Von dem Begriff „Kollektiv“ haben wohl viele von uns schon mal gehört. Besonders in der Kreativbranche wird das kollektive Arbeiten immer beliebter. Und auch Bremen hat so einige zu bieten. So wie das „Offline- Kollektiv“ – in dem drei Designer*innen gemeinsam gestalten, illustrieren, konzipieren und dokumentieren.
Der Raum dient als Atelier, Workspace und Shop zugleich. Sonnenstrahlen fallen durch die Fenster auf die Schreibtische, die davor angeordnet sind. Draußen sieht man auf eine kleine Terrasse mit bunten Stühlen, direkt an einer viel befahrene Straße. Drinnen ist man umgeben von Regalen voller Illustrationen, Postern, Klamotten, Keramik und Schmuck.
Dieses Atelier gehört Tei, Sophie und Melis- besser bekannt als Offline-Kollektiv. Nachdem sich ihr vorheriges Kollektiv „Inhalt“ aufgelöst hatte, taten sich die drei zusammengetan, um das „offline“-Projekt zu starten. Eingezogen sind sie Anfang des Jahres und schon ein paar Wochen später feierten sie die Eröffnung ihres „Schopps“. Seitdem können Besucher*innen an Samstagen regelmäßig erleben, wie und wo das Kollektiv arbeitet. Oder auch einen Kaffee genießen und dabei coole Designs, Poster und Klamotten entdecken.
Warum Kollektiv?
Das Wort Kollektiv kommt aus dem lateinischen „collectivus“ und bedeutet so viel wie gemeinschaftlich. In der Kunst- und Designbranche, aber auch in der Musik, wird es immer beliebter, sich in Kollektiven zu organisieren. Mitglieder*innen arbeiten zusammen, unterstützen einander und teilen Ideen und Ressourcen. Dabei gibt es keine hierarchischen Strukturen, jede*r agiert autonom. Wichtige Entscheidungen werden aber gemeinsam getroffen. Damit bilden sie einen Gegensatz zu Kunstagenturen, die oft profitorientiert und hierarchisch aufgebaut sind.
Ausgebildete Designer*innen sehen nach ihrem Studium meist zwei Möglichkeiten: Entweder man lässt sich in einer Werbeagentur anstellen oder man wagt den Schritt in die Selbstständigkeit. Während die Arbeit in einer Agentur finanzielle Sicherheit bietet, fühlen sich viele Kreative nach einiger Zeit ausgebrannt. Die Selbstständigkeit ist wiederum mit viel Bürokratie verbunden und bietet oft kein gesichertes Einkommen. Seitdem KIs für alle offen zugänglich sind, greifen viele potenzielle Kund*innen auf schnelle, kostengünstige Online Lösungen zurück, anstatt Profis zu engagieren. Deswegen sei es für Sophie wichtig für die kreative Arbeit ein besseres Modell zu finden, als komplett unter unserem Wert zu arbeiten.
Arbeit neu denken
Besonders in akademischen Kreisen starten viele mit dem Traum in die Arbeitswelt, einen Job zu finden, der sowohl Selbstverwirklichung verspricht als auch genug Geld einbringt. Im kapitalistischen System gilt die Erfüllung im Beruf als höchstes Gut. Dabei stehen viele Menschen nach dem Studium zwischen zwei Stühlen, besonders wenn sie einen kreativen Beruf ergreifen wollen. Geld verdienen oder lieber das tun, was einen erfüllt? In unserer Gesellschaft gilt es als Ideal beides zu kombinieren, oft bleibt das aber nur Illusion. Wer sich für letzteres entscheidet und einen Niedriglohnjob annimmt, um sich in der freien Zeit kreativ auszuleben, stößt häufig auf Unverständnis.
All das ist Melis, Sophie und Tei nicht unbekannt. Nach ihrem integrierten Design Studium an der HFK standen sie auch vor dieser Frage. Nur eines war klar: Sie wollten aus den klassischen, kapitalistischen Jobstrukturen ausbrechen und mit ihrer kreativen Arbeit etwas verändern. Diese Haltung spiegelt sich auch immer wieder in ihren Designs wider. Die Arbeit im Kollektiv gibt ihnen die Möglichkeit ein alternatives Modell zu leben.
