He did it again! Tarantino zeigt sich ganz begeistert vom wilden Westen und liefert mit „The Hateful Eight“ seinen zweiten Genrebeitrag ab. Was der so kann und was es mit der so genannten „Roadshow-Version“ auf sich hat, lest ihr hier!
Der Achte, den es um ein Haar nie gegeben hätte!
Eigentlich ist es ja nichts Neues, dass im Voraus eine Menge Wirbel gemacht wird, wenn sich ein neuer Tarantino-Film ankündigt. Doch wenn man der Berichterstattung glauben schenken darf, hätte es „The Hateful Eight“, den achten Film des Kultregisseurs, um ein Haar nicht gegeben. Der Grund hierfür war ein ärgerlicher Leak des ursprünglichen Drehbuchs. Nach einigem Hin und Her hat sich Tarantino glücklicherweise doch noch einen Ruck gegeben, das Skript überarbeitet und im Dezember letzten Jahres (Deutscher Kinostart war der 28.01.2016) seinen nunmehr zweiten Western an den Start gebracht – wobei Genre-Klassifikationen bei einem Kaliber wie Tarantino natürlich mit Vorsicht zu genießen sind. Denn meist schwurbelt sich der Regisseur aus allen verfügbaren Schubladen die wildesten Zutaten zusammen, um seinen Anhängern einen höllisch blutigen Cocktail aufzutischen. Erwartungsgemäß ist das auch bei „The Hateful Eight“ nicht anders, auch wenn hier der Schwerpunkt zunächst – mehr noch als sonst – auf den perfiden Dialogen liegt. Im Finale lässt Tarantino in gewohnter Manier das Blut spritzen. Dann steht der Film den Gewalteskalationen aus Inglorious Basterds oder Django Unchained in nichts nach! Und trotzdem schiebt „Tarantinos Achter“ über die gesamte Spiellänge von etwas über drei Stunden im Vergleich eine verhältnismäßig ruhige Kugel.
Worum geht’s?
Der ehemalige Bürgerkriegskämpfer und derzeitige Kopfgeldjäger Major Marquis Warren (Samuel L. Jackson) ist mit drei Leichen im Gepäck auf dem Weg nach Red Rock, um seine Prämie einzustreichen. Ein starker Schneesturm rafft jedoch sein Pferd dahin, und so stoppt er eine fahrende Kutsche, um nicht auch noch dem Kältetod zu erliegen. Drin sitzt „Der Henker“ John Ruth (Kurt Russel), seines Zeichens ebenfalls Kopfgeldjäger – mit seiner 10.000 Dollar-Gefangenen Daisy Domergue (Jennifer Jason Leigh). Er ist ebenfalls auf dem Weg nach Red Rock, um seine Beute dort an den Galgen zu bringen. Unterwegs gibt es einen weiteren notgedrungenen Zwischenstopp, bei dem noch Chris Mannix (Walton Goggins) hinzusteigt, der vom Schneesturm ebenfalls überrascht wurde und vorgibt, neuer Sheriff von Red Rock zu sein. Auf dem Weg an ihr Ziel macht die Truppe Halt in „Minnie’s Haberdashery“ (Minnie’s Miederwarenladen), wo sie auf vier weitere Reisende treffen. Schnell spitzt sich die Situation zu und längst nicht jeder scheint zu sein, wer er vorgibt…
Ein Film – zwei Versionen!
Bereits im Vorfeld wurde bekannt, dass Tarantino eine zweifache Kinoauswertung plant. So solle es neben der regulären Fassung auch eine 20 Minuten längere Version geben, die nur in ausgewählten Kinos mit entsprechendem Projektor aufgeführt wird und ein außergewöhnliches Filmerlebnis versprechen soll. Das Konzept passt zum Filmliebhaber Quentin Tarantino natürlich wie die Faust aufs Auge – die Zuschauer sollen seinen Film so sehen, wie die Leute früher Ben Hur oder Metropolis zu Gesicht bekamen. Ob der Fassungsunterschied für den Normalbesucher letztendlich einen sichtbaren Unterschied macht, wollte ich selbst herausfinden.
Ich habe den Film also in beiden Fassungen geschaut. Für die 70mm Roadshow-Version bin ich mit meiner Freundin per Flixbus nach Hamburg gefahren. Dort wurde „The Hateful 8“ im Savoy Filmtheater gezeigt – ein Kino mit nur einem Vorführsaal, der aber von respekteinflößender Größe und Ausstattung ist: Ledersitze mit verschiebbarer Beinlehne, ein nostalgisches Foyer mit Longdrink Bar (ich habe zum Film einen Gin Lemon auf Eis genossen), roter Teppich und eine sehr große Leinwand. Bei Einlass wurde jedem Zuschauer ein Programmheft in die Hand gedrückt und vor Filmbeginn gab es eine musikalische Ouvertüre von Ennio Morricone – und den ersten WowMoment. Das war schon sehr stimmig, als sich zu den letzten Klängen der Vorhang der Leinwand öffnete und das filmische Intro abgefahren wurde. Zu einem wirklich atmosphärischen, irgendwie unheilverkündendem Titelscore wird da eine verschneite Christusstatue ins Bild gerückt und ausgiebig umkreist. Und sofort wird man sich der erhofften Wirkung von Tarantinos 70mm-Streich bewusst. Die panoramahaften Aufnahmen sind atemberaubend. Die Einstellungen kommen einem Gemälde gleich. Das ist Kino in seiner ursprünglichen Form und es macht wirklich Spaß, sich auf diesen Retro-Ritt einzulassen.
