Erst die goldene Palme und jetzt der Oscar für den den besten Film des Jahres: Parasite galt als Geheimtipp in den Kinos. Aber zeigt er neben seiner spannenden Handlung auch realistische Einblicke in die Alltag der Südkoreaner?
Parasite (Originaltitel aus dem Koreanischen: “Gisaengchung”) spielt zur heutigen Zeit in Südkorea. Zwei vierköpfige Familien, in unterschiedlichen Sozialschichten lebend, bilden die Protagonisten des Films. Beide Familien bestehen aus den beiden Elternteilen und ihren jeweiligen zwei Kindern. Familie Kim hält sich als Untermieter eines schäbigen Kellers sehr knapp durch das Falten von Pizzakartons übers Wasser. Währenddessen genießt die wohlhabende Familie Park ihr sorgenfreies Leben in ihrer großen Villa. Weder Familie Kim noch Familie Park wissen über die Existenz der Anderen bescheid. Jedoch verschafft eines Tages der Sohn der Kim Familie Ki-woo den restlichen Familienmitgliedern eine Eintrittskarte in das reiche Paradiesleben der Familie Park. Als ein ehemaliger Schulfreund ihm seine Stelle als Englisch Nachhilfelehrer bei der Park Familie anbietet, nimmt Ki-woo das Angebot an. Nach und nach nimmt die Intrige seinen Lauf und schon bald finden sich beide Familien in unvorstellbaren Situation wieder.
Eine amüsante Familientragödie
Parasite ist die raffinierte Arbeit des Regisseurs Bong Joon-Ho. Ihm gelingt es bereits beim ersten Schauen die eingebettete Gesellschaftskritik deutlich zu übermitteln.
Ganz besonders thematisiert er das Verhalten der reichen und armen Familie und deren Lebensumstände. Der Ausbruch aus der armen Schicht und die innere Rebellion gegen die Überheblichkeit der Reichen. Die Verantwortungslosigkeit der reichen Familie und der Neid der ärmeren Familie, die nach mehr Reichtum trachtet. Diese Merkmale werden dank der tollen schauspielerischen Leistung authentisch hervorgehoben. Besonders Schauspieler Song Kang-ho kann sich hervorragend in die Rolle des Vaters der Kim Familie hineinversetzen. Kurz: Sowohl inhaltlich als auch stilistisch überzeugt der Film.
Aus zwei mach drei, der Betrug ist noch nicht vorbei
Ganz geschickt wie ein Parasit nimmt Familie Kim immer mehr an dem reichen Leben von Familie Park teil. Durch Täuschung und Manipulation überlisten sie die naive Familie Park. Inszenierte Vorfälle führen zu der Entlassung von vorigen Angestellten der Familie Park. Dafür nehmen nach und nach die einzelnen Mitglieder der Familie Kim deren Plätze ein. Die Planung von Familie Kim ist spannend und amüsierend mitzuverfolgen. Bei jeder versuchten Vortäuschung fiebert man mit. Die Spannung wird dadurch immer wieder aufs Neue aufgebaut. Bewundernswert ist die Kreativität der Familie Kim und wie sie jedes Missgeschick umgeht, welches ihre Tarnung hätte auffliegen lassen können.
Freie Bühne für ästhetischen Spielraum
Die Kontrastdarstellung von Reich und Arm wird symbolisch sehr gut umgesetzt. Gleich zu Beginn erhält der Zuschauer genaue Einblicke in die unterschiedlichen Lebenswelten.
Der Regisseur arbeitet mit Dunkel- und Helligkeit sowie mit verschiedenen Lichteffekten. Familie Kim haust in einem abgenutzten Untergeschoss einer Wohnung, in der kaum Tageslicht durchscheint. Dagegen wird man von Familie Parks weiß gestrichener Villa buchstäblich geblendet. Die hohe Mauer grenzt die Villa deutlich von anderen Häusern in der Gegend ab. Tageslicht findet stetig seinen Weg durch die großen Fenster der Familie Park Villa. Durch die häuslichen und sozialen Umstände treten die Figuren unterschiedlich in Erscheinung. Bis zur Einstellung bei Familie Park legt keiner der Familie Kim viel Wert auf die äußere Pflege des Erscheinungsbildes. Der stets gut gekleideten und gepflegten Familie Park fällt direkt der Geruch von feuchter Luft auf, als alle Mitglieder der Familie Kim bei ihnen eingestellt sind. Es ist jener Geruch, den man in feuchten und schimmeligen Räumen, wie in einem Keller, wahrnimmt. Ein zweites wichtiges Differenzierungsmerkmal der ärmer lebenden Kim Familie.
Reine Fiktion oder ein hauch Realität?
Tatsächlich gibt der Film zum Teil wahre Begebenheiten aus Südkorea wieder. Südkoreas Gesellschaft weist Merkmale einer Schichtgesellschaft auf. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist groß und das zum Nachteil der Ärmeren. Den Ärmeren gelingt es selten bis kaum die Armutstreppe hinaufzusteigen. Diese soziale Ungerechtigkeit führt auf den rasanten Wirtschaftssprung zurück, von dem nicht jeder Teil der Bevölkerung profitieren und dem nicht jeder folgen konnte. Es waren große Kapitalunternehmen, wie Samsung oder LG, die diese Entwicklung vorangetrieben haben. Und es sind auch diese Firmen, die die koreanische Wirtschaft heute dominieren.
Solche südkoreanischen Firmenarbeiter mit angesehenem Status äußern offen und direkt ihre Abneigung gegenüber den Ärmeren. Serviceanbieter sind in den meisten Fällen von dem Unglück betroffen.
Beispielsweise wurde die Tochter des koreanischen Airline-Besitzers Cho Hyun Ah verhaftet, nachdem sie einen enormen Wutausbruch gegen die Crew bekommen hatte. Grund war eine Tüte Nüsse, die ihr ungeöffnet, anstatt in einer Schale serviert wurde. In einem tragischen Extremfall führte die Demütigung einer wohlhabenden, älteren Dame zum Selbstmord eines Wachmannes. Am Ende hielt er ihren respektlosen Umgang nicht mehr aus. Besonders vor zehn Jahren war diese Situation stark ausgeprägt. Heute hat sich die Lage deutlich gebessert. Trotzdem hat Südkorea dieses Problem noch nicht ganz überwunden.
Anschauen oder nicht Anschauen-das ist hier die Frage!
Natürlich darf man den Film nicht allzu ernst nehmen, da die Darstellungen überspitzt sind und sie die Realität nicht eins zu eins reflektieren. Durchaus ist aber ein kritischer Unterton bemerkbar. Sehenswert ist der Film allemal-für Menschen aus aller „Schicht“.
Bona Hyun
Bild: KROSSE