Lencke Steiner (FDP) kennt beide Seiten politischer Arbeit: Zuerst Unternehmerin, jetzt Spitzenkandidatin. Ein Quereinstieg mit Erfolg?
Schwarzer Pulli, Jeans und Sportschuhe in einem Umfeld, das geprägt ist von Krawatten und Hemden: Auf den ersten Blick wäre man wohl nicht darauf gekommen, dass uns gerade Lencke Steiner, die Spitzenkandidatin der FDP, in der Bremischen Bürgerschaft gegenübersitzt und Wasser einschenkt. Als sie erfährt, dass wir unsere Mützen am Eingang des Regierungsgebäudes absetzen mussten, um sie für ein Interview treffen zu können, zog sie sich solidarisch grinsend die Kapuze ihres Pullis über den Kopf und kommentierte: „Ich habe mit sowas kein Problem“. Sie stellte sich also bewusst gegen das Meer von Krawatten um uns herum – vielleicht auch, weil sie an diesem Tag keinen Termin mit dem Weser Kurier, sondern mit KROSSE hatte.
Was gefällt Ihnen an Bremen, Frau Steiner?
Ich liebe alles daran, für mich ist das hier Heimat. Es gibt eine sehr offene Kultur in der Stadt. Hier fühlt man sich zu Hause, wird mit offenen Armen empfangen und egal wo ich bin, ich fühle mich wohl. Bremen hat ganz viel tolle Orte, an denen man gut die Mischung zwischen Tradition und Moderne sehen kann.
Und was sagt Ihnen an der Stadt nicht so zu?
Ein paar Ecken könnte man schon besser sauber halten und politisch bin ich oft der einen oder anderen Meinung als die Landesregierung, aber es gibt hier keinen ‘schrecklichen Ort’.
Was unternehmen Sie, wenn nicht gerade politische Arbeit angesagt ist?
Für Hobbys bleibt mir im Moment nicht viel Zeit, aber ich bin sehr oft bei meiner Familie. Wir kochen und ich gehe ins Fitnessstudio. Früher hatte ich mal ein Pferd, aber jeder der Pferdehaltung kennt, weiß wie aufwendig das ist. Da muss man sich intensiv kümmern, putzen, streicheln, reiten – das wäre im Moment leider zu viel.
Wollten Sie eigentlich immer in die Politik gehen?
Auf keinen Fall! Ne, früher war ich total unpolitisch. Ehrlich gesagt habe ich Politik oft nicht verstanden. Das war so komplex und die Sprache war sehr juristisch. Wenn ich ausschnitthaft Zeitung gelesen habe, dachte ich mir oft: ‘Wie hängt das alles zusammen?’. Ich habe mich dann irgendwann, aus unserem Familienunternehmen heraus, im Unternehmerverband engagiert. Während der Arbeit dort ist mir das erste Mal aufgefallen: Ich will was verändern. Ich habe mich dann so langsam hochgearbeitet und war dann irgendwann Chefin über die ganzen kleinen und mittelständischen Unternehmen und hatte das Glück, dass mir Kollegen und Kolleginnen aus der Politikabteilung vieles erklärt haben. Das hat mein politisches Interesse geweckt und mich fasziniert. Gleichzeitig fragte man mich, ob ich denn nicht die Bremer FDP zurück in die Bürgerschaft führen möchte. Da ich schon einige Einblicke in das politische Treiben durch meine häufigen Termine im Bundestag bekam, war ich sofort dabei.
Warum ist es dann die FDP geworden?
Mit der FDP teile ich die meisten politischen Ansichten. Zwar habe ich auch viele politische Schnittstellen mit den Grünen oder der CDU, aber in der FDP spürte ich, dass man dort etwas verändern kann, da sie ja 2013 am Boden lag und neu aufgebaut werden musste.
Einer der zentralen Slogans ihrer Kampagne lautet „Es geht um euch“. Die Wahlwerbung ist allerdings oft sehr personenzentriert auf Ihr Gesicht zugeschnitten – ist das kein Widerspruch?
Wir fokussieren uns tatsächlich relativ viel auf Inhalte, beispielsweise in unseren Kurzwahlprogramm. Klar bin ich da da immer drauf, aber auch oft im Gespräch – um zu zeigen, dass ich für Themen kämpfe. Ich will zeigen: Hey ich bin für euch da, mit Herz und Verstand, und trotzdem kann ich auch Staatsfrau. Ich glaube, dass dieser Wahlkampf außerdem ein starker Personenwahlkampf wird.
