„Wie, ihr geht den Jakobsweg?“ „Ne, also eigentlich wollen wir bloß wandern und am Atlantik geht so eine Variante entlang“. Enttäuschung. Ja, sorry. Sind nicht so die Pilger. Warum es trotzdem eine tolle Erfahrung war, als ausgesprochener Nicht-Pilger und Atheist ein Stück vom Jakobsweg zu gehen, erfahrt ihr hier.
Der Jakobsweg
Um den Jakobsweg, auch „Camino de Santiago“ genannt, weben sich viele Legenden. Die Endstation in Santiago de Compostela stellt auf jeden Fall das Grab des Apostels Jakobus dar. Jakobus soll in Spanien missioniert haben. Einer Legende zufolge wurde er in Palästina – also doch ein bisschen weiter weg – durch ein Schwert getötet und von seinem Gefolge – die ganzen tollen Leute hatten ja immer Jünger oder sowas – nach Santiago zurückgebracht und dort wo heute die Kirche in Santiago steht, begraben. Laut einer anderen Legende wurde der gute Jakobus von einem von Engeln getragenen Schiff transportiert. Da die Spanier bekanntlich sehr christlich sind, stärkte die Geschichte ihren Glauben und ihre Identität. Dem Fund des Grabes wird inzwischen sehr viel Bedeutung zugeschrieben. Jedenfalls wandern also seit dem 12. Jahrhundert Menschen auf dem Jakobsweg. Angeblich auch schon früher. Heutzutage wird unter dem Jakobsweg meistens der Camino Francés, der von St.-Jean-Pied-de-Port an der französischen Grenze nach Santiago de Compostela führt, verstanden. Viele Pilger nehmen von Zuhause einen Stein mit, der für ihre Lasten und Sünden steht und legen diesen kurz vor dem Ziel am Cruz de Ferro ab. In Santiago besucht man dann die Pilgermesse und umarmt die Apostelstatue von hinten (Ritual des Aufstiegs) und macht üblicherweise noch ein paar Selfies vor der Kathedrale. Mehr zu Pilgerritualen findet ihr hier
Camino de la Costa
Meine beste Freundin und ich kamen irgendwann auf die Schnapsidee, den Weg auch mal zu laufen. Nicht weil wir so viele Sünden auf dem Buckel hatten oder uns selbst und unseren Glauben wiederfinden wollten, sondern weil uns der Gedanke gefiel, uns auf das Minimalste zu beschränken und diesen kleinen Rucksack auch selbst zu schultern. Wobei der Rucksack dann doch irgendwie größer und schwerer wurde als geplant. Ursprünglich war unsere Idee auch, den ganzen Weg zu gehen. Naja, dann haben wir nur zwei Wochen gefunden, an denen wir beide können (sind ja beschäftigte Studenten und haben voll kurze Semesterferien). Schließlich wollten wir auch nicht den Camino Francés, der durch das Inland Spaniens führt, sondern schön am Meer entlang gehen, damit wir auch mal baden und am Strand liegen können. Richtig konsequent. Glücklicherweise haben sich das andere Leute auch schon gedacht, sodass es den Camino de la Costa schon gibt.
Hier grüßt man einander mit “Buen Camino”
Wir sind also in Bilbao losgelaufen und gleich den zweiten Tag Bus gefahren. Ja, ganz tolle Wanderer sind wir. Meine beiden Füße waren angeschwollen. Aber nicht von den Wanderschuhen, so clever wie ich bin von den nagelneuen Flipflops, die ich mir für den Rest des Tages mitgenommen hatte. Blasen haben sich entzündet und so weiter. Später erfuhren wir, dass die Etappe, die wir mit dem Bus genommen hatten, gar nicht so schön sein soll. Glück gehabt. Danach wurde es auf jeden Fall wunderschön, es ging bergauf, bergab, Strand, Felsenküste und wir dazwischen. Anfangs ganz verwirrt, was wir auf „Buen Camino“ eigentlich antworten sollten, weil wir uns natürlich auch nicht so sehr mit dem Pilgern an sich auseinandergesetzt hatten. Wollten wir ja eh nicht machen. Aber wenn jemand schon so nett grüßt, naja, will man auch das richtige erwidern. Nett sind in Spanien sowieso alle zu den Pilgern. Bei der Reaktion der Spanier, wenn sie jemanden mit großem Rucksack, Wanderschuhen und den charakteristischen Stöcken entdecken, fühlt man sich auch gleich wie ein Heiliger. Eine Spezialität der Spanier ist es außerdem, den Weg ausführlich und trotz des „no espagnol“ in superschnellem Spanisch zu beschreiben, obwohl an jeder Ecke und Kreuzung mindestens ein gut sichtbar gelber Pfeil aufgemalt ist. Wir haben uns tatsächlich nicht einmal verlaufen.
Entfernung vom Religiösen
Dass wir keine richtigen Pilger sind, hat keiner gemerkt. Weil kaum religiös motivierte Pilger unterwegs sind. Die meisten Leute gehen den Jakobsweg, weil sie gerade eine schwierige Phase in ihrem Leben durchmachen, einen Cut brauchen oder sich neu orientieren wollen. Manche, so wie wir, auch bloß, weil sie mal Bock drauf hatten. Auf dem Weg wird man von Graffitis mit der Warnung, nicht zu viel nachzudenken begleitet. Wem das so ganz allein mit sich selbst nicht gelingt, kann natürlich auch einfach den nächstbesten Pilger fragen, ob er Lust hat ein Stück gemeinsam zu gehen. Wenn der nicht will,ist das aber auch vollkommen in Ordnung.
Fazit
Letztendlich kann ich den Küstenweg nur empfehlen. Man lernt Orte kennen, die man sonst nie so sieht – zum Beispiel einen Leuchtturm, den man bloß durch 800 Treppenstufen an einer Felswand hinunter (und wieder hinauf) erreicht- und dieses Einfach-nur-gehen entspannt ungemein. Man ist stolz auf den Weg, den man zurückgelegt hat. Eine andere Art von Stolz als Zuhause. Da trübt schon der Schatten des nächsten Berges an Dingen, die man noch erledigen muss, den Alltag. Man ist nie voll und ganz nur bei einer Sache dabei. Auf dem Camino konzentriert man sich irgendwann nur noch auf die Landschaft und darauf, einen Schritt vor den nächsten zu setzen. Der Berg direkt vor einem wird in Kauf genommen und nicht umgangen, denn man weiß, dass die Anstrengung mit einem wunderschönen Ausblick und einer Menge eigenem Stolz belohnt wird.
Jula Lue