Stellt euch vor, ihr wacht eines Morgens angekettet in einem Keller auf. Ihr tragt verschwitzte und alte Sachen und ein unidentifizierbarer Gestank brennt euch in der Nase. Von da an beginnt eine Tortur unvorstellbaren Ausmaßes. Ihr werdet bestraft dafür, dass ihr auf euer Recht besteht, ein freier Mensch zu sein. Ihr bekommt eine neue Identität und werdet verkauft wie Vieh. Ihr seid Sklaven und nicht mehr frei. Genau das passiert Solomon Northup.
Saratoga/New York, 1841. Solomon Northup lebt als schwarzer, freier Mann zusammen mit seiner Familie ein ruhiges und glückliches Leben. Er ist Musiker und geachtet in der kleinen Stadt. Eines Tages treffen zwei, sich als fahrendes Zirkusvolk ausgebende Männer auf ihn und überreden ihn dazu, mit ihnen durch den Norden des Landes zu reisen, für zwei Wochen. Auf diese Weise locken sie ihn nach Washington D.C., geben ihm K.O.-Tropfen und verkaufen ihn an Sklaventreiber. Ab dann beginnt eine Tortur für den Familienvater. Zusammen mit anderen Schwarzen wird er mit einem Schiff in die Südstaaten gebracht, um dort verkauft zu werden. Dabei verliert er seine Identität als der Musiker Solomon Northup und wird zu Pats, dem Sklaven aus Georgia. Sein Weg bringt ihn von einem Plantagenbesitzer zum nächsten, einer schlimmer als der andere. Solomon fällt seinen Mastern immer auf, er sticht aus der Gruppe heraus, weil er intelligent, geschickt und schlau ist. Trotz der harten Tage gibt er seine Hoffnung, wieder frei zu sein, bis zum letzten Tag nicht auf.
Das Menschliche
Steven McQueen hat mit seinen Schauspielern ein herzzerreißendes Portrait eines Sklavenlebens geschaffen. Der Geschichte der Sklaverei wurde in Hollywood bisher keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Letztes Jahr lief zwar „Django Unchained“ von Quentin Tarantino, doch noch nie zuvor gab es solch eine Verfilmung über das Leben eines Sklaven. Der Hauptdarsteller Chiwetel Ejiofor spielt so hervorragend, dass dem Zuschauer der Atem stockt. Man spürt die Verzweiflung des freien Mannes, dem alles genommen wird, bis ins Mark. Die Szenen wirken nicht gestellt, es wirkt beinahe so, als wären die Szenen Realität, als wäre jemand in der Zeit zurückgereist und hätte seine laufende Kamera dort in eine Ecke gestellt. Es ist nicht zu vergleichen mit den lauten, theatralisch-dramatischen und mit Messages beladenen Hollywoodstreifen. Es gibt nicht einmal wirkliche Begleitmusik, ab und an hört man Solomon Geige spielen. Beeindruckend ist auch, wie sehr auf kleine Details, die dem Zuschauer entfliehen könnten, geachtet wird. So ändert sich zum Beispiel mit der Zeit Salomons Gang. Am Anfang läuft er aufrecht und selbstbewusst, mit der Würde eines freien Mannes. Doch je weiter der Film voranschreitet, desto gekrümmter und ängstlicher bewegt er sich. Eine subtile Untermauerung seiner Transformation zu Pats, dem Sklaven.
12 Years a Slave (c) PressefotoAlle Szenen sind mit solch einer Selbstverständlichkeit gedreht, dass es einem das Blut in den Adern gefrieren lässt. Die Szenen sind nicht gewollt dramatisch dargestellt, es ist eher wie eine Aufzählung von Fakten in einem Referat. Doch dieser Effekt löst in dem Zuschauer noch stärkere Emotionen aus als in anderen Filmen. In meine Erinnerung hat sich eine ganz bestimmte Szene eingebrannt: Solomon und die anderen sind an ihrem Ziel angekommen, müssen sich zusammen waschen. Es wird nicht darauf geachtet, dass sie Menschen sind und sich genieren könnten. Im Anschluss werden sie in einem Raum den kaufwilligen Plantagenbesitzern vorgestellt. Sie stehen nackt in einer Reihe, frisch gekämmt und gewaschen. Der Sklavenhändler versucht die Käufer für seine Ware zu begeistern. Da tätschelt er einer Frau demonstrativ den Kopf, hier haut er einem jungen Mann auf die Brust um seine Stärke zu untermauern und dort öffnet er dem Burschen den Mund um seine hervorragenden Zähne zu präsentieren. Man müsse den Jungen nur richtig erziehen und schon habe man in wenigen Jahren das perfekte Arbeitsvieh. Vieh ist das Stichwort, denn als solches werden sie gesehen. Diesen Menschen wird ihre Würde und ihr Recht auf deren Bewahrung entsagt. Es gibt viele solcher Szenen, die sich in das Bewusstsein fressen. Sie ziehen sich durch den ganzen Film hindurch.
Wenn der Master ruft
Was passiert eigentlich, wenn ein Master sich in eine Sklavin verliebt? Liebe ist nicht im Einflussbereich der Menschen und wenn sie entfacht, ist es sehr schwer, sie zu unterdrücken. Auch diesem Aspekt widmet sich der Film. Die junge Sklavin Patsey ist das leidtragende Objekt der Liebe ihres Masters. Der selbst kommt nämlich mit seinen Gefühlen für die schöne Frau nicht zurecht, während seine eigene Frau ihre aggressive Eifersucht an Patsey auslässt, indem sie ihr das Leben schwer macht. Die Sexszene zwischen der Sklavin und Master Epps fasst die emotionale Beziehung der beiden perfekt zusammen.
Es kommt auch eine Figur im Film vor, die als Sklavin geboren wurde und es bis zur Mistress gebracht hat. Ihr Master hat sich auch in sie verliebt. Im Unterschied zu Edwin Epps aber hat der Master seine ehemalige Sklavin geheiratet.
And the Oscar goes to:
In genau 9 Kategorien ist McQueens’ Werk für den Oscar nominiert, unter anderem in den Kategorien „Bester Film“ und „Bester Hauptdarsteller“. Bei den Golden Globes gab es trotz 7 Nominierungen nur eine Auszeichnung für den Besten Film. Ich persönlich finde das zu wenig. Bei den Oscars tritt „12 Years a Slave“ gegen Filme wie „Wolf of Wallstreet“ an, den ich auch gesehen habe und sehr gut fand, doch ich möchte von Herzen, dass „12 Years a Slave“ in allen Kategorien gewinnt. Wenn er schon nicht in allen Kategorien gewinnt, dann doch bitte in „Bester Film“ und „Bester Hauptdarsteller“. Wie sehr ich Leonardo DiCaprio auch gönne, endlich mal den heißersehnten Oscar zu gewinnen, bin ich doch der Meinung, dass Chiwetel Ejiofor einen besseren Job hingelegt hat. Vielleicht sind beide Filme nicht miteinander zu vergleichen, weil sie ganz unterschiedliche Geschichten erzählen. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass mich Salomons Freudentränen am Ende glücklicher gemacht haben, als der erste Biss in einen saftigen Schokomuffin. Sorry Leo.
FILMTRAILER:
Refiye Ellek