Wie das Dehnen vorm Sport, gehört das Spektrum vors Dockville. Eine Geschichte über ein erlebnisreiches 1-Tages-Festival voll Sonne, Acts und Musik, das jeden heiß auf mehr macht.
Es ist 11:33 Uhr am zweiten August. Wir stehen am Bremer Hauptbahnhof, Gleis 13. Der Metronom soll in drei Minuten Richtung Hamburg fahren. Wir steigen also ein, steigen am Hauptbahnhof wieder aus, trinken hier, trinken da. Wir treffen uns mit weiteren Freunden. Es ist die Hölle los. Heute finden neben den „Cruise Days“ und dem „Blue Port“ auch noch das erste St. Pauli-Spiel der Saison und der Christopher-Street-Day statt. Also ausgelassene Schwule, Lesben, Trans- sowie Intersexuelle. Allen voran jedoch die Schwulen, die überschwänglich ihre sexuelle Orientierung feiern. Wir versammeln uns neben etwas eingeschüchtert wirkenden Punks und warten auf die Nachzügler. Mit der S-Bahn fahren wir dann nach Wilhelmsburg. Das Alkoholverbot in Hamburgs öffentlichen Verkehrsmitteln scheint außer Kraft gesetzt: Wir verpassen den Shuttle-Bus und laufen in Schlangenlinien Richtung Festivalgelände.
Dort angekommen stellen wir uns den Sicherheitsmenschen, die uns nach Waffen und Drogen durchsuchen. Nach etwa einer halben Stunde sind wir alle auf dem Gelände, wenn auch mit geringem Gewichtsverlust. Einem Freund wurde Marihuana im Wert von 10€ abgezogen – den Rest durfte er behalten. Auf der offiziellen Website des Spektrums kann man nachlesen, dass die Veranstalter nicht nur aufgrund der Gesetzgebung Drogen nicht tolerieren können, sondern weil sie da auch einfach „überhaupt keine Lust zu haben“. Aha.
Doch zurück zum Spektrum. Das kleine 1-Tages-Festival besteht seit 2012 und findet auf dem Gelände seines großen Bruders des MS Dockvilles statt. Zwischen alten Industrieanlagen, Kanälen, Brücken und der Elbe liegt eine Insel mit zwischen Bäumen verteilten Bühnen und Bars. Ein grandioses Ambiente. „Das besondere“, so Wikipedia „ist die Kombination von Musik und bildender Kunst.“ Mittlerweile, wenn ich richtig verstanden habe, wird die Musik jedoch von der Kunst getrennt. Dafür hätte man noch einmal ein paar Euro drauf legen müssen, was wir aber schon für die Spektrum Karte getan hatten.
Wir laufen also übers Gelände, die Sonne scheint unaufhörlich, gefühlte 30 Grad, die Bässe wummern, und mein Trommelfell vibriert. Herrlich.
Stages
Die teilnehmenden Musiker wurden im Vorfeld u.a. auf Facebook veröffentlicht und teilen sich auf drei Schauplätze auf. Der „Maschinenraum“ stellt die Hauptbühne mit den Headlinern wie SSIO, Haftbefehl, Neneh Cherry und XXYYXX dar. Im „Zelt“ sind Hip-Hop-Größen wie Psaiko.Dino und Tourist zu finden und die „Red Bull Music Academy Stage“ glänzt mit DJs, die mir namentlich nicht so bekannt waren.
Wir hatten beschlossen nicht mit der „IchwillfürmeinGeldjetzt-möglichstvielgebotenkriegen“-Einstellung einzusteigen, also ließen wir uns anfangs zwanglos von der Musik von Bühne zu Bühne tragen. Also abchecken, was läuft: Das Zelt war dem Eingang am nächsten, doch die Akustik war an den äußeren Rändern grausam und der Weg in die Mitte mehr als beschwerlich. Die Energy-Drink gesponserte DJ-Bühne wurde derweil vom Berliner Thomalla bespielt, jedoch schien es, als würde er in seiner eigenen Sphäre schweben. Die Bühne war leer, das Publikum größtenteils teilnahmslos. Als ein Freund eine herausfordernde Handbewegung macht, beschwichtigte er dankend. Wie soll man das beschreiben?
Die Musik ist tragend, schön, aber sie macht Lust auf mehr – doch mehr gibt sie einem nicht. Sie ist schön, weil sie ein Versprechen enthält, und ist nervend, weil sie dieses nicht einhält. Zwei Bier später fand ich mich im „Maschinenraum“ vor der großen Bühne wieder.
Acts
Erwähnenswert war Karate Andis „Pilsonator“-Aktion. Groß angekündigt verteilte er Bier im Publikum, was jedoch, dadurch, dass die Veranstalter keine Dosen auf dem Festivalgelände akzeptieren, in Bechern ausgeschüttet, auf die vorderen Reihen begrenzt war. Die Mehrzahl des Publikums war nun jedoch angefixt – und unbefriedigt zurückgelassen worden. Also waren von nun an die Pausen zwischen den Liedern mit den bemüht witzigen Ansagen zu kommenden Tracks von grölendem Biergefordere überschattet. Karate Andi löste das Problem schließlich, indem er die Becher in die Menge schmiss. Das Ergebnis war eine feucht fröhliche Bierdusche und maximal halbvolle Becher.
SSIO heizte dann ordentlich ein und verfolgte ein Ritual, wohl begründet im Video zu „Unbekannter Titel“. Das ging gut ab. Genauso wie STWO auf der Red-Bull-Stage. Dort spielte er wirklich treibende, lusterfüllte Musik. Er ging auf das Publikum ein und genehmigte ihm auch eine Verschnaufpause, wenn es nötig war. Verschwitzt stand man da und dachte sich: „Es hat sich gelohnt.“ Und mit betrunkenem Kopf lobhuldigte man ihm überschwänglich.
Haftbefehl, der mitten im Set von STWO auf der Hauptbühne anfing, war dagegen eher enttäuschend. Naja, was will man erwarten. Echt gut, und, wenn ich richtig informiert bin, Spektrums einzige Frau, war Neneh Cherry, die zusammen mit der 2-Mann-Band Rocketnumbernine auftrat. Anfangs war es vor der Bühne eher leer, vielleicht auch, weil das Publikum von Haftbefehl nicht unbedingt Neneh Cherry hört. Sie verstand es aber, Stimmung zu machen, und keine 20 Minuten später drängten sich die Leute nach vorne. Auch wusste sie, mit den Veranstaltern (oder deren Gefolgsleuten) umzugehen. Während Karate Andi abrupt aufhörte und sein DJ den angefangenen Beat mitten drin stoppen musste, spielte sie seelenruhig noch zwei oder drei Songs, während an der Seite schon ungeduldige Auf-Die-Armbanduhr-Tipper warteten.
Hudson Muhawke und XXYYXX machten den Abschluss nahezu perfekt, auch wenn ich die teilweisen Totalaussetzer für DJs dieser Klasse schon peinlich finde. Da war zeitweise echt alles aus, mehrere Sekunden lang. Wären die Lichter nicht alle aufs Publikum gerichtet und damit der DJ nicht nahezu unsichtbar gewesen, man hätte den Kopf knallrot glühen sehen können. Schwöre.
Trotzdem: DANKE SPEKTRUM, du machst Bock auf mehr!
Mehr zum MS Dockville
Paul Fenski und Lukas Lorenz