Seit 2016 tourt Chris Tall jetzt schon mit seinem zweiten Programm „Selfie von Mutti!“ in ganz Deutschland, am 12.05.2017 war unser KROSSE Redakteur bei seiner Show in Bremen mit dabei.
Chris Tall ist fett. Das sage ich nicht, weil ich ein oberflächlicher Kerl bin, sondern er selbst behauptet das. Bei dem Begriff “fett” denke ich automatisch an den Klischee-fetten Amerikaner. Der, der kleine Roller zur Fortbewegung nutzt, der einen genervten Blick zum Kassierer zurückwirft bei der Frage „super size?“ und bei dem man vergebens versucht, die Anzahl seiner Kinn(s) zu bestimmen. Fett ist meiner Meinung nach ein schweres Wort (haha), ich würde einfach sagen, dass er dick ist. Ja, ich weiß, es ist Comedy, aber dazu später mehr.
Denn die passende Bezeichnung für Chris Talls körperliche Verfassung ist leider nicht der einzige Punkte, bei dem Unstimmigkeiten zwischen mir und dem Stand Up Comedy Performer herrschen.
Einem geschenkten Gaul…
Um es kurz zu machen, ich mag ihn nicht wirklich. Nicht als eigentlicher Mensch, der er ist, sondern eher als Performer auf der Bühne. Ich bin kein Stand Up Comedy Experte, habe aber trotzdem Spaß an diesem Genre und vor allem feiere ich amerikanischen Stand Up. Um mal ein Beispiel zu nennen: Louis C.K.. Als ich seine Auftritte das erste Mal sah, habe ich im wahrsten Sinne des Wortes Tränen gelacht. Um so schön dreckig und ehrlich wie Louie zu sein, muss man schon Eier haben. An dieser Stelle kann man eine große Diskussion über deutsche Comedy und das verklemmte deutsche Volk an sich halten, aber das ist nicht mein Ziel.
Es geht nämlich nur um Chris Tall und dessen Programm „Selfie von Mutti!“, das ich hier im Bremer Messe Centrum gesehen habe. Und warum? Weil mein überaus geliebter Bruder mir und meiner Freundin Karten zu Weihnachten geschenkt hat. Wie es so schön heißt, einem geschenkten Gaul spuckt man nicht ins Maul, jedenfalls musste meine Freundin mich daran erinnern. Also entschloss ich mich, mir den Auftritt anzugucken. Dazu muss man sagen, dass ich noch nie zuvor einen Comedy Auftritt besucht habe, allein das hat es schon etwas spannender gemacht. Generell kannte ich davor nur kleinere Ausschnitte seiner Performance, die mir zwar überhaupt nicht zugesagt haben, aber wer weiß, was der Gute noch so auf dem Kasten hat. Ich wollte nicht zu voreingenommen in die Show gehen und habe kurz vorher sogar ein Eis mit der Kombination Walnuss und Banane gegessen. Von dieser Mischung zwischen fruchtig und nussig hätte ich niemals gedacht, dass sie schmeckt, aber das Eis war lecker und ich also durchaus bereit, meine tolerante Seite zu zeigen.
Die Dreieinigkeit der politischen Korrektheit
Die Show war ausverkauft, 6000 Leute, die sich in die Halle quetschen und beim Drängeln witzelten „darf er das?“, „Huch, hoppla, darf ich das?“. Bereits hier fingen meine Nackenhaare an, sich zu spitzen. Wer Chris Tall nicht kennt, genau dieses „darf er das?“ ist quasi sein Slogan. Denn das Konzept der Kunstfigur Chris Tall setzt genau bei dieser grundlegenden Frage an und greift damit das eigentlichen Problem deutscher Comedy an. Genau. Volle Breitseite. Witze über Schwule. Witze über Schwarze. Witze über Behinderte. Die Dreieinigkeit der politischen Korrektheit und wehe jemand wagt es, darüber Witze zu machen. Damit geht Chris Tall schon mal in die richtige Richtung, meiner Meinung nach. Wir alle sind Menschen, sollten alle mehr lachen und vor allem auch über uns lachen können. Um seine anzüglichen Witze legitimieren zu können, begann seine Karriere mit dem großen „darf er das?“. Der Gesellschaft den Spiegel hinhalten und jeden einzelnen dazu zwingen, kritisch zu reflektieren, in was für einer verlogenen und falschen Welt wir leben, in der Mitleid zu Ausgrenzung führt. Ja, das sind die ambitionierten und moralischen Werte, die Chris Tall mit Deutschland teilen will. Und die Idee dahinter finde ich eigentlich gut. So etwas kann und will ich einfach nicht in den Dreck ziehen, es ist eine gute Botschaft. Aber finde ich deswegen Chris Tall gut? Finde ich ihn deswegen witzig? Und würde ich deswegen am liebsten einen „darf er das?“ Hoodie mit der passenden „darf er das?“ Snapback tragen? Nein. Mir geht dieser Running-Gag einfach auf die Nerven. Aber dazu gleich mehr, ich will kurz von der Show berichten.
Die Show beginnt
Die Show ging ca. 2 Stunden lang, aufgeteilt in zwei Abschnitte mit Pause. Die erste Hälfte muss ich fairer Weise zugeben, war halb so schlimm wie ich dachte. Viel Stimmung machen, Leute kennen lernen und die typischen Fragen, die man in die Runde schmeißt mit dem „wo kommst du her?“, „wie heißt du?“. Nichts, was man nicht schon kennt, aber es war dennoch „angenehm“. Und ja, ich muss zugeben, es waren ein zwei kleine Lacher dabei, aber das war es dann auch schon. Denn je länger die Show ging, desto mehr hangelten wir uns durch die Programmpunkte und es wurde immer grausamer. Bevor wir zu den Punkten kommen, die mich stören, möchte ich erst mal hervorheben, was mir an der Show gefiel. Da wäre zum einem seine Mario Barth Imitation, damit ist er auch nicht der Erste, aber er hat eine solide Vorstellung geliefert. Außerdem war da noch das Ave Maria, welches er gesungen und mit einen Dab beendet hat. Es war so dämlich, dass ich es schon wieder lustig fand.
Und der Friedensnobelpreis geht an…
Aber jetzt müssen wir noch zum unangenehmen Teil kommen, den ich einfach mal unter dem Punkt „Moralapostel“ zusammenfasse. Denn genau das ist auch der Grund, warum mich das „darf er das?“ aufregt. Wir erinnern uns an die Dreieinigkeit der politischen Korrektheit: Es ist gut, wenn wir niemanden ausgrenzen und Witze über uns machen können. Aber meine Fresse, muss er deswegen immer wieder betonen, dass er das nur macht, weil es ja quasi förderlich für die Gesellschaft ist? Es ist einfach anstrengend, man kommt, um sich unterhalten zu lassen und je länger man bei Chris Tall sitzt, desto mehr verwandelt sich der Comedian zum Grundschullehrer, der auf die Tafel klopft und die Kinder daran erinnert, das Toleranz wichtig ist. Und nein, versteht mich nicht falsch, natürlich ist Toleranz wichtig. Aber es geht am Ende dann so weit – ohne Scheiß, es ist wirklich so passiert -, dass er auf die Knie vor Rollstuhlfahrer fällt und sich bei ihnen bedankt. Der eine Teil des Publikums bejubelt diesen ehrenvollen und unterwürfigen Akt von Chris Tall und teilt gleichzeitig die Freude des Rollstuhlfahrers, dass dieser sich später Merchandise für lau aussuchen darf. Der andere Teil des Publikums hingegen fängt sich an zu fragen, was der Typ eigentlich genau damit vermitteln will.
Vorhersehbar und lahm
Vielleicht sehe ich das ja auch falsch, aber wenn er dann anfängt, gezielt nach Schwarzen und Schwulen im Publikum zu fragen, auf die dann die Kamera und das Rampenlicht fällt, dann beginnt für mich wieder das Fremdschämen. Um bei der Show zu bleiben, nehmen wir doch mal Alex als Beispiel. Alex hat sich bei der Frage gemeldet, wer denn schwarz wäre und wow tatsächlich, er ist es wirklich, wie wir im Publikum anhand der Bildschirme neben der Bühne erkennen konnten. Alex saß ganz entspannt da und Chris Tall hat ihm nicht mal eine Frage gestellt, ging dann aber darauf ein, wie spektakulär cool er doch da in seinem bequem Sitz…sitzt. Die folgenden Witze bauten dann darauf auf, wie lässig Schwarze reden und wie gut sie beatboxen können. Als ob er da mit Goldkette, Snapback und zwei Meter Hoodie sitzen würde, ganz im Gegenteil. Alex saß da mit Brille, gekleidet in einem schlichten Pulli. Als die Kamera sich auf Alex richtete, musste Chris Tall sich in dem Moment auch nur gedacht haben: „Fuck, der sieht gar nicht so aus wie einer dieser Wu Tang Clan Jungs“. Für mich ist das einfach nichts, diese vorhersehbaren stereo-typischen Witze, die so funktionieren, dass man mit dem Finger auf einen dicken Jungen zeigt und ihm direkt Dinge wie Unsportlichkeit und Fresswahn vorwirft. Dieses Spiel aus schlechten Vorurteilen, gepaart mit dem gesellschaftskritischen Appell sich toleranter und weniger verklemmt bei Witzen zu verhalten, geht für mich einfach nicht auf.
Das Ding mit der Comedy
Im Endeffekt findet man in jedem Comedy-Act irgendetwas, dass widersprüchlich ist oder es scheitert am persönlichen Verständnis der Frage „wie weit darf Comedy gehen?“. Stand Up Comedy ist eben dafür gedacht, dass die Leute den Kopf abschalten und sich unterhalten lassen. Dabei sollte man es aber auch belassen. Ich hätte es auch gerne dabei belassen, aber wenn Chris Tall damit anfängt, seinen politisch-korrekten Kreuzzug mit ins Programm einfließen zu lassen, dann kann ich nicht abschalten. Ich verbinde das Genre mit viel Freude und im besten Fall Dauergrinsen und Lachanfällen. Das fiel bei meinem Besuch in seiner Vorstellung leider aus, aber jeder hat eben seinen eigenen Geschmack. Nicht ohne Grund hat er es so weit geschafft und wer gefallen daran findet, bitte sehr. Aber bitte verschont mit mich mit diesem „darf er das?“, das wäre nett. Danke.
Daniel Seibert
Foto: Stefan Brending, Lizenz: Creative Commons by-sa-3.0 de, 2016 Chris Tall – by 2eight – DSC8056, CC BY-SA 3.0 DE