Unsere Autorin ist großer Fußballfan. Doch warum fühlt sie sich als Frau im Stadion oft unsicher, wenn es doch eigentlich nur um den Sport gehen sollte?
Wochenende in Fußball-Deutschland – vor der Pandemie, wohlgemerkt. Viele Menschen sind auf dem Weg in die Stadien ihrer Lieblingsmannschaft. So auch an diesem Sonntag, 18:00, der SV Werder Bremen trifft auf den VFL Wolfsburg. Hochstimmung bei den Fans. Tausende Auswärtsfans sind angereist – so auch ich, als Teil einer Minderheit. Wenn man sich so umguckt, überall Männer. Vereinzelt auch ein paar Frauen, die mit ihnen unterwegs sind.
Anfahrt zum Stadion der Wölfe
Mein Auto haben wir am VW Tor Nord geparkt, um dann mit dem Shuttle Bus weiter Richtung Stadion zu fahren. Bei der Planung kam mir das schlau vor. Doch jetzt, wenn ich vor dem Bus stehe, schon gefüllt mit einigen Fans, überkommt mich ein komisches Gefühl. Ich verstärke den Griff um die Hand meines Freundes. Doch es ist noch früh – das Spiel beginnt erst in 2 Stunden – und der Bus ist nicht überfüllt. Wir finden leicht einen Sitzplatz. Um mich herum sitzen zehn weitere grün-weiße Fans. Alles Männer. Nach ein paar Minuten schließen die Türen und der Shuttlebus setzt sich in Bewegung. Innerhalb von fünf Minuten erreichen wir das Wolfsburger Stadion, welches in einem schönen Grün beleuchtet ist.
Als sich die Türen öffnen und wir endlich aussteigen können, sehe ich noch mehr Fans. Die Männer um uns herum, ich kann nicht genau sagen, ob Werder oder Wolfsburg Fans, haben schon ordentlich etwas getrunken und rufen sich laut unverständliche Dinge zu. Ein wenig verunsichert nehme ich die Hand meines Freundes. Ich beschleunige meine Schritte etwas, um von der betrunkenen Masse davon zu kommen. Mein Freund grinst mich an, belustigt darüber, dass mir die Nähe zu den vielen Männern unangenehm zu sein scheint. Also versuche ich mich zu beruhigen, schließlich wird mir hier ja nichts passieren. Wir sind vielleicht Fans von unterschiedlichen Mannschaften, aber das ist ja kein Grund, dass etwas ausarten muss, rede ich mir immer wieder ein, mache mir etwas Mut.
Ganz behaglich ist mir die Situation allerdings nicht, denn die Fans werden mehr und der Alkoholpegel steigt merkbar an – die Rufe und das Rumgepöbel wird immer lauter. Dementsprechend froh bin ich, als wir den Sicherheitsleuten begegnen. Wir werden einmal schnell, nicht gerade gründlich, durchsucht. „Also so verstehe ich, wie Leute Sachen mit ins Stadion schmuggeln können“, denke ich mir. Mein Freund verdreht nur die Augen. Das scheint etwas zu sein, worüber nur Frauen Gedanken machen. Ist Fußball ist Männersache? Dieser Eindruck verstärkt sich auch bei der Einlassschlange ins Stadion. Man wird ein zweites Mal durchsucht. Bei den Männern bildet sich eine kleine Schlange – ich kann so durch gehen, werde schnell durchsucht – fertig.
Ein Spiel aus Frauensicht
Als wir nach circa 3 Minuten unsere Plätze gefunden haben, fällt meinem Freund auf, dass er nochmal auf Toilette muss. Ich bleibe also allein an unseren Plätzen zurück. Neben mir nehmen zwei Männer Platz. Angst vor Körperkontakt sollte man hier auf jeden Fall nicht haben. Mein Freund kommt wieder zu unseren Plätzen und wir können uns zu zweit ein wenig die Zeit vertreiben. Doch kurz vor Spielanpfiff nehmen in der Reihe vor uns ein paar weitere Männer Platz. Sie sind so groß, dass ich froh bin, als sie ein paar Plätze aufrücken und etwas versetzt vor uns sitzen. Ansonsten hätte ich wohl anstatt des Spiels 90 Minuten lang ihre Rücken bewundern dürfen.
Die Werderultras sind schräg unter uns und sind schon eifrig dabei für Stimmung zu sorgen. Als die Spieler einlaufen und das Spiel angepfiffen wird, färbt die ausgelassene Stimmung auch auf den Rest der Werderfans über. Von den Wolfsburg-Fans hören wir nichts. Aber das soll mir egal sein. Neben uns springen und schreien die Männer ordentlich mit herum. Ich wundere mich. Soll ich mitspringen? Mit rufen? Wie verhalten sich die anderen Frauen? Ich schaue mich um, auf der Suche nach anderen Frauen, um mir abzugucken, was die so machen. Zwei Reihen vor mir entdecke ich eine junge Frau in meinem Alter. Sie scheint genauso unsicher wie ich, klatscht leise mit und ruft vor sich her. Im Vergleich zu den Männern wirkt sie stiller. Ein paar Plätze weiter links entdecke ich eine ältere Frau, vielleicht Mitte 40. Sie scheint total in ihrem Element zu sein. Begeistert sehe ich ihr zu – keine Spur von Unsicherheit.
Plötzlich schreien alle um uns herum los. Tor! Mist, und ich habe es nicht gesehen, weil ich zu sehr damit beschäftigt war zu überlegen, wie ich mich verhalten sollte und was angemessen ist. Ich ärgere mich und beschließe, dass mir es mir egal sein sollte, was von mir erwartet wird. Kaum habe ich diesen Vorsatz gefasst, merke ich wie ich lauter werde, mehr mit rufe, mehr Freude empfinde.
Solche Unsicherheiten gehören für viele Frauen zur Tagesordnung
Doch es gibt noch einen kurzen Moment, in dem Unsicherheit in mir aufkommt. Die Ultras rufen „Alle einhaken“ und neben uns beginnen die Leute ihre Arme ineinanderzuflechten. Kurz bin ich verunsichert. Doch die Frage, was ich jetzt tue, wird mir abgenommen, als der Mann neben mir sich bei mir einhackt. Okay, denke ich mir. Es ist mir zwar immer noch nicht wirklich geheuer, aber ich kehre wieder zu meinem Vorsatz zurück, das Spiel zu genießen. Wäre mir das auch unangenehm, wenn neben mir eine Frau stehen würde?
Auf dem Rückweg bin ich schon etwas stolz auf mich. Ich habe es größtenteils geschafft meine Unsicherheit abzulegen. Für viele Frauen ist dies aber nicht möglich. In der Bundesligasaison 2006/2007 waren ungefähr ein Viertel aller Fußballfans weiblich. Warum wirkt ein Stadionbesuch auf viele Frauen noch immer so einschüchternd?
Viele Frauen werden immer noch Opfer von sexualisierter Gewalt. Genaue Zahlen und Statistiken zu Übergriffen in der Fanszene gibt es leider nicht. Doch einige Vorfälle zeigen, dass es auch hier zu Zwischenfällen kommt. So wurde 2018 nach einem Fußballspiel eine junge Frau in einem Fußball-Fanzug vergewaltigt. Dies ist zugegeben ein Extrembeispiel, aber es gibt auch andere: So hat 2020 ein Mann vor einem Fußballkiosk die Hosen heruntergelassen und vor dort stehenden Frauen onaniert. Es zeigt sich also: Das Thema ist so aktuell, dass sich Profivereine wie zum Beispiel die Borussia Dortmund Konzepte einfallen lassen, um vor sexuellen Übergriffen zu schützen. Und wir alle können in den Stadien einen Beitrag dazu leisten: Guckt nicht weg. Mischt euch ein. Nutzt eure Stimme dafür, anderen ein Gefühl von Sicherheit zu geben, anstatt dumme Kommentare abzulassen.
Von Annika Hinke
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