Ein Kommentar
Generation Praktikum. Generation Maybe. Generation Boomer.
Für jede Generation gibt es das passende Portrait und schlagwortartige Adjektive, die sie beschreiben sollen. Auch wir, die 15-30-Jährigen unserer Zeit, bleiben davon nicht verschont und so sammeln sich im Netz und in den Zeitungen Artikel über die angeblich so unpolitische, opportunistische und angepasste Generation Y, die so ganz anders als ihre rebellischen Vorgänger ist. Aber ist sie das wirklich? KROSSE kommentiert.
Jede Generation muss die Kritik der vorangegangenen Generationen über sich ergehen lassen. Das war schon immer so. Deswegen bekommt auch jede Generation eine gewisse Schublade und einen lustigen Namen zugewiesen. Generation „Boomer“ zum Beispiel meint die Generation, die zwischen 1946 und 1964 geboren ist. Sie waren es, die für die steigenden Geburtenraten nach dem Zweiten Weltkrieg verantwortlich waren und die man als desillusioniert und kraftlos charakterisiert. Oder die Null-Bock-Generation, in den späten 80ern in Westdeutschland geboren, die aufgrund ihrer beruflichen, sozialen und wirtschaftlichen Zukunft keine Perspektiven sahen.
Aber wer sind wir?
Wir sind die Generation Y und zu uns hat jeder eine Meinung – meist eine schlechte.
Glaubt man den Thesen diverser Studien und SoziologInnen, zeichnen sich die heute 15-30-Jährigen vor allem durch Opportunismus, politische Verdrossenheit und der Sucht nach Lob und Anerkennung aus. Wir sind faul und gleichgültig, haben keine Führungsqualitäten, sind willenlos und angepasst. Oliver Jeges, freier Redakteur für die Welt, Der Standard und weitere Magazine, geht sogar soweit zu behaupten, unsere Generation erinnere an seelenlose Zombies. Denn schließlich hätten die 68er damals noch ihrer Wut über den Vietnamkrieg lauthals auf den Straßen Luft gemacht. „Heute herrscht wieder Krieg an Europas Grenzen, doch den meisten ist es vollkommen egal“, so Jeges.
Im Jahr 1983 beauftragte das Bundesministerium für Bildung und Forschung erstmalig die Universität Konstanz mit einer Studie über den „Wandel politischer Orientierungen und gesellschaftlicher Werte bei Studierenden“. Seither wurden mehr als 88.000 Studierende zu ihrem politischen Interesse und Engagement befragt, mit einer eindeutigen Tendenz – das Interesse nimmt stark ab. Während sich 1983 noch 54 % der Studierenden als „stark politisch“ bezeichneten, sind es 2007 nur noch 37 %. Auch das politische Engagement in außerparlamentarischen Vereinen und Organisationen wie beispielsweise Attac, Naturschutzbund oder Greenpeace verläuft in unserer Generation auffällig rückläufig. „Was Merkel und Co in Berlin so treiben, interessiert nur noch eine Minderheit der jungen Bundesbürger“, sagt die Studie über die Generation Y aus.
Auch ich gehöre zur Generation Y und habe es langsam satt mir Faulheit, politische Verdrossenheit und Angepasstheit vorwerfen zu lassen, denn diese Kritik ist einseitig, wird unserer Generation einfach nicht gerecht und kommt ausgerechnet aus den Reihen, die für die angebliche politische Verdrossenheit und das Angepasstsein unserer jungen Generation mitverantwortlich sind.
Was ist Politik?
Seitdem ich denken kann, umgibt mich das Wort Krise und es grenzt an ein Wunder, dass es nicht zu den ersten zehn Worten gehörte, die ich sprechen konnte. Ich erlebte den Terroranschlag in New York, Umweltkatastrophen wie in Fukushima, die Finanzkrise, Epidemien wie BSE und Vogelgrippe und unzählige Kriege.
