Auf die Straße kleben, um auf die Klimakrise hinzuweisen? Aktivisten der letzten Generation sehen sich durch die Dringlichkeit ihres Anliegens legitimiert. In Umfragen geht das vielen zu weit, die Bild betitelt die Aktivisten als „Kleber Chaoten“.
Die letzte Generation ist eine Aktivistengruppe, die aktuell sehr viel Aufsehen um ihre Protestart erregt. Aber warum? Ist diese Form des Protests so neu für uns? Wenn wir uns nur an die 70er-Jahre erinnern, in dem Menschen Häuser besetzten und laut und stark schon damals unteranderem gegen die Atomkraftwerke demonstrierten, ist es heute nicht anders. Sind Menschen, die sich heute auf die Straße setzen und für unsere Umwelt demonstrieren, radikaler und stoßen sie damit alles ins Chaos? Oder versucht die letzte Generation das Chaos, das erst durch den Klimawandel entsteht, aufzuhalten??
Auf der Straße für das Klima sitzen
Es klingelt bei Mia (Anm. d. Red.: Name geändert) am Telefon. Sie ist Teil der letzten Generation und war bei einer Straßenblockade dabei. Sie nimmt ein paar Sekunden später den Videoanruf entgegen. Man merkt ihr an, dass sie noch unter den Eindrücken des vergangenen Tages steht. Sie sitzt auf ihrem Bett, wirkt aufgeräumt, schaut klar und ein wenig angespannt in die Kamera. Sie möchte gerne über die Straßenblockade der Aktivistengruppe der letzten Generation sprechen.
Wie es ist, dort zu sitzen und von Menschen weggezogen, angespuckt und beleidigt zu werden? Für Mia zwiegespalten, denn die Meinung der Bevölkerung ist gespalten, viele sind gegen die Art der Proteste. Auch vor Ort merkt Mia, dass der Protest Menschen polarisiert. Bei einer Blockade seien die Menschen dort sehr aggressiv gewesen. Sie hätten die Aktivist*innen auf das übelste beschimpft, angespuckt und beleidigt. Doch es habe auch Menschen gegeben, die Interesse und Verständnis zeigen, warum man auf den Straßen sitzt, warum dieser Weg des Protests gewählt wird. Dass Menschen zu ihnen kamen und ihnen die Hand schüttelten, habe sie beeindruckt, erzählt Mia. Sie hätte sich sogar bei allen Aktivist*innen bedankt, dass sie den Mut hätten, für die Welt von morgen auf die Straße zu gehen.
Hinter den Kulissen der letzten Generation
Mia wollte am Anfang eigentlich nur am Rand stehen und Bilder für Social Media festhalten, das Festkleben habe sie noch zu sehr abgeschreckt. Die letzte Generation klebt sich seit Monaten immer wieder auf Straßen fest und will so die Politik zum Handeln gegen die Klimakatastrophen bewegen. Lachend meint Mia, ihr Freund habe sie mitgezogen, sie wollte sich das Ganze eigentlich erst mal nur anschauen.
Vor den Protesten halten die Aktivist*innen ein zweitägiges Aktionstraining ab. Dort werden der Ablauf und die rechtlichen Konsequenzen besprochen. Aber auch auf was man sich mental einstellen sollte, wie man mit den Polizist*innen und wütenden Passant*innen umgehen kann und wie man gegenüber der Presse auftritt, wird geübt.
In dem Training gibt es zum Beispiel Gruppenspiele, in denen die Situationen mit Polizei und Passant*innen nachgestellt wird, „das ist auch Pflicht, wir gehen nicht unvorbereitet auf die Straße“. Um bei der letzten Generation mitzumachen, muss man einfach mitmachen.
Die Strukturen innerhalb der letzten Generation seien nicht hierarchisch, man könne einfach jemanden fragen und werden an andere Personen weitergeleitet oder helfe einfach mit. Auf der Webseite von der Letzten Generation könne sich jede*r dort anmelden und Teil des Protests werden. So könne man auch ohne persönliche Verbindung mitmachen.
Auch beim Organisieren kommen die Anordnungen nicht von „ganze oben“. Die letzte Generation organisiert sich in sogenannte „Keimzellen“. Diese Keimzellen gibt es in vielen Städten, sie organisieren die Proteste. Einige Vollzeitaktivist*innen sind bei der letzten Generation angestellt. Sie übernehmen Arbeiten wie die Organisation von Protesten, die Verteilung von Flyern, den Transport von Materialien und vielen mehr. Die Organisationsteams, die auch aus ehrenamtlichen Mitglieder*innen bestehen, geben bei jedem Protest den Ort erst kurz vorher bekannt. Dann geht es direkt los: Sitzmatten, Kleber und Warnweste werden eingepackt und zeigt die Ampel rot, gehen die Aktivist*innen auf die Straße.
