Wie konnte Trump passieren? Diese Frage stellt sich nicht nur Dokumentarfilmer Michael Moore in seinem neuen Kinofilm Fahrenheit 11/9. Auch wir widmen uns einem der skurrilsten Politiker unserer Gegenwart ausgiebig – in einer dreiteiligen Serie zu seinen Wahlkampfstrategien im Netz. Donald Trump hat keine zwei Jahre gebraucht, um es vom skandalgebeutelten, schrulligen Fernseh-Millionär zum gewählten Präsidenten der USA zu schaffen. Das können wir nur verstehen, wenn wir über den Zusammenhang von Politik und Social Media sprechen.
Als Donald Trump im Juni 2015 verkündete, dass er der nächste Präsident der Vereinigten Staaten werden will, da hielten ihn noch viele seiner Landsleute für größenwahnsinnig [1]. Das hat sich im Laufe der folgenden 18 Monate geändert: Es vergeht kaum ein Tag, an dem uns nicht irgendeine tragisch-komische Neuigkeit daran erinnert, dass er tatsächlich zum 45. Präsidenten der USA gewählt wurde. Wie konnte das passieren? Bei der Beantwortung dieser Frage kommt man um ein Thema nicht umher: Trumps Umgang mit den „Sozialen“ Medien. In dieser dreiteiligen Serie soll der Zusammenhang von Politik und digitalen Medien am Beispiel des US-Wahlkampfs 2016 besprochen werden.
“Did We Create This Monster?”:
Die Verbindung von Social Media und Politik
Am Morgen nach der US-amerikanischen Wahlnacht wirkten die Arbeitsräume des Internetkonzerns Twitter in San Francisco wie leergefegt. Viele der Angestellten waren, erschlagen von den Ereignissen der letzten 24 Stunden, zu Hause geblieben und das sonst so geschäftige Treiben im Hauptsitz der Firma schien für einen Tag zum Erliegen zu kommen. Ein Angestellter beschrieb die Leute aus der Firma, die trotzdem zur Arbeit kamen, als verzweifelt, fast schon depressiv. Viele hätten sich gefragt, inwiefern ihre eigene Arbeit bei Twitter mit den Veränderungen der politischen Diskussionskultur in Amerika zu tun hatte. Mit Blick auf den gewählten Präsidenten Trump hätten sich viele gefragt: „Did we create this monster?“ [2]. Während Twitter natürlich nicht allein für Trumps Wahlsieg verantwortlich gemacht werden kann, spiegelt sich hier doch eine aktuelle und zentrale Frage unserer Gesellschaft wider: Welche Rolle spielen digitale Medien und das Internet im Allgemeinen für unsere Weltsicht, unsere Wahlentscheidungen, unsere politische Führung? Trump sagte in einem Interview einige Tage nach der Wahl tatsächlich auch selbst, dass „tech plattforms“ wie Twitter ihm geholfen hätten, die Wahl zu gewinnen [3]. Schon lange vor der Wahl betonte er in mehreren Tweets seine rhetorischen Qualitäten und schrieb, dass Viele ihn als den weltweit besten Autoren von 140 Zeichen-langen Sätzen bezeichnen würden [4]. Um den Erfolg Trumps, der ihn zu dieser bescheidenen Selbsteinschätzung verleitet hat, verstehen zu können, müssen wir erstmal über uns selbst – die Konsumenten digitaler Medien – sprechen.
User, Produzenten, Wahlhelfer
Unsere eigene Rolle als User von „sozialen Medien“ ist enorm wichtig für den digitalen Wahlkampf geworden. Man könnte zugespitzt sagen: Wir selbst als User, egal ob politische Gegner oder Sympathisanten, haben ihm zum Sieg verholfen. Denn Twitter, Facebook, Instagram, YouTube & Co. haben unseren Medienkonsum um Etwas erweitert, das in Zeiten des klassischen Rundfunks noch kein Thema war: Das direkte Teilen, kommentieren und (Dis-)Liken von Inhalten. Wir Nutzer bestimmen im Internet mit, welcher Content viral verbreitet wird, wen der Shitstorm überrollt und welcher Beitrag in der bedeutungslosen Masse von Inhalten des WorldWideWebs verschwindet.
