Was richtig, wichtig, moralisch und legitim ist vermitteln Medien heute schon den Kleinsten unter uns. Paradebeispiel dafür ist die Kinderhörspielserie Benjamin Blümchen, in der sich der sprechende Elefant kompromisslos für die Belange der Neustädter einsetzt und für soziale Gerechtigkeit kämpft. Das ist auch 40 Jahre nach der Erfindung der Figur noch so – oder nicht?
Teil 2 – Gehorsam, Anpassung und individuelles Abenteuer
Schon allein der Blick auf die Titel der neuen Benjamin Blümchen-Folgen, lässt den sprechenden Elefanten kaum wiedererkennen. Während Neustadt einst Austragungsort politischer Debatten war, scheint es seit den 2000er-Jahren auffällig ruhig und harmonisch in der Kleinstadt zuzugehen. So weichen Themen wie Umweltschutz, Bildungsfragen und soziale Gerechtigkeit vor allem abenteuerlichen Happenings wie Drachenausflügen, Ballonfahrten oder Kurztrips. Gesellschaftliche Repräsentationsfiguren spielen eine immer untergeordnetere Rolle – das überrascht in diesem Kontext wenig.
Von stereotypen Bösewichten, der Polizei als Freund und Helfer und unpolitischen Politikern
Die wenigen wirtschaftlichen Figuren, die der Serie erhalten bleiben, tauchen wiederholt auf und beschränken sich auf die zwei wiederkehrenden stereotyp angelegten Bösewichte Baron von Zwiebelschreck und Herr Schmeichler, die gänzlich ohne Tiefe und Charakter auskommen müssen. So lässt beispielsweise der Großgrundbesitzer Zwiebelschreck aus Ärger über den Lärmpegel auf seinem, an den Zoo angrenzenden, Grundstück die Zootiere frei und Herr Schmeichler, heute gescheiterter Lebensmittelhändler, manipuliert die Preistafel von Benjamins neuem Tante-Emma-Laden. Aber mit ihrer unerklärlichen und unerklärten Boshaftigkeit nicht genug. Sie sind außerdem alle unfreundlich, erfolglos, haben finanzielle Sorgen und bedienen sich auch ansonsten jeglicher Klischees (vermeintlicher) gesellschaftlicher Loser. Und sollten das die immer jünger werdenden Konsument_Innen trotz der unverkennbaren Figurenzeichnung noch immer nicht verstanden haben, leistet der Erzähler Erwin schon zu Beginn der Folgen Abhilfe, in dem er die Figuren als das personifizierte Böse entlarvt. Das ist nicht nur schade, sondern zeigt auch deutlich, dass die Serie an Tiefe und ausdifferenzierten Figuren verloren hat, lieber auf stumpfe Schwarz-Weiß-Schemata setzt und damit eine Welt darstellt, in der es keine Grautöne gibt.
Das selbe Muster findet sich auch in der Darstellung des Politischen. Von der einstigen Vielzahl existiert heute ausschließlich der Bürgermeister als vermeintlich politische Figur, während alle anderen ersatzlos aus den Drehbüchern gestrichen wurden. Aber mit Politik hat selbst er nur noch wenig zu tun. Zwar beruft er sich häufig auf seine Macht als Stadtoberhaupt, agiert aber ausschließlich als dümmlicher Bösewicht außerhalb seiner beruflichen Funktion. So fährt er beispielsweise ohne jeden ersichtlichen Grund eine ganze Folge mit seinem dicken Bürgermeister-Auto durch die Stadt oder verbringt in einer anderen Folge seinen gesamten Vormittag ohne politischen Bezug im Eiscafé. Sein Amt liegt parallel zu seinen Freizeitbeschäftigungen brach, im Fokus steht heute vielmehr sein Übergewicht und seine Gehässigkeit, mit der er grundlos allen Menschen in seinem Umfeld begegnet und auf die alle ebenso gehässig auf ihn reagieren.
Während der Bürgermeister also den unpolitischen Politiker mimt, dem ausschließlich negative Attribute wie Dummheit, Gehässigkeit und Egozentrismus zugesprochen werden, ist die Polizei in den neuen Folgen ausnahmslos positiv skizziert. Während Benjamin sich einst über den Beruf des Kontaktbereichsbeamten belustigte, wird er rund 35 Jahre später selbst zu einem und läuft beim Verteilen von Strafzetteln und Bußgeldern unvermittelt zur Höchstform auf. Hier wird offensichtlich das Muster wiederkehrender sogenannter “Berufsfolgen” der Serie beibehalten. Gegen eine Folge, in der Benjamin selbst zum Polizisten wird, wehrte sich Elfie Donnelly, die Erfinderin von Benjamin Blümchen und Bibi Blocksberg, ihrerzeit aber vehement. Mit der Polizeifolge jedoch nicht genug. Plötzlich und wie von der sprichwörtlichen Tarantel gestochen pocht der einst so bescheidene und antiautoritäre Elefant auf eine maßgeschneiderte Uniform, mit der er sich nunmehr selbst sehr wichtig und autoritär vorkommt und zeigt sich gegenüber den Neustädtern besonders unnachgiebig und streng. Doch der Bevölkerung scheint das – ganz im Gegensatz zu früher – so rein gar nichts auszumachen. Sie erkennt die Autorität der Polizei ausnahmslos und vollends an, ruft sie in jeder erdenklichen Situation zur Hilfe, bezeichnen sie durchweg als ihren Freund und Helfer. Dass sie sich zum Ende der Folge aber sogar noch telefonisch bei der Polizei melden, um sich bei dieser für die Strafzettel zu bedanken, aus denen sie – siehe da – endlich, endlich gelernt haben, hinterlässt das Gefühl, als sei die einst kritische Serie zum Sprachrohr der Exekutiven selbst verkommen.