In der Originalfassung – das ist meine Meinung nach Sichtung beider Fassungen – ziehen die Dialoge den Zuschauer noch etwas stärker in ihren Bann. Trotzdem ist auch die Synchronisation als sehr gelungen zu bezeichnen! Die Ensemble brilliert – vielleicht mal abgesehen von Mexikaner Bob (Demián Bichir), dessen Rolle doch eher slapstickhaft und albern angelegt ist. Auch Channing Tatum und Michael Maden spielen durchaus gut, aber eben nicht denkwürdig. Der Rest des Casts jedoch agiert auf Top-Niveau. In vielen Reviews wird vor allem die Darstellung von Jennifer Jason Leigh gelobt. Vollkommen zu recht! Mit lobenswertem Mut zur Hässlichkeit spielt die Dame ihre zahlenmäßig überlegenen, männlichen Kollegen in mehr als einer Szene lässig an die Wand. Doch auch Samuel L. Jackson beispielsweise macht unglaublich Spaß und bekam zudem eine herrlich bösartige Flashbacksequenz auf den Leib geschneidert. Tim Roths Spiel erinnert zwar an Christoph Walz, doch bleibt dabei eigenständig und gefällt durch joviale Verschmitztheit. Und Kurt Russel als bärenhafter Hüne ist ohnehin eine sichere Bank.
Abgesehen von einer geschickt platzierten Intermission nach dem ersten Schusswechsel ist mir zwischen beiden Fassungen aber kaum ein inhaltlicher Unterschied aufgefallen. Und auch das Bild der regulären Kinofassung macht Spaß. So war es für mich letztendlich mehr das Gesamterlebnis in Kombination mit der Originalsprachfassung, welche die Roadshow-Version für mich zum stärkeren Kinoerlebnis qualifizierte. Ein vergleichbares Event bietet sich einem eben nicht alle Tage. Doch auch in seiner regulären Kinofassung bietet der Film das Tarantino-Feeling in Reinkultur. Wie in der Einleitung erwähnt wird die Filmhandlung über weite Strecken allein durch die Entwicklung der Dialoge vorangetrieben. Diese Disziplin beherrscht Quentin Tarantino nun mal wie kein Zweiter. Und die im Kontrast beinahe schon absurden und oftmals auch abrupten Gewaltspitzen verschaffen dem Geschehen eine skurrile und kultige Note. Letztendlich kennt man das Phänomen als Fan des Regisseurs und sollte als solcher auch vom Achten (und voraussichtlich drittletzten) Film begeistert werden. Wer sich mit den Werken des Regisseurs eher schwer tut, könnte das Geduldsspiel mit dem Zuschauer allerdings auch als ermüdend und langatmig erachten. Ich konnte jedoch auch nach drei Stunden Laufzeit gar nicht genug davon bekommen und hätte mich auch gefreut, wenn das Geschehen noch zwei Stunden weitergegangen wäre! Es gibt Running Gags (eine schwer verschließbare Tür und der Punchingball-artige Umgang John Ruths mit seiner Gefangenen gehören dazu), knackige One-Liner und natürlich die üblichen Referenzen des Regisseurs auf sein eigenes Werk (abgesehen von einigen Zitaten werden z.B. natürlich nur Manzana Rojo – Red Apple Cigarettes – geraucht).
Fazit
Tarantino liefert mit seinem zweiten Western nach „Django Unchained“ ein dialoglastiges Kammerspiel par Excellence ab. Der Cast ist bestens aufgelegt, der Soundtrack meisterhaft dank Komponisten-Legende Ennio Morricone. Kurzum ein weiterer Meilenstein in Tarantinos starker Filmographie, die bisher (wenn, dann) nur wenige Schwachpunkte aufweist – und sein bisher wohl politischstes Werk! Ein klares Statement gegen die Rassendiskriminierung lässt sich dem Film auf jeden Fall entnehmen! Trotz aller Begeisterung fände ich es allerdings sehr erfreulich, wenn Tarantino mit seinem neunten Film nun ein anderes Genre in Angriff nehmen würde.
Von Marian Rossol
Bildquelle: Universumfilm