Bremen ist die Stadt der Fahrradfahrer. Obwohl Bremen im Vergleich als fahrradfreundlich gilt, ist die Infrastruktur der Innenstadt noch auf Autos ausgerichtet. Im Gespräch mit Paul Stillger vom BUND Bremen wird klar, wo Bremen dringend nachbessern muss.
Das leise Surren der Straßenbahn ist durch den Lärm der Motoren kaum zu hören. Das Geräusch rostiger Autobremsen und der Geruch von Abgasen liegen in der Luft. Ein schneller Schulterblick, der Arm geht raus, um das Abbiegen zu signalisieren. Ich fahre ab, auf den schützenden Radweg, wo mich immerhin ein Bordstein von den Autos trennt. Knotenpunkte wie der Stern, an welchen sich die Wege von Straßenbahnen, Autos und Radfahrer:innen kreuzen, sind vor allem für Zweiräder immer wieder gefährlich.
Bremen – die fahrradfreundlichste Stadt Deutschlands?
Fast 25 Prozent der Strecken werden in Bremen mit dem Rad zurückgelegt, nur in Kopenhagen und Amsterdam fahren Menschen noch mehr Fahrrad als in Bremen. Auf vielen Abschnitten teilen sich Fahrradfahrer:innen den Verkehrsraum entweder mit Autos oder mit der Straßenbahn – oder mit beiden gleichzeitig.
Im deutschlandweiten Fahrradklima-Test des ADFC belegt Bremen trotzdem den ersten Platz in der Kategorie der Städte über 500.000 Einwohner:innen. Dabei hat Bremen neben mangelhafter Sicherheit für Radfahrer:innen noch weiter deutliche Defizite, zum Beispiel im Ausbau der Fahrrad-Infrastruktur, findet Paul Stillger, Experte für Verkehr vom BUND Bremen.
Stillger fordert „Bis an die Fußgängerzonen mehr Abstellmöglichkeiten“, um das Fahrrad im öffentlichen Raum sicher und geschützt parken zu können. Dazu könnten im ersten Schritt kombinierte Fahrrad- und Autoparkhäuser entstehen, zum Beispiel nach dem Vorbild in der Bremer Violenstraße. Die Parkmöglichkeiten an Schnittstellen zwischen verschiedenen Verkehrsmitteln sei eine wichtige Komponente, um Fahrradfahren attraktiv zu gestalten. „Gerade an Knotenpunkten wie Bahnhöfen ist eine Radstation definitiv sinnvoll und bietet einen Mehrwert“ meint der wissenschaftliche Mitarbeiter im Bereich Verkehr. Das ehemals vom ADFC betriebene und finanzierte Fahhrad-Parkhaus am Bremer Hauptbahnhof ist marode und hatte sich nicht mehr gerechnet. Jetzt wird es von der städtischen BrePark betrieben.
Von der symbolischen zur echten Fahrradstraße
Doch nicht nur die Parksituation hat in Bremen noch Defizite. Wenn Paul Stillger mit dem Rad zur Arbeit fährt, führt ihn sein Weg durch die Humboldtstraße, eine Fahrradstraße mit automobilem Durchgangsverkehr – bis vor kurzem. Neu in der Straße ist jetzt ein Modalfilter, so heißen Poller, die die Straße in der Mitte teilen. Diese Konzept habe Zukunftspotential: „Der Normalverkehr mit Privat-PKW ist nicht mehr möglich, aber Fahrradfahrende und Fußgänger können passieren. Die Qualität der Fahrradstraße hat sich dadurch um ein Vielfaches erhöht“, findet er. Anwohner:innen können so zwar noch ihre Wohnung erreichen, Durchgangsverkehr entfällt mit Modalfiltern dann aber vollständig. Diese Version der Verkehrsregulierung stelle eine überaus günstige und effektive Lösung dar und nach einigen Wochen der Umgewöhnung für alle Verkehrsteilnehmer:innen werde die Verkehrslast erheblich reduziert.