Benjamin Blümchen – der unpolitische Ja-Sager
Aber irgendwie passt auch das zum neuen Benjamin, der Missstände nicht mehr zum Thema macht, sondern Ungerechtigkeit heute einfach wegtrompetet. Denn viel wichtiger ist Benjamin plötzlich das eigene Abenteuer: Völlig begeistert geht er daher auf die Bitte von Wachtmeister Krause ein und vertritt diesen einen Tag als Polizist, ersetzt den kranken Schulbusfahrer, weil die Stadt sich nicht um Ersatz kümmert oder renoviert das stadteigene Eiscafé, weil sich auch hier die Politik zu schade ist selbst einzugreifen. In die Mangel nimmt er die Politik dabei nicht (mehr), sondern packt die Gelegenheiten beim Schopfe, lieber seine individuelle Abenteuerlust zu befriedigen. Höhepunkt seines unreflektierten Engagements ist jedoch die neue Folge „Die Fahrradwette“ aus dem jahr 2013, in der Benjamin feststellt, dass es Neustadt an Radwegen mangelt. Anstatt – wie früher üblich – dagegen vorzugehen, lässt er sich albern-spielerisch auf eine Wette mit dem Bürgermeister ein. Benjamin auf dem Rad, der Bürgermeister im Auto. Wer gewinnt, entscheidet ob es wahlweise mehr neue Radwege oder Straßen gibt. Auf solch einen Unsinn hätte sich Benjamin früher niemals eingelassen. Spätestens jedoch bei der Aussage des Bürgermeisters seinen Strafzettel für das Falschparken aus der Staatskasse bezahlen zu wollen, wäre der einst politische Kinderheld an die Decke gegangen. Heute tut er das korrupte Verhalten des Stadtoberhauptes schlicht mit den Worten: „Ach, nicht ärgern, Hauptsache das Auto steht nicht mehr auf dem Radweg“ ab. Aber irgendwie passt diese Aussage auch zu dem scheinbar intellektuell verkommenen Elefanten, der plötzlich Wörter wie Alibi mit Alibaba verwechselt, auf die Frage ob er noch alle Tassen im Schrank hätte mit „Weiß ich nicht, habe sie nicht gezählt“ antwortet oder nicht weiß, was Personalien sind. Denn Benjamin hat über die Jahre offenkundig intellektuell abgebaut. Früher erklärte er seinen Zuhörer_Innen noch spielerisch die Fotosynthese, heute kann er solche Begrifflichkeiten nicht einmal mehr aussprechen. Es fehlt ihm plötzlich an Allgemeinwissen, seine Sprachkenntnisse sind bescheiden und Sprichwörter scheinen ihm gänzlich neu und stets missverständlich zu sein. Woher aber diese Amnesie kommt, bleibt unklar.
Denke ich zurück an die Zeit, in der Benjamin Blümchen mein Alltagsbegleiter war, bin ich dankbar für eine Kinderwelt, in der es sich lohnte an das Gute zu glauben und dafür aktiv einzustehen. Denn Benjamin hat mich gelehrt, dass auch meine Stimme etwas Wert ist und gehört werden sollte. Dass es sich lohnt Ideale zu haben und an ihnen festzuhalten, dass politische Teilhabe wichtig ist und Protest erfolgreich sein kann, dass Autoritäten hinterfragt werden sollten und sich ihnen zu widersetzen auch als politisches Mittel eingesetzt werden kann.
Was er seinen jungen Zuhörer_Innen durch sein unpolitisches, dümmliches, unreflektiertes Verhalten, samt seines klassischen Schwarz-Weiß-Denkens, heute vermitteln will weiß ich nicht. Ein politischer Kinderheld ist Benjamin Blümchen heute jedoch mit Sicherheit nicht mehr. Dabei wäre es doch in Anbetracht der politischen Lage gerade heute so bedeutsam Kindern eine moralische Orientierung zu bieten, die sich um Verständnis und Verständigung bemüht und sich eben nicht einfacher Klischees bedient. Denn sie, die einmal politisch mündige Bürger_Innen werden sollen, sollten doch lernen, dass Luftschlösser und Utopien umsetzbar sind und es sich lohnt für diese zu kämpfen. Dafür brauchen sie Held_Innen, die Ungewöhnliches wagen, eine eigene Meinung vertreten und Autoritäten samt ihrer Funktion infrage stellen. Vorbilder, die für ihre Ideale einstehen und Mitsprache, sowie Mitgestaltung von der politischen Elite einfordern. Idole, die sich progressiv und proaktiv darum bemühen, diese Welt für Alle ein Stückchen besser zu machen und die nicht darauf hoffen, dass es die politischen Entscheidungsträger_Innen schon für sie tun werden. Benjamin übernimmt diese Vorbildfunktion in jedem Fall nicht mehr.
Hinweis: Diesem Artikel liegt die Bachelorarbeit „Vom Baumbesetzer zum Staatsdiener? Wandel politischer Werte in Kinderhörspielserien am Beispiel von Benjamin Blümchen“ zugrunde, in der unsere Redakteurin die Darstellung politischer, staatlicher und wirtschaftlicher Repräsentationsfiguren der alten Folgen mit denen der neuen Folgen entlang politischer Werte untersucht hat.
Änni Siebert
Foto: KROSSE