Die Aktivisten und die Polizei
„Ich war mir bis zuletzt unsicher, ob ich bei der Blockade teilnehme. Denn ich hab’s einfach nicht verstanden, warum jetzt Straßen blockiert werden, wo ist da der Sinn?“, reflektiert Mia. Dann, bei den zwei Tagen Aktionstraining kamen viele unterschiedliche Menschen zusammen, die gemeinsam für eine Sache stehen, und zwar die Klimakrise aufzuhalten. Da wurde ihr der Grund klar: Die Zeit läuft ab.
„Einen Knall wird es geben, doch wir versuchen die Größe des Knalles zu minimieren“.
Sie setzt sich noch mal aufrechter hin und sagt dann: „Wir sind jetzt in der Verantwortung was zu tun und ich möchte mir nicht vorwerfen, dass ich nichts getan habe. Das ich nur dabei zugesehen habe“.
Die Polizist*innen würden vorher informiert, welche Straße blockiert wird. Bei dem Protest, bei dem Mia und ihr Freund dabei waren, standen Polizist*innen schon an den Straßen bereit, unteranderem auch bei der Straße, die sie blockieren wollten, erzählt Mia. „Doch mir war es nicht ganz geheuer, mich dort festzukleben“. Mia fürchtete sich vor der Brutalität der Polizei „ich wusste ja nicht, wie sanft die Polizei damit umgeht“. Es besteht kein Zwang zum Kleben, da es immer Personen geben müsse, die eine Rettungsgasse bilden können. Als sie an „ihrer“ Ampel ankamen, seien sie darauf hingewiesen worden, dass man dort keine Blockade errichten dürfe. Doch die Hinweise der Polizei hätten sie ignoriert und sich direkt auf die Straße gesetzt.
Auf die Frage, wie es ist, wenn eine Autoritätsperson vor einem steht und man ihre Anweisungen einfach ignoriert, antwortet Mia: „In dem Moment, wo man an der Straße steht, hat man sich bereits entschieden und kennt das Risiko. Doch es hat sehr geholfen, dass man nicht allein war“. Nachdem sie sich hingesetzt hätten, seien sie direkt von den Polizist*innen gepackt und von der Straße getragen worden. „Doch ich habe nicht damit gerechnet, eine Anzeige zu bekommen“, erzählt sie.
Denn als die Polizei Mia und die anderen Aktivist*innen von der Straße geholt haben, hätten die Polizist*innen erklärt, dass keine Anzeige und Geldstrafe fällig werden. Dann kam doch noch eine Anklage, die ihr klar machte, dass dieser Protest für den Staat mehr als eine harmlose Demonstration war.
Die Katastrophe wird kommen – Wie gehen wir damit um?
Heute ist Mia sich unsicher, ob sie sich noch mal auf die Straße setzten und sich festkleben, würde, denn eine Anzeige oder in den Konflikt mit dem Gesetz kommen, „das will ja keiner von uns“. Sie sehe jedoch keine Möglichkeit, auf die Katastrophe aufmerksam zu machen, währende uns allen die Zeit wegläuft. Deswegen bleibt Mia auch klar bei der Meinung, dass ihr der Protest wichtiger ist als das Risiko, eine Anzeige zu bekommen.
Noch einmal betont sie: „Die ́Schäden ́ die durch die Blockaden entstehen, sind nichts im Vergleich zu den Schäden, die durch den Klimawandel entstehen werden und gerade schon geschehen“.
In der Geschichte hat ziviler Ungehorsam bereits Wirkung gezeigt, zum Beispiel bei der Frauenbewegung, die sich für das gemeinsame Wahlrecht 1918 eingesetzt hat. Die Frauen fingen an zu demonstrieren, schlossen sich zu einem Verein zusammen und setzten die Politik unter Druck. So gewannen sie ihr Wahlrecht. „Wenn es darum geht, dass man in der Politik was verändern will und nicht gehört wird, werden Menschen laut“, so Mia- und dies verbindet die beiden Bewegungen.
Unsere Zeit läuft ab, das ist längst wissenschaftlicher Konsens. Die Aktivist*innen der letzten Generation haben diesen Weg gewählt, da sie jetzt die Menschen ansprechen müssen, die in der Macht stehen, den Aufprall des Klimawandels noch zu verringern. „Wir sind jetzt in der Verantwortung, was zu tun“, sagt Mia und meint die damit kollektive Verantwortung für unseren Planeten zu kämpfen.
Die Demonstrationen würden niemanden verletzten, außer das System, denn dieses müsse aufgerüttelt werden. Und vielleicht zeigt uns die Geschichte der Frauenbewegung vor gut 100 Jahren, dass das vielleicht der schnellste Weg ist, den wir haben, bevor wir die Schäden, die der Klimawandel verursacht, nicht mehr handhabbar sind. „Der Widerstand wird immer irgendwelche Wege finden, solange die Ziele nicht erreicht sind“, und daher wird auch Mia weitermachen.
Von Emma Wewers
Foto: Tenzin Heatherbell