzeuge zur Ergebnissicherung in Seminaren haben sich etabliert. So wurden Ideen und Lösungen auf einer Plattform abgespeichert, sodass auf diese noch einige Wochen später zugegriffen werden konnte. „Sonst hätte man die Plakate nach den Sitzungen einfach wieder weggeschmissen.“
Von digitalen Tools ist Dr. Cornelia Driesen so begeistert gewesen, dass sie diese Möglichkeit auch in die Präsenzlehre übernommen hat. Die Dozentin der Kommunikations- und Medienwissenschaften mit Schwerpunkt der Unternehmenskommunikation sagt: „Online-Lehre funktioniert.“ So lässt sie auch in der Präsenzlehre in ihren Tutorien die Ergebnisse auf digitalen Pads notieren. Außerdem gibt sie kleineren Arbeitsgruppen individuelle Coachings über Zoom. „In Präsenz wäre für ein konstruktives Feedback entweder der Lärmpegel extrem hoch oder der Gruppenwechsel würde viel zu lange dauern.“ Unter solchen Bedingungen sieht sie in den Tools einen Mehrwert für alle Beteiligten.
Auch Lena erachtet es als sinnvoll, die Lehre hybrid zu gestalten: Vielbesuchte Vorlesungen sollten aufgenommen und hochgestellt werden, während Seminare in kleineren Kreisen weiterhin in Präsenz bleiben sollten. Die Studentin der Kommunikations- und Medienwissenschaften habe zudem noch einen weiteren Nutzen für sich entdeckt: Die Zeit zwischen hintereinander folgenden digitalen Sitzungen konnte sie für neue Aufgaben im Haushalt oder für das Studium einplanen. „Besonders der Weg zwischen der Wohnung und der Uni nimmt viel Zeit in Anspruch, die ich sonst für andere Dinge aufbringen könnte“, vergleicht sie die Online- und Präsenzlehre.
Wenig Motivation – große Überforderung
Doch die Nachteile einer Online-Lehre überwiegen ihre Vorteile. So habe das auch die Dozentin für Lebenslaufforschung, Dr. Simone Scherger, empfunden. „Ich glaube, es gibt tatsächlich auch welche, die mit der Online-Lehre ganz gut klargekommen sind. Aber diese Gruppe macht nur einen ganz kleinen Teil aus.“ Eine der vielen Herausforderungen sei gewesen, sich mit den digitalen Plattformen so gut auseinanderzusetzen, dass eine didaktisch gute Lehrveranstaltung hergestellt werden könnte. Dabei war neben Meetings, Kommissionen oder auch der normalen Semestervorbereitung eine intensive Vorbereitung auf die digitale Lehre essenziell. „Die Zeitbelastung war sehr viel höher“, erinnert sich Scherger.
Auch Studierenden ist das Pensum zu Kopf gestiegen. „Man belegte dann im dritten Online-Semester weniger Seminare, weil man das Gefühl hatte, dass es einem zu viel wird“, erklärt Justus. Die Folge daraus: Studierende hätten sich allgemein in der Beteiligung eher zurückgezogen und ihre Motivation wäre immer weiter gesunken. „Die Atmosphäre war sehr drückend“, erinnert sich der 20-Jährige an seine digitalen Sitzungen.
Die Studentin Lena war außerdem über die politischen Maßnahmen enttäuscht: „Es wurde nicht mal darüber nachgedacht, dass Präsenzseminare so wichtig sind.“ Denn nicht nur die Mitarbeit sei in Präsenz größer, sondern auch die Möglichkeit, neue Bekanntschaften zu machen. Die Ostfriesin war 2020 für das Studium nach Bremen gezogen und kannte deshalb noch niemanden. „In Präsenz knüpft man schneller Kontakte als online“, stellt sie nun fest. Denn nach Gruppenarbeiten in den Online-Semestern würden die Kontakte schlichtweg verloren gehen.
Auch das Feedback von Studierenden funktioniere in Präsenzveranstaltungen besser, denn „da sieht man einfach die Fragezeichen in ihren Augen“, erklärt Dr. Cornelia Driesen. „Ich habe Sprechstunden angeboten und eine anonyme Plattform erstellt, auf der die Studierenden ihre Fragen und auch Sorgen teilen konnten.“ Denn die Hemmschwelle, Fragen zu Klausuren oder zum Unterrichtsstoff über Zoom bzw. per E-Mail zu stellen, sei größer als in Präsenz. Das war auch Thema am Tag der Lehre, an dem Studierende und Dozierende zusammengekommen waren, um über Wünsche und Probleme zu diskutieren. „Einige Professoren haben teilweise gar nicht auf E-Mails geantwortet oder uns mit dem Verweis auf den Semesterplan allein gelassen“, so eine Studentin der Universität Bremen.
Zwischen Verständnis und Bedenken
In diesem Punkt sind sich viele einig: Der Austausch zwischen Studierenden untereinander sowie mit den Dozierenden hat in den drei Online-Semestern am meisten gefehlt.
Auch wenn die Studierenden die Entscheidung des Rektorats für wichtig und verantwortungsbewusst halten, haben sie doch einige Sorgen, wenn sie an die Online-Lehre denken. Lena befürchtet erneute technische Probleme, die einige haben würden. Schlechte Internetverbindung, kein Ton oder eine kaputte Kamera waren ständiger Begleiter der digitalen Sitzungen. „Wir hatten viele Zoom-Sitzungen, wo Referate gar nicht geklappt haben, weil das Internet ständig weg war und das Video immer gehakt hat. So machte das gar keinen Spaß.“ Auch Justus empfindet einen Zwiespalt zwischen Universität und Stadt. „Ich finde es schwierig zu verstehen, warum man weiterhin Clubs besuchen, aber nicht in die Uni gehen darf.“
Ob und wie die Universität Bremen nach der Weihnachtspause ihren Betrieb fortführen wird, klärt das Rektorat eine Woche vor dem 10. Januar. Bis dahin heißt es: Passt auf euch auf und bleibt gesund.
von Andrea Sviridova