Berlin in den frühen Morgenstunden. Noch sind die Clubs geöffnet und der Alkohol wird ausgeschenkt. In dieser Zeit zwischen Nacht und Tag siegt der Übermut eines Mädchens über die Vernunft und sie entscheidet sich dazu, mit vier wildfremden jungen Männern durch die Stadt zu ziehen. Dies ist der Beginn von Sebastian Schippers neuestem Film „Victoria“, der als „One-Take“ ohne einen einzigen Schnitt gedreht wurde und momentan Kinogeschichte schreibt.
Der spannende Thriller handelt von der jungen Spanierin Victoria, die erst seit drei Monaten in Berlin lebt und dort bisher noch keinen Anschluss gefunden hat. Nach einer durchtanzten Nacht trifft sie vor einem Club auf vier Jungs, die sich Sonne, Blinker, Fuß und Boxer nennen, und mit ihr die restliche Zeit bis zum Morgengrauen verbringen wollen. Obwohl Victoria schon in ein paar Stunden zur Arbeit in einem Café muss, begleitet sie die vier Freunde ohne zu ahnen, was bis zum Sonnenaufgang alles passieren wird.
Die fünf erleben ein Abenteuer, das mit angetrunkener Ausgelassenheit und lustigen Konversationen in schlechtem Englisch anfängt und sich dann zu tiefsinnigen Gesprächen über den Dächern Berlins bis hin zur gemeinsamen Durchführung eines Banküberfalls steigert. Grund dieser Straftat sind die Schulden, die Boxer nach seiner Vergangenheit im Gefängnis bei einem anderen Insassen hat und nun begleichen muss. Plötzlich wird aus Spaß Gefahr und es beginnt eine Nacht voller Komplikationen und Waghalsigkeit, in der zwar alles möglich scheint, aber später trotzdem nichts mehr so sein wird wie es war.
Das Werk des Regisseurs Sebastian Schipper wurde in sieben Kategorien für den Deutschen Filmpreis nominiert und begeistert nicht nur durch die erstklassigen Schauspieler und die spannende Handlung, sondern auch durch eine gewagte Drehtechnik. „Victoria“ ist tatsächlich ein „One-Take“: Im ganzen Film gibt es nicht einen einzigen Schnitt. Der Kameramann Sturla Brandth Grøvlen begleitete die Protagonisten ohne Pause von 4.30 bis 7 Uhr durch die Straßen Berlins und schaffte es in diesen zweieinhalb Stunden, das Geschehen so real erscheinen zu lassen, als wäre man selbst dabei. Die Herausforderungen, denen Grøvlen dabei gegenüberstand, sind später auf der Kinoleinwand nicht mehr zu sehen. Der Zuschauer bemerkt weder, dass die Darsteller sich in einer Szene einmal verfahren haben, noch weiß er, dass Grøvlen eingequetscht zwischen den Protagonisten im Auto saß und kontinuierlich versuchen musste, beim Filmen selbst nicht ins Bild zu geraten.
Die Meisterleistung des Kameramanns wird durch die hervorragende schauspielerische Leistung der Schauspieler ergänzt, die den ganzen Film über perfekt miteinander harmonieren. Die Dialoge sprühen nur so vor Witz und Ironie, Tiefsinn und Klischeesprüchen – nach Angaben der Schauspieler war allerdings jeder Wortwechsel größtenteils improvisiert. Besonders Laia Costa als Victoria und Frederick Lau als Sonne vollbringen ein wahres Wunder in der Darstellung ihrer Figuren. Sie wechseln die Emotionen von angetrunkener Albernheit über zaghafte Zuneigung bis hin zu Angst und Verzweiflung so authentisch, dass man gar nicht glauben kann, die Entwicklung ihrer Rollen tatsächlich nur 140 Minuten miterlebt zu haben. Genauso verhält es sich mit der Männerfreundschaft zwischen Sonne und seinen drei Kumpels Blinker (Burak Yigit), Fuß (Max Mauff) und Boxer (Franz Rogowski), die so echt wirkt, als wären vier angetrunkene Männer in einer aufregenden Nacht einfach die ganze Zeit heimlich gefilmt worden.
„Victoria“ ist eine Meisterleistung in jeglicher Hinsicht und einen Besuch im Kino auf jeden Fall wert. Durch die außergewöhnliche Drehweise und die grandiose Leistung der Schauspieler taucht man vollkommen in die Welt des Films ein und durchlebt in zweieinhalb Stunden alle Gefühle der fünf Hauptfiguren so mit, als wäre man selbst ein Teil der Geschichte.
Isabella Weder