„Unser Internet“ verwandelt dabei durchgehend seine Erscheinung und seine Regeln. Mit diesen virtuellen Veränderungen wandelt sich auch unsere „reale Welt“ – denn wir tragen das, was wir über diese digitalen Kanäle erfahren, mit uns, lassen unser Weltbild davon prägen und werden davon beeinflusst [5]. Um zu verstehen, warum Trump von unseren Reaktionen profitiert, müssen wir die Verbindung von Contentverbreitung und unserem Verhalten im Internet zunächst verstehen: Verschiedenste Internet-Plattformen sind mittlerweile zu unseren täglichen Begleitern geworden und versorgen uns mit Informationen, Videos, Rezepten, DIY-Guides… oder eben Gesprächsstoff. Twitter hat dabei eine Sonderfunktion. Wegen seines Zeichenlimits und wegen den Hashtags als eine Art Kategoriesystem für gesellschaftliche Diskussionsthemen (ein Beispiel wäre die #MeToo-Debatte) können besonders genau bestimmte Dinge angesprochen werden. Die Verbreitung dieser oft parolenartigen Tweets umgeht dabei die „Nachrichtenwert-Hürden“ des klassischen Journalismus [6], denn Alle können Tweets lesen oder verbreiten. Um viele Menschen zu erreichen müssen sie bloß oft genug und über möglichst viele verschiedene Kanäle von uns Usern geteilt werden.
Social News und Trump News
Auf sozialen Plattformen geteilte Nachrichtenbeiträge erfahren dabei eine immer höhere gesellschaftliche Akzeptanz. Diese sogenannten „Social News“ werden für die tägliche Information der Bevölkerung überall auf der Welt immer wichtiger [7]. Welche Nachrichten sich in diesem Zusammenhang besonders gut und schnell verbreiten, entscheiden dadurch wir User und nichtmehr irgendwelche Chefredakteure von Zeitungen oder Nachrichtensendungen – was ja, könnte man zunächst annehmen, etwas Gutes ist. Man kann diese Entwicklung aber auch kritisch sehen, weil wir uns fragen müssen, warum welche Informationen bei uns ankommen.
Donald Trump postete im Jahr 2016 mehr als zehn Tweets pro Tag, in intensiven Wahlkampfphasen tweetete er zum Teil sogar über 30 Mal an einem Tag. In diesem Jahr schaffte er es außerdem, die Zahl seiner Follower auf 18,2 Millionen zu verdreifachen [8]. Das funktionierte auch, weil er zu Beginn seiner Kampagne dafür gesorgt hat, dass man um das Lesen seiner Tweets nicht mehr herum kam – ob man wollte oder nicht. Er hat zum Beispiel seinen Mitstreiter im Wahlkampf und zukünftigen Vize-Präsidenten Mike Pence über Twitter benannt und nicht den klassischen Weg einer Pressekonferenz gewählt. Die Exklusivrechte an „seiner Story“ wurden so den großen Medienhäusern entzogen. Sie mussten während des gesamten Wahlkampfs, wie jeder andere User und ohne die Möglichkeit ihn direkt zu fragen oder zu kritisieren, sein Profil aufrufen um zu erfahren, was Trump gerade so für wirre Gedanken durch den Kopf gingen. So wurden diese Medienhäuser bei dem Versuch, mit seinen Tweets Schritt zu halten, unfreiwillig selbst zu Komplizen, zum Verstärker für sein Social Media-Sprachrohr. In Amerika sprach man deshalb von „Trump tweets and the media chases“ [9]. Dabei leugnete er selbst nie, dass Twitter ihm half, die angeblich unehrlichen Medien zu umgehen [10]. In seinen so verbreiteten Storys gab er seinen politischen und journalistischen Gegnern beleidigende und einprägsame Spitznamen, die in unseren Köpfen haften blieben wie der catchy Werbeslogan eines Schokoriegels. So wurde etwa aus der New York Times in seinen Tweets, und noch bis heute in öffentlichen Interviews und Fernsehbeiträgen [11] die „Failing New York Times“, die Presse allgemein wurde zum Volksfeind, dem „Enemy of the People“, und Hillary Clinton widmete er im Wahlkampf den Hashtag #CrookedHillary. Da verwundert es nicht, dass er in weiteren Liebesbekundungen für Twitter immer auch über die Presse herzog: „I love Twitter… it’s like owning your own newspaper–without the losses” [12]. Durch solche Aussagen wurden die Verhältnisse durch Trump eindeutig geklärt: Die Presse ist hier ein korrupter Haufen käuflicher Journalisten, die nur zu Gunsten ihrer Auftraggeber arbeiten – und trotzdem Geld kosten, statt einen Gewinn zu erwirtschaften. Twitter hilft Trump so nach eigener Aussage dabei, selbst zum Chefredakteur zu werden, ohne dafür ein ganzes journalistisches Unternehmen finanzieren zu müssen. Diese neue Art, sich an die Öffentlichkeit zu wenden, macht etwas mit uns als (un)freiwilliges „Publikum der Trump-Show“. Was genau sich dabei für uns und den Politikbetrieb in der Welt verändert, besprechen wir im zweiten Teil dieser Serie.
Hendrik Meyer
Bildquelle: KROSSE/Hendrik Meyer
Quellen/Links