Im Jahr flanieren etwa 8,8 Millionen Einwohner und 17,3 Millionen Besucher durch London.
Der trubelige Piccadilly Circus, zu Kolonialzeiten noch als Mittelpunkt der Welt bekannt, ist seit Oktober 2017 auch Mittelpunkt der Aufmerksamkeit modernen Targetings.
Spiegel war gestern – Werbezirkus ist heute
Seit diesem Monat erkennen Kameras Geschlechter, Alter und Emotionen von Millionen Passanten sowie die Marke und Farbe der vorbeifahrenden Autos. Mit freiem W-LAN-Zugang wird gelockt. Zukunftsmusik? Von wegen: Marken wie Coca-Cola, Samsung und L’Oreal sind bereits Teil des Projektes von Landsec. Laut Entwickler werden die Daten natürlich nicht gespeichert. Sie dienen lediglich der Schaltung vermeintlich passende Werbung auf den riesigen LED-Bildschirmen. Nein, Daten für großen Investoren des Projektes zu sammeln, darum geht es nicht. Das Projekt existiert zum Spaß an der Freude.
Ein paar Schritte in die Zukunft gedacht
Weitere Beautylabels und Marken treten am Circus auf, könnte das Konzept tatsächlich Spaß machen. Nur eben nicht der jungen Frau, die am Sonntagmorgen nach langer Party-Nacht mit verschmiertem Makeup und zerzauster Frisur den Heimweg über den Piccadilly Circus antritt. Sie bekommt von L’Oreal einen nicht allzu charmanten Hinweis über ihr äußerliches Erscheinungsbild. Und das auf 780 Quadratmetern leuchtender Werbefläche – Walk of Shame 4.0.
Sie loggt sich noch schnell ins W-LAN ein und sieht ihre letzte Bestellung: Sextoys. Plötzlich wird aus ihrer passwortgeschützten Bestellung ein Leuchtspektakel von Sextoys und Gleitgel für sämtliche Besucher im Herzen Londons. Warum? Nicht weit von ihr konnten die Kameras ein knutschendes Pärchen ausmachen. Die Gesichter werden mit Facebook-Profilen abgeglichen und es stellt sich heraus: Schon zwei Jahre Beziehung und ebenfalls unterwegs in Gefilden aus Latex und Massagekerzen. Da haben sich doch zwei – sorry, drei – gesucht und gefunden: Eine „Andere Kunden kauften auch…“ – Email vom Sexshop ihres Vertrauens landet mit im Postfach der entblößten jungen Frau. Was das Pärchen anregt, könnte sie doch auch interessieren. Ihr Smartphone vibriert, der Bildschirm leuchte hell auf – alle Umstehenden gucken.
Einem nackten Mann, in diesem Fall natürlich einer Frau, kann man nicht in die Tasche greifen? Nicht, dass sie eh schon im Regen steht – die Kameras registrieren sofort, dass sie aussieht wie ein begossener Pudel und empfehlen ihr postwendend 3-Wetter-Tafft im Großformat. Der Marke Schwarzkopf folgt sie sowieso schon bei Instagram. Und weil Madame so unglücklich aus der Wäsche guckt, erscheint direkt neben dem Slogan ein riesiges Einhorn-Emoji. Das macht ja bekanntlich alles besser. Der Zauber nimmt damit aber kein Ende und ein Regenbogen ist auch nicht in Sicht.
Amelie Szameit
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