Seit fünf Jahren baut sich Tascha Schnitzler ihren Traum der Selbstständigkeit auf. Doch wie schafft sie es, das Familienleben und die Karriere unter einen Hut zu bekommen? In einem Interview mit KROSSE erzählt sie von den Vorurteilen und Steinen, die ihr als Frau schon in den Weg gelegt wurden.
Das Baby weint. Die ersten Zähne kommen. Es möchte nicht im Arm gehalten werden, aber auf dem Boden liegen möchte es auch nicht. Also wird es auf dem Schoß hin und her geschaukelt. Erst auf dem linken Bein, dann auf dem rechten. Nase putzen, füttern, bespaßen. Nebenbei versucht sich die Geschäftsführerin und Gründerin des Bremer Start-Ups Raumperle auf das Gespräch vor ihr zu fokussieren. Während ihre Mitarbeiter:innen per Online-Konferenz die Struktur des Tages festlegen, wird sie von dem süßen Kinderlachen abgelenkt. Zwei kurze Zwischenfragen kann sie stellen, dann reckt sich eine kleine Kinderhand ins Bild und versucht die Brille zu erreichen. Schließlich kann sie die Kleine auf dem Spielteppich ablegen. Nun kann sich Tascha Schnitzler wieder konzentrieren. Hört was ihre Kolleginnen sagen und kann selber Fragen und Anregungen einwerfen.
Die Genese einer Geschäftsidee
Das Jahr 2011 ordnet die junge Frau als den Beginn ihrer Idee ein. Damals wurde sie aufgrund ihrer guten Vernetzung in Bremen und Umgebung immer wieder gefragt, ob sie nicht Räume für die große Weihnachtsfeier, das nächste Meeting oder das Teamevent wüsste. Als sie dann auf die Suche nach solchen Räumen ging, wurde schnell klar, dass das gar nicht so einfach ist. Es gab schlicht und ergreifend keine übersichtliche Plattform, auf welcher man die Räume hätte vergleichen und auf seine Bedürfnisse anpassen sowie filtern können. Mit der Zeit formierte sich dieser Gedanke und wurde immer klarer: Eine Suchmaschine nur für Räume musste her! „Treibend war wirklich, dass ich 2015 irgendwie mal was ausprobieren wollte.“ Ein Jahr später ließ sich dieser Gedanke schließlich in die Tat umsetzen und die Raumperle GmbH wurde gegründet. Eine der Schwierigkeiten, die die Powerfrau im Nachhinein sieht: die Bürokratie. Ein Unternehmen zu gründen, bedeutet nicht gleich Gründerin zu sein, dahinter steht ein langer Prozess. Ganz alleine musste sie sich durch den Urwald bestehend aus Papierstapeln, Behördengängen und Besuchen bei Ämtern und Notaren kämpfen, wobei nicht mal das Internet mit seinen ganzen How To´s eine Hilfe darstellte. Lachend sagt sie über sich selbst, dass sie das Steuerrecht am Anfang einfach nicht begreifen wollte.
Doch schließlich war der Sprung geschafft.
Erst wurde Bremen erobert, dann Norddeutschland und nun geht es darum, das Unternehmen in ganz Deutschland bekannter sowie tragbar zu machen. Besonders Raumanbietende sollen gefunden und von der Idee überzeugt werden.
Mit den immer mehr werdenden meist weiblichen Mitarbeiter:innen und Praktikant:innen wächst nicht nur ihr Unternehmen, sondern auch sie selbst. Besonders Taschas Selbstbewusstsein und das damit verbundene Auftreten haben sich in den letzten Jahren stark gewandelt, erzählt sie. Damit meint sie das Verständnis für die eigene Rolle, die Anerkennung der eigenen Fähigkeiten und das Eingeständnis der individuellen Lücken.
Doch ihr wurden auch Steine in den Weg gelegt. Ihr fallen vor allem Vorurteile ein, die ihr im Laufe der Zeit begegneten. Nicht zuletzt wurde ihre weibliche Mitarbeiterschaft als ein durchgehendes Kaffeekränzchen bezeichnet, welches nur reden und nicht arbeiten könne. Auch wurde sie zu Gesprächen eingeladen, bei welchen sie ganz klar die Quotenfrau in der Runde bildete und nur wenig zum eigentlichen Thema beitragen konnte. Am meisten ärgert sie, wenn sie sich oder ihr Team nicht ernstgenommen sieht. Und das geht teilweise wirklich weit: So wird von ihrem Team erstellte Werbung teilweise stigmatisiert und sexistisch ausgespielt, sodass die Zielgruppe verfehlt und die Videos nicht zum wachsenden Kundenstamm beitragen konnten. „Wir haben ja einen Inhalt, wir sind ja nicht irgendwelche Hüllen“ beschreibt Tascha Schnitzler die Problematik der adrett gekleideten Unternehmerfrau.
Erschwerend kommt hinzu, dass Frauen nun mal in den meisten Fällen die Kinder gebären. Eine Frau, die eine hohe Position in einem Unternehmen einnimmt, in einem Vorstand sitzt oder sogar Gründerin ist, bekommt nicht pauschal Mutterschutz oder Elternzeit. Bei Tascha Schnitzler passte die Gesellschaftsstruktur und sie konnte noch während der Anfangszeit ihres Unternehmens ein zweites Mal Mutter werden, doch sie weiß, dass dieses Glück nicht allen Frauen gewährt ist und bedauert dies zutiefst.
Ihre erste Geburt gab ihr den Mut
Aufgrund ihrer ersten Geburt fand sie die Kraft eine Gründung anzustreben. Dieses Schlüsselereignis markierte den Zeitpunkt, an welchem Tascha Schnitzler ihre Stärke das erste Mal spürte und von da an einzusetzen wusste. Sie konnte so viel mehr schaffen, als sie vorher von sich vermutet hätte. „Ohne den passenden Partner geht es nicht.“ Das betont die Gründerin Tascha Schnitzler. Wie in anderen Partnerschaften auch, muss man ein Team sein, die Aufgaben aufteilen und Kompromisse eingehen. Und genau das sind sie, ein Team. Dank dieser Partnerschaft konnte Tascha sich ausprobieren, alles Mögliche testen und ein eigenes Start-Up Unternehmen für Online-Marketing gründen.
Das schönste ist für die zweifache Mutter ist die Möglichkeit sich selbst und verschiedene Dinge ausprobieren zu können. Einfach mal zu machen. Auch mal falsch liegen. Denken und planen zu können, ohne gleich ein Tabu vor Augen zu haben. Außerdem ist sie sehr dankbar für ihr Umfeld, für Freunde und Familie, für ihre Mitarbeiterinnen und für viele andere liebe Menschen.
Ihre Essenz aus dem ganzen: Jeder Mensch muss mutig bleiben und sich etwas trauen. Offenbleiben und die Scheuklappen immer wieder abnehmen sieht sie als die Grundvoraussetzung für ein erfülltes Leben. Am Ende muss jede:r auf das eigene Leben zurückblicken und dieses glücklich betrachten können. Dabei geht es nicht darum, die höchste Position bekommen oder das meiste Geld verdient zu haben, sondern sich etwas getraut und den Sprung gewagt zu haben. „Für mich muss es einen Sinn ergeben“ sagt Tascha und bringt es damit auf den Punkt. Nur wenn es für einen selbst Sinn ergibt, kann es zu etwas großem werden.
von Julia Seidel
Foto: @blickwinkel.bremen (Instagram)