Dass auch Pendelstrecken vermehrt mit dem Fahrrad zurückgelegt werden, freut Stillger. „Wir sehen, dass es in Unternehmen großes Interesse an Diensträdern gibt“. Mittlerweile sind die steuerlichen Vorteile eines Dienstrads ähnlich denen eines Dienstwagens, es ist also nicht nur für Arbeitnehmer:innen, sondern auch für Arbeitgeber:innen interessant, Fahrrad- oder Pedelec-Leasing für die Belegschaft anzubieten.
Nicht so sicher?!
Was Menschen vom Fahrradfahren abhält? Mit Sicherheit die Sicherheit, oder gerade der Mangel dieser. Stillger sieht die Senatorin für Klimaschutz, Umwelt, Mobilität, Stadtentwicklung und Wohnungsbau der Stadt Bremen, Maike Schaefer, in der Verantwortung. Beispielsweise könnten mit Abbiegeassistenzsystemen für LKWs Leben gerettet werden und „selbst wenn wir von 2.500 Euro pro Nachrüstung ausgehen, ist das verglichen mit dem Wert eines Lebens relativ gering“. Dabei liegen die Kosten meist noch deutlich unter 2000 Euro pro Fahrzeug.
Die Städtischen Großfahrzeuge der Stadtreinigung sowie ein Drittel der Busse der BSAG wurden zwar bereits mit Assistenzsystemen nachgerüstet, eine Pflicht oder zumindest eine Subvention für private Unternehmen ist jedoch bislang nicht absehbar. Um die Gefahr des toten Winkels in Abbiegesituationen zu verringern, gibt es aber auch andere Konzepte. Fahrradspuren nach holländischem Vorbild zum Beispiel, die an Abbiegesituationen nicht im toten Winkel des motorisierten Verkehrs liegen, könnten das Problem sogar noch besser lösen. Fahrradfahrende wären ebenfalls vor unachtsamen PKWs geschützt, nicht nur vor abbiegenden Lastkraftwagen. „Das ist super, wenn man das machen kann“ meint Stillger „aber Bremen ist eine relativ dicht besiedelte Stadt, deshalb ist der Straßenraum oft eng und man kann das nicht überall gewährleisten“.
Autos aus der Innenstadt – aber sinnvoll
Die Liste an Kritikpunkten der Bremer Fahrradinfrastruktur ist lang, eine bessere Parkraumüberwachung, um Falschparkende auf Radwegen zu vermeiden und Rüttelstreifen oder Poller zwischen Straße und Radweg sind nur zwei davon. Anderorts wurde vieles bereits erfolgreich realisiert, sowohl die Niederlande als auch Dänemark bieten in vielen Städten deutlich sicherere Radwege. Generell sei jedoch auch wichtig, ein größeres Bewusstsein der Verkehrsteilnehmer:innen füreinander zu schaffen. Radfahrer:innen befänden sich im ständigen Konflikt mit Autofahrer:innen und Fußgänger:innen.
Ein effizienter Weg, Unfälle zwischen Autos und Radfahrer:innen zu verhindern? Eine Innenstadt ohne motorisierten Individualverkehr, findet auch Stillger. Allerdings müsse solch ein Konzept vor der Umsetzung gut geplant werden. Einfach ‚nur‘ Autos aus Innenstädten zu verbannen verstärke soziale Ungerechtigkeiten und grenze Menschen aus. Eine Aufstockung der Kapazitäten und der Ausbau des ÖPNV sowie Fahrradschnellstraßen können für einen reibungsarmen Übergang sorgen.
Wann es so weit sein könnte möchte ich noch von Paul Stillger wissen, während das Vogelzwitschern vor dem geöffneten Fenster durch das Surren einer vorbeifahrenden Straßenbahn unterbrochen wird. „Ich denke 2040“ entgegnet er. „Man muss es als Gesamtnetzproblem sehen“ – und dann ist es eben nicht mit dem Aufstellen von Verbotsschildern getan.
von Niklas Berger