Ist also die starke Personenzentrierung auf Ihren Plakaten eine Marketingfrage?
Wahlkampf ist immer auch ein wenig Marketing. Sonst wüsste niemand, für wen die Plakate stehen.
Und komplexe Inhalte sind schwer auf’s Plakat zu kriegen.
Aber kann ein Gesicht allein überhaupt mit irgendwelchen politischen Inhalten verbunden werden?
Die Frage ist, wie kriegt man es hin, dass man morgen nicht wieder vergessen wird? Trau‘ ich der Person zu, dass sie oder er sich für meine Befindlichkeiten engagiert? Das ist auch eine Frage von Vertrauen und Haltung.
Aber nicht auch von Emotionalisierung von Politik?
Naja, die AfD emotionalisiert natürlich ausschließlich und das über Angst – das lehne ich komplett ab. Ich glaube, dass Emotionen wichtig sind, aber da muss man sehr aufpassen.
Sie meinen also, dass Sie da noch eine Balance halten?
Ja, ich will mit Inhalten arbeiten, aber bei meinen Reden soll es auch darum gehen, dass man mich versteht. Manchmal ist es besser, den Inhalt in einer wahren Geschichte einzubauen, um es besser nachvollziehen zu können. Denn wir machen die Reden nicht nur für uns, also diejenigen, die in der Bürgerschaft sitzen, sondern auch für die Leute, die draußen sitzen und mitkriegen wollen, was da passiert.
Wie macht man das, ohne dabei inhaltliche Tiefe zu verlieren? Gerade wenn Sie – nach eigener Aussage – den Anspruch haben, die Dinge in ihrer Komplexität anzugehen?
Ich nenne mal ein Beispiel: Eine Forderung der Bremer FDP war es, dass die Stadt heller wird. Eigentlich sinkt die Kriminalitätsrate seit Jahren, aber die gefühlte Sicherheit nimmt rapide ab. Obwohl es also eigentlich sicherer wird, fühlen die Leute sich unsicherer – das ist paradox.
Früher habe ich an einer hässlichen Ecke am Wall gewohnt. Dort nachts entlang zu gehen war echt unangenehm. Eine Stelle dort, neben einem Gebüsch, war komplett unbeleuchtet. Da habe ich immer die Seite gewechselt. Sowas ist ein Beispiel wo du natürlich emotionalisieren kannst und sagen kannst: ‘Hey, hier ist es gefährlich’. Das ist einfach eine unangenehme Stelle, das versteht jeder. Inhaltlich haben wir das dann in der Bürgerschaft aufbereitet: Statistisch führt mehr Licht nicht zu mehr Sicherheit, bringt aber mehr Sicherheitsgefühl. Unser Vorschlag, die Beleuchtung zu verbessern, wurde dann auch von allen angenommen. Emotionalität und inhaltliche Tiefe können also zusammenpassen, wenn man damit vernünftig arbeitet.
Aber wie sie selbst sagten: Aller Wahrscheinlichkeit nach wurde dort nun nichts gegen Kriminalität in Bremen getan – haben wir es hier nicht also nicht mit einer gefühlten Lösung zu tun?
Ja, aber du darfst Gefühle nicht unterschätzen. Du kannst den Menschen nicht mit Zahlen kommen, wenn sie sich nicht sicher fühlen. Das bringt nichts. Das ist wie, wenn jemand massive Flugangst hat. Da interessieren dich Statistiken nicht. Das Thema ‘mach die Lampe an‘ kostet nicht viel, aber im Zweifel wählen dadurch weniger Leute die AfD.
Also ist die Reaktion auf emotionale Themen auch eine Maßnahme, um der AfD den Wind aus den Segeln zu nehmen?
In dem Fall ja. Schreiben sie jetzt aber nicht morgen: ‚die wollen sich nur um gefühlte Probleme kümmern‘.
Aber ein wenig schon?
Nein, Sie wissen natürlich, wie ich das meine.
Fortsetzung folgt. Im zweiten Teil des Inverviews erzählt Lencke Steiner (FDP), wie sie zum BAföG und zu der Arbeitssituation von studentischen Hilfskräften steht. Außerdem besprechen wir, warum Frau Steiner glaubt, dass privater Wohnungsbau die Mietsituation in Bremen verbessern könnte.
von Moritz Gammersbach und Hendrik Meyer