„Wir arbeiten alle nebenbei noch bei anderen Jobs, trotzdem können wir richtig gut trennen, was uns Glück bringt und was wir zum Überleben machen.“, so das Trio. Sie verurteilen sich nicht für diese Lebensweise. Als FLINTA*- Personen wissen sie wie wichtig es ist solidarisch zu sein, Wissen und Ressourcen zu teilen. So wollen sie Widerstand gegen patriarchale Strukturen und das Konkurrenzdenken leisten, dass bis heute in Kreativbranche vorherrscht. Ihr Studio ist für sie zu einem „Safe Space“, nicht nur für sie selbst, sondern auch für Kund*innen geworden. Melis sieht sich darin bestätigt: „Ich habe das Gefühl, dass Leute immer mehr danach suchen. Auch nach alternativen FLINTA*-Safe Spaces, wo sie angenehm Shoppen können oder sie FLINTA*-Kreative unterstützen und mit ihnen in Kontakt kommen können.“
Das Arbeiten mit und in Kollektiven
Für sie ist das Studio in erster Linie ein Workspace. Während Tei dort hauptsächlich als selbstständige Illustratorin tätig ist, arbeiten Melis und Sophie auch viel am „offline Schopp“. Dort gibt es Designs von ihnen, aber auch immer wieder von anderen Künstler*innen, zu kaufen. So kann man dort von upgecycelten Klamotten, über Sticker oder Poster, bis hin zu Perlenohrringen ziemlich viel entdecken. Durch den Verkauf versuchen sie ihr Studio zu finanzieren, gleichzeitig sollen Konsument*innen auch zum Denken angeregt werden: „Leute fangen dann an darüber nachzudenken, was sie ausgeben, wofür sie das ausgeben und ob sie sich der Kauf wirklich lohnt. Und dann vielleicht auch darüber, wie sie mit Geld umgehen. Und wieviel Arbeit in einem Produkt steckt.“, so Sophie.
Immer wieder arbeitet das Offline-Kollektiv mit anderen Künstler*innen. Trotz, oder gerade wegen, der Größe hat Bremen eine lebendige Kulturszene zu bieten: „Wenn du die Leute erstmal kennst, kommst du auch schnell in die Szene rein.“, sagt Tei. Die Nachfrage nach Orten, an den gemeinsam kreativ gearbeitet wird steigt, auch in Bremen. Immer wieder kommen Interessierte auf das Kollektiv zu und fragen, wie sie mitmachen können. Das Kollektiv ermutigt andere ähnliche Projekte auf die Beine zu stellen.
„Wir haben das selbst organisiert und versuchen die Leute zu motivieren, woanders das gleiche zu organisieren damit es mehr davon gibt.“, sagt Melis. Statt Konkurrenzkampf ermutigen und unterstützen sich die Kollektive gegenseitig: Es wird zusammengearbeitet und Wissen wird weitergegeben. Tei, Melis und Sophie gefällt der Gedanke, dass das Ganze ein Kreislauf ist, so entstehen immer neue Gruppen oder Projekte, wie auch „offline“ aus dem „Inhalt“- Kollektiv entstanden ist.
Die Suche nach Erfüllung ist nicht einfach, und oft läuft es anders als erträumt. Es hat viel mit Privilegien zu tun, aber erfordert auch harte Arbeit. Viel zu lange wurde nach dem Grundsatz gelebt: „Es ist einsam an der Spitze“. Aber was, wenn es keine Spitze mehr gibt? Kollektive zeigen uns ein alternatives Arbeitsmodell auf, das auch außerhalb der kreativen Branche anwendbar ist. Statt in Konkurrenz zu treten, bedeutet das Arbeiten im Kollektiv: Sich organisieren und Solidarität zeigen.
Informationen zu zukünftigen Projekten, Workshops und Öffnungszeiten findet ihr auf Instagram unter offline_kollektiv oder auf fomobremen.info.
von Antonia Semmler