Ein Mal im Jahr entsteht in Dänemark auf den Feldern vor Roskilde eine neue Stadt. Die viertgrößte des Landes sogar. Ihre Einwohner lieben Musik, Partys und Bier. Aber sie verbindet auch das Bedürfnis, sich einzubringen, sich herausfordern zu lassen und ein Teil einer Gemeinschaft zu sein, in der man auf andere Menschen achtet. Wer für eine Woche in dieser Stadt lebt, dem geht es darum, Teil von diesem Kosmos zu werden, der sich Roskilde-Festival nennt. Denn nur dann kann das “orange Feeling” dein Leben verändern.
The “orange feeling”
Das “orange feeling” ist das Roskilde-Festival und es ist auch das, was mehr als 100.000 Leute jedes Jahr wieder auf die Felder vor der knapp 50.000 Einwohner zählenden Stadt auf der Insel Seeland kommen lässt. Das „orange feeling“ ist nicht nur ein Wort – es muss erlebt werden, um es zu begreifen. Seinen Namen hat es von der Orange Stage, die das Wahrzeichen und Logo des Festivals ist. Die große Hauptbühne gehört seit 1978 zum Roskilde-Festival genauso wie die gut 30.000 engagierten freiwilligen Mitarbeiter, ohne die das Festival gar nicht möglich wäre. Überall sieht der Besucher sie in ihren orangenen Westen und es kommt auch schon mal vor, dass in so einer Weste ein Mann im Pikachu-Kostüm steckt, dein Bändchen kontrolliert und dich, deinen Campingstuhl und deine Dose Bier mit einem netten “Tak” (Danke) auf das Festivalgelände lässt. Auch das gehört zum „orange feeling“.
Vielleicht kommt es einem nur so vor, aber hier scheint vieles auf einer gewissen Vertrauensbasis zu beruhen und zu funktionieren. Dass dieses Prinzip eingehalten wird, liegt sicher auch daran, dass jeder weiß: Das Roskilde-Festival wirtschaftet zu 100 Prozent non-profit. Der gesamte Überschuss wird vom Roskilde-Festival-Fond an kulturelle und gemeinnützige Zwecke gespendet. Dieses Jahr kamen um die 2,5 Millionen Euro zusammen!
Da schmeckt der Ski-Burger doch gleich doppelt gut, wenn man weiß, dass das Geld dafür an den örtlichen Skiverein geht. Auch die meisten anderen Stände auf dem Festivalgelände werden von Vereinen und Organisationen betrieben, die ihren Gewinn behalten dürfen. Der Skiverein konnte sich von dem erwirtschafteten Geld sogar schon einen neuen Downhilltrack leisten. Und was das Essen auf dem Festival angeht, bringt diese Art der Organisation eine unglaubliche Auswahl an kulinarischen Angeboten. Sogar ein eigens für das Festival gebraute Bier wird verkauft.
Musik, Musik, Musik
Das Festival-Bier lässt sich am besten vor einer der sieben Bühnen genießen. Wenn dann wie in diesem Jahr die Sonne strahlt, schmeckt es doppelt so gut. Dazu spielten auf dem Roskilde-Festival 2014 nicht weniger als 166 Bands aus 30 verschiedenen Ländern. Mit dabei waren die Rolling Stones, Arctic Monkeys, Damon Albarn, Stevie Wonder, Outkast und Jack White. Die Rolling Stones lieferten ein Feuerwerk an Hits und das sogar über zwei Stunden lang. Doch nicht nur die legendären Altrocker drehten mächtig auf, auch Damon Albarn performte ein paar alte Gorillaz-Lieder auf der Bühne und Outcast holte ein paar Mädchen aus dem Publikum, um mit ihnen zu tanzen. Besonders hervorzuheben ist, dass die meisten Künstler ein vollständiges Konzert gaben und sich nicht wie üblich auf ein verkürztes Festivalset beschränkten. Wer dann dabei direkt vor der Bühne ins Schwitzen kam, dem wurde sogar von den freiwilligen Helfern ein Becher Wasser gereicht. Dann zeigt es sich wieder: das “orange feeling”, das eigentlich nie weg war. Und: Nicht nur die Großen unter den Musikern, sondern auch die kleineren Bands machten mit toller Musik und Pop-up-Konzerten auf den Campingplätzen auf sich aufmerksam.
Camp of the Year
Acht Tage lang Roskilde-Festival heißt nicht nur acht Tage Musik. Es geht auch darum, in eine andere Welt einzutauchen, die aus mehr besteht, als aus Konzerten. Dies geht vor allem auf den Campingplätzen sehr gut. Hier gibt es Angebote wie ein Basketballfeld, eine Outdoor-Workout-Anlage, Kletterwände, einen Skatepark, Shopping-Areas oder auch eine Maker-Station, an der man tragbare Musik-Boxen bauen kann. Zudem gibt es bei einem Spaziergang durch die Camp-Areas wie Dream- oder Relax-City viel zu entdecken. Da jedes Jahr ein “Camp of the Year” gekürt wird, geben sich viele Gruppen sehr viel Mühe, ihr Camp und auch sich selbst zu gestalten. Dieses Jahr machte nicht das “Wo ist Walther?” oder das “Metal Camp“, sondern das “Camp Farmer Dating” das Rennen.
Wer in der Zeitschrift „Intro“ gelesen hat, das Roskilde-Festival sei eine Mischung aus dem Hurricane-Festival und der dänischen Antwort auf Spring Break, dem kann gesagt sein: Es ist viel mehr als das. Es ist ein Festival mit Seele bei dem übrigens alle Menschen, die das erste Mal dort sind, von einem „warm welcome“ des Ansagers auf der Hauptbühne und dem dann folgenden tosenden Applaus von zehntausenden Zuschauern begrüßt werden. Da muss man hinter seiner Sonnenbrille schon mal kurz blinzeln und schlucken. “Orange feeling” in Roskilde – bis zum nächsten Jahr.
Lies Petersen