Parallel dazu verspricht uns die aktuelle Bundesregierung alle vier Jahre, sich mehr für das Bildungs-, Sozial- und Gesundheitswesen einzusetzen. Aber seien wir doch mal ehrlich, in den letzten 40 Jahren gaben sich die großen fünf Parteien abwechselnd die Klinke in die Hand. Verbessert hat sich in diesen Bereichen überhaupt nichts. Das Bildungssystem ist eine Katastrophe, das Gesundheitswesen steckt in einer Krise und die Situation im Sozialbereich ist schon lange nicht mehr hinnehmbar. Alle vier Jahre machen wir unser Kreuz oder eben auch nicht, denn mehr Mitspracherecht haben wir kaum. Wir sind enttäuscht, wir sind desillusioniert, wir haben den Glauben an die parlamentarische Politik und vielleicht auch daran, wirklich etwas mittels dieser verändern zu können, verloren.
Die Statistik der Konstanzer Universität sollte daher vielmehr ein Appell an die Politik sein als an die Generation Y, denn ganz offensichtlich hat die politische Verdrossenheit wenig mit einer uninteressierten jungen Generation, sondern vielleicht einfach mit ihrer eigenen Arbeit zu tun. Bäumt sich die junge Generation aber doch gegen etwas auf und protestiert gegen politische Vorhaben wie den Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs oder gegen das Finanzsystem im Rahmen von Occupy, wird eine große Bewegung so schnell wie sie aufkam wieder im Keim erstickt. Das frustriert und nimmt uns den Glauben an Mitspracherecht und Mitgestaltung. Von oben herab wird uns dann mangelnde Courage, wenig Durchhaltevermögen und fehlender Idealismus vorgeworfen.
Unsere Vorgängergeneration, die ihren Protest noch wesentlich häufiger auf der Straße auslebte, Fahne schwenkend für eine bessere Welt einstand und uns vorwirft, viel zu angepasst und passiv zu sein, sitzt heute selbst auf ihrer Couch aus braunem Lederimitat und zappt durchs schlechte Privatfernsehen. Ihr allgegenwärtiger Frust und ihr abhandengekommenes politisches Engagement bestärkt uns in dem Gefühl, durch Parolen und Demos wenig verändern zu können. Aus diesem und sicher zahlreichen weiteren Gründen verstehen und machen wir Politik vielleicht anders als unsere VorgängerInnen. Die meisten von uns schließen sich nicht mehr einer Partei an oder engagieren sich in außerparlamentarischen Organisationen. Die meisten von uns gehen auch nicht mehr auf die Straße oder sammeln Unterschriften.
Aber einige von uns machen Politik selbst. Und zwar im Alltag. Denn wir sind nicht nur die am besten ausgebildete Generation überhaupt, wir sind auch durchaus kreativ.
Wir bepflanzen alte Autoreifen und eröffnen Umsonst-Läden, wir gehen containern, tauschen Kleidung und entwickeln den ersten „Unverpackt-Supermarkt“. Wir fangen wieder an zu häkeln und stricken und freuen uns über Tomaten und Kräuter auf unserem WG- Balkon.Wir verzichten auf Fleisch und bemühen uns Bio zu kaufen, erfinden „CarSharing“ und „Mitfahrgelegenheit“. Ja, wir diskutieren via Facebook über politische Themen, gründen „Zu-verschenken-Gruppen“ und schreiben Blogs über die Situation in der Ukraine oder in der Türkei.
Wir sind die Do It Yourself-Politik-Generation.
Wir sind die „heimlichen Revolutionäre“.
Denn was die Konstanzer Studie zu erwähnen vergisst, ist, dass Politik vielseitig ist und nicht nur im Bundestag stattfindet – wir hingegen haben das verstanden.
Vorwürfe vom Sofa
Unser Protest gegen Bestehendes hat also eine ganz andere Form und Sichtbarkeit angenommen und dennoch gelten wir als unpolitisch und opportunistisch.
Doch jede Generation muss sich mit Vorwürfen ihrer Vorgänger auseinandersetzen.
In unserer scheint das nicht anders zu sein, doch die Klagen über uns klingen anders als früher. Zu wild, zu aufmüpfig, rebellisch, subversiv, unangepasst und radikal sollen unsere Vorgänger gewesen sein. Weltverbesserer, Revolutionäre. Ja ganz besonders die 68er. Waren sie es doch, die gegen einen Krieg am anderen Ende der Welt auf die Straße gingen, die sich für die Emanzipation und freie Liebe stark machten. Ihr Protest war global und prägte eine ganze Generation. Sie waren quasi der Inbegriff von Rebellion. Liebe Alt-68er, die ihr diese Zeilen lesen mögt. Setzt die rosarote Brille ab!
Die schwarz-weiß-Fotos in euren Fotoalben sind nicht nur längst vergilbt, sie sind auch trügerisch. Denn zu eurer Zeit waren es auch nur schlappe 3 %, die sich gegen die herrschende Politik, das System und weltweite Missstände wehrten.
Nicht jeder, der damals lange Haare hatte, war ein Revolutionär.
Es ist ein Leichtes, die eigene politische Verantwortung an die jüngere Generation abzugeben, sich zurückzulehnen und zu sagen: „So! Jetzt seid ihr dran.“
Und außerdem: Wo seid ihr jetzt? Wer von euch kämpft auch heute noch? Wer von euch kann uns ein Vorbild sein und wer von euch hat es sich auf der Chefetage im Sessel gemütlich gemacht? Denn jede Generation braucht ihre Vorbilder an dessen Handeln sie sich messen, orientieren und vergleichen kann.
MusikerInnen und Bands wie The Doors, Rolling Stones, Jimi Hendrix, Deep Purple, Janis Joplin und Bob Dylan waren solche und trugen maßgeblich zu der 68er-Bewegung bei. Sie fungierten als politische Protagonisten und Orientierungshilfen für eine ganze Generation. In Interviews mit Musikern wurde selten über die erste Single-Auskopplung des neuen Albums diskutiert, sondern über politische Missstände und diverse Protestformen debattiert. John Lennons „All we are saying is give peace a chance“ ging um die Welt und wurde zum globalen Ohrwurm.
Schalte ich heute den Fernseher an, hängt unser vermeintliches Generationsvorbild Miley Cyrus halbnackt an irgendwelchen Abrissbirnen, die nur zu einem Siebtel bekleidete und Po-wackelnde Beyoncé schimpft sich plötzlich Feministin und Heidi Klum erklärt uns, wie einfach es ist, schon zwei Wochen nach der Geburt den perfekten „After-Baby-Body“ zu haben.
Von wem sollen wir denn da noch lernen?
Und wenn sich dann doch ein Hollywoodstar erbarmt und den Kapitalismus öffentlich kritisiert, wie Matt Damon oder für die Gleichberechtigung von Mann und Frau einsteht, wie kürzlich Emma Watson, werden diese entweder von den Medien und der Politik gekonnt ignoriert oder ins Lächerliche gezogen. Und genau das kann uns nur schwerlich Mut machen, uns auch politisch zu positionieren und Ideale zu entwickeln, für die es sich einzustehen lohnt.
Und trotzdem bringt unsere Generation immer wieder idealistische Einzelkämpfer und ganze Bewegungsströmungen hervor, die den Mut haben Dinge öffentlich zu bekunden, die ganz offensichtlich völlig aus dem Ruder gelaufen sind. Edward Snowden zum Beispiel gab Einblicke in das Ausmaß der weltweiten Überwachungs- und Spionagepraktiken von Geheimdiensten – heute lebt er in Russland im Exil. Oder Chelsea Manning, eine US-amerikanische IT-Spezialistin, die 2010 Videos und Dokumente kopiert und der Website WikiLeaks zugespielt hat. 2013 wurde sie zu einer Freiheitsstrafe von 35 Jahren verurteilt.
Im Übrigen beide aus der Generation Y. Und im Übrigen beides nicht besonders motivierend.
Kenne deinen Feind!
Soziale Bewegungen, so unterschiedlich sie auch inhaltlich sein mögen, haben eines immer gemeinsam: Sie haben ein klares Ziel und einen eindeutigen Feind. Die Nachkriegsgeneration richtete das Land wieder auf und forderte einen demokratischen Rechtsstaat. Der Nachfolgejahrgang wehrte sich gegen das penetrante nationalistische Gedankengut in seiner Gesellschaft und in den frühen 80ern wurde versucht, den Nato-Doppelbeschluss zu verhindern.
Und heute?
Heute leben wir in einer Welt, in der alles stets im Umbruch und in der Krise zu stecken scheint. Die Tagesblätter überschlagen sich mit Ereignissen, ebenso wie es die Krisen selbst tun. Wir schlittern durch unseren Alltag, der aus Unsicherheiten besteht und wir suchen nach Halt. Haben wir einen Feind ausfindig gemacht, wird uns die nächste Krise und damit einhergehend auch der nächste Feind in den Medien präsentiert. Der Feind unserer Generation hat sich vervielfacht und vor allem hat er sich globalisiert. Alles ist miteinander verflochten und obwohl wir um die Missstände unserer Zeit Bescheid wissen, tun wir zu wenig. Denn es fühlt sich so an, als stünden wir in einem Kreis aus Mauern und wissen schlichtweg nicht, welche wir als erstes einreißen sollen. Ja, verdammt, wir sind überfordert und verunsichert.
Bildung als Anker in der Not
In diesen unsicheren Zeiten oder zumindest in einer Zeit, die uns als unsicher verkauft wird, suchen wir schlicht und ergreifend nach Halt und Sicherheit. Wo wir diese hernehmen, wurde uns früh infiltriert: Bildung. Denn Zukunftsaussichten hat nur, wer optimale Abschlüsse und Bestnoten vorweisen kann.
Die Krisen in unseren Nachbarländern Spanien, Griechenland und Co. und die damit einhergehende Jugendarbeitslosigkeit von bis zu 61 % erhöhen den Leistungsdruck in unserer Generation um ein Vielfaches. Gut ausgebildet, flexibel und angepasst müssen wir sein, um zumindest beruflich Sicherheit zu erlangen. Und dafür opfern wir viel. Im Kindergarten spielen wir kaum noch, sondern lernen schon die ersten Sätze auf Englisch. Wir gehen trotz Hauptschulempfehlung und auf Drängen unserer Eltern aufs Gymnasium, um mit Ach und Krach das Abitur über die Bühne zu bringen. Wir pimpen unsere Lebensläufe mit Fremdsprachen und Auslandsaufenthalten, um einen der begehrten Studienplätze ergattern zu können. Dort bemühen wir uns in Regelstudienzeit und mit Bestnoten fertig zu werden, um uns zumindest beruflich in Sicherheit zu fühlen.
Blickt man aber auf die vorangegangenen Bewegungen zurück, stellt man fest, dass sich viele Proteste und soziale Bewegungen aus der Studierendenschaft heraus entwickelt haben. Freistunden und freie Vormittage an vielen Universitäten ermöglichten die Bildung von Kollektiven und Arbeitskreisen. Kritische Wissenschaft, eine von der Politik durchtränkte Medienlandschaft und gesellschaftliche Missstände bildeten das Futter für die politische Arbeit junger Studierender.
All das hat man der heutigen Generation genommen.
Heute verhält sich der Unialltag der meisten Studierenden durchgehend anders. Die freien Vormittage wurden abgeschafft, das Bachelor-Master-System eingeführt, die kritische Wissenschaft von den Stundenplänen verbannt – stattdessen wurde der Fokus auf den Markt verlegt. Für Kreativität, Freiräume und vor allem politisches Engagement bleibt wenig bis keine Zeit.
Ja, auch die Generation Y träumt wie ihre Vorgänger von der Revolution, nur tut sie dies meist während der Arbeit an der nächsten PowerPoint-Präsentation, wie es die Antilopen Gang treffsicher formulierte.
Dieser Generation die Freiräume zu geben, die sie braucht um kritisch, politisch und reflektiert sein zu können, ist die Aufgabe der Vorgänger-Generationen. Denn die Welt, in der die Ypsiloner heute leben, haben sie erschaffen.
Wir sind die Generation der Forschenden, Fragenden, Suchenden – wenn man uns denn nur ließe!
Anna Siewert