Das Bremer Hip Hop Label Erotik Toy Records kommt ohne jegliche Gangster Attitüde aus und begeistert stattdessen mit guter Musik in entspannter Atmosphäre. Sein, statt nur so zu tun, beim tanzen schwitzen statt in der Ecke zu sitzen, tolerieren statt ignorieren…
Der Ort…
Da muss man erst von Bremen nach Hannover pilgern, um das Bremer Label Erotik Toy Records und seine „most sensitive Rapcrew alive“ kennenzulernen und einige bekannte Gesichter aus der Wahlheimat wiederzusehen. Für das Hip Hop-Label zählen unterschiedliche Lebensentwürfe genauso wenig wie Genregrenzen. Es ist sozusagen alles erlaubt. Und das spürt man deutlich, wenn man das Osco betritt. Niemand wird schief angeguckt. Auch wenn man, wie in meinem Fall, völlig over- oder underdressed – falls hier überhaupt möglich – ist. Menschen aus unterschiedlichsten Altersgruppen und „Szenen“ treffen kleckerweise in der Location ein, die genauso perfekt zum Event passt, wie der positive Vibe, den alle Beteiligten – Publikum und Künstler – ausstrahlen. Erstere kann man von Letzteren nämlich gar nicht unterscheiden. Deshalb war es eine Überraschung sie später auf der Bühne wiederzufinden, nachdem sie sich zuerst unter den Tanzenden und Mitgrölenden tummelten und ihre Kollegen genauso feierten wie das Publikum.
Das Platzprojekt probiert einen neuen Typ als Veranstaltungsort aus. Das heißt, das Publikum entscheidet über die Veranstaltungen: Wer eine gute Idee hat, kommt vorbei und stellt sie vor. Wenn’s zum Konzept passt, wird die Idee gemeinsam umgesetzt. Ein Raum für Experimente und Formate jeglicher Art also. Damit bietet es die ideale Plattform für ein Musiklabel, das sich Raum für Freiheiten schafft. Jeder macht, was er will und kann.
Dass das Kollektiv aus Bremen ins Hannoveraner Programm passt, steht demnach außer Frage!
…spiegelt das Programm.
Das obligatorische selbstgesprayte Banner, das das Label visuell ankündigt, ist der erste Vorbote der unkonventionellen „Labelpolitik“. Die Jungs von ETR lassen sich nicht kategorisieren. Mit Einflüssen aus Dancehall, Grime, Baile Funk, Trap, RnB, Schlager, Vaporwave, Oldschool Beats, Eighties-Kitsch und Cloudrap, hat jeder Künstler sein eigenes Sound-Profil. Sie alle verbindet jedoch der Rap, auch wenn der sich mal in deutschen, mal in englischen Texten, mal laut, mal eher leise, äußert. Mal an aktueller Musik, mal an der Neuen Deutschen Welle orientiert. Die musikalischen Einflüsse sind ebenso facettenreich, wie die Range der Künstler selbst. Denn die verschiedensten „Szenen“ des Publikums spiegeln sich im Label selbst. Genau das macht dessen Charme aus: Hier sind Unterschiede kein Grund für Feindlichkeit zwischen den verschiedenen Gruppen. Es herrscht eine grundlegende, fast schon vorausgesetzte Akzeptanz. Kein Einheitsbrei – sowohl musikalisch als auch im Publikum.
ETR geht alles etwas entspannter an. Das macht sich auch bei dessen Auftritten bemerkbar. Die Abläufe sind etwas unstrukturiert, die Musiker ein wenig verpeilt. Die Technik will nicht so, wie sie soll und die Jungs haben teilweise etwas mit dem Sound zu kämpfen.
Das Chaos wird einfach gekonnt mit Witzen und amateurhaftem Charme überspielt. Es entstehen keine langweiligen Wartezeiten, man kommt sich eher vor, wie bei einem Show-Mix aus Comedy, Rap und Erzähleinlagen aus dem Alltag der Künstler, der im Übrigen auch die Grundlage ihrer Texte ist.
Die Labelnacht scheint unter dem Motto „Wenn, dann richtig!“ zu stehen. Da muss dann eben der Song noch mal von vorn begonnen werden, wenn der Produzent Juicy Florida der Meinung ist, der Bass sei nicht richtig zu hören oder ein Mikrofon nicht laut genug. Die Jungs sind vor allem eins: Absolut authentisch und dass sie die ganze Angelegenheit nicht allzu ernst nehmen, macht sie umso sympathischer. Yung Meyerlack, Skinnyblackboy mit Produzent Florida Juicy, der die kurzen Pausen der Nacht mit seinem Können als DJ füllt, und das Duo Tightill & Doubtboy sorgen dafür, dass man alle Konventionen eines Rap-Konzertes über den Haufen wirft und sich von dem lässig coolen Rap mit emotionalen Texten der anderen Art mitnehmen lässt. Nicht alle Mitglieder können dabei sein: Jay Franco und Shamel sind verhindert. Die beiden ergänzen das vielfältige Label um zwei weitere junge Künstler. Die Andersartigkeit der einzelnen Rapper hindert allerdings niemanden an musikalischen Kollaborationen. Tightill beschreibt die Musikszene in Bremen als ziemlich unkompliziert. Es gibt keine Altersgrenzen oder Genreschubladen. Die Szene ist echt, es geht nicht um Sehen und Gesehen werden, sondern um das ernsthafte Interesse an der Musik.
Dass sich das Label nicht mit Gangster-Getue identifiziert, hat laut Tightill nichts mit Provokation oder Parodie zu tun. Die emotionalen Themen sind das, was die Jungs beschäftigt.
DIY-Rap ist im Kommen, die Künstler dabei völlig frei. Interpretationsspielraum auf Seiten der Musiker und des Publikums. Die Jungs von Erotic Toy Records nehmen sich selbst nicht so wichtig. Das ist, was den Sound des Labels ausmacht: Frei und unvoreingenommen Musik machen. Kein vorgefertigtes Image bedienen, alles wird offengelassen, was passiert, passiert.
Das ist auch der Grund, warum die Labelnacht auch nach vorgesehenem Ende kein Ende finden kann. Während sich Tightill und Co. schon mal aus dem Staub machen, hat Florida Juicy immer noch Lust das Publikum weiter als DJ zu unterhalten und wird zeitweise von Yung Meyerlack abgelöst. Irgendwann fallen mir dann aber doch die Augen zu und ich trete die Heimreise an, während im Hintergrund ein wilder Musikmix die Labelnacht ausklingen lässt…
Eleni Maurischat
Bildquelle